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03.07.10 / Geheimnisvolle Pillen / Der Apotheker − wunderlicher Kauz und ausgewiesener Fachmann

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-10 vom 03. Juli 2010

Geheimnisvolle Pillen
Der Apotheker − wunderlicher Kauz und ausgewiesener Fachmann

Er war ein exzellenter Fachmann auf seinem Gebiet – und ein wunderlicher Kauz dazu, unser alter Apotheker Dr. Otto Keyl in Stallupönen. Nicht nur, dass er über alle einschlägigen Medikamente genau Bescheid wusste und sich in der Wirkung heimischer Heilkräuter bestens auskannte. Nein, er experimentierte selbst wie besessen mit allen möglichen Pulvern und Flüssigkeiten herum, um Mittel gegen menschliche Gebrechen zu entwickeln. Einerseits wollte er den Mitbewohnern unserer Kleinstadt und der Landbevölkerung, die besonders an Markttagen bei Bedarf seine Apotheke aufsuchte, einen Gefallen tun. Andererseits erhoffte er sich, bei Erfolg als eine Art Wohltäter der Menschheit in die Medizingeschichte einzugehen. Vielleicht spielte bei seinen Experimenten aber auch der finanzielle Nutzen eine Rolle, den ihm ein großer Wurf hätte bringen können.

So sah man ihn stundenlang im weißen Kittel über Gläsern, Schüsseln und Bunsenbrenner gebeugt mit Chemikalien und anderen Stoffen hantieren, um einen besonderen Sud zu brauen, der dann eingedickt und schließlich zu Dragees geformt wurde. Oder er goss brühheißen Hagebuttentee über ein Gemisch von Brennesseln, Salbei und Sauerampfer, filtrierte das Gebräu und füllte es in Fläschchen ab, auf das er Etiketten mit dem verheißungsvollen Titel „Mittel gegen Mückenstiche“ klebte. Seine Frau Doris sah in dem eifrigen Bemühen ihres Mannes wenig Sinn, da sie nicht so recht an einen Erfolg glaubte. Ihr Ehegespons verbrachte ihrer Meinung nach viel zu viel Zeit mit seiner Spielerei, wie sie sein Herumexperimentieren nannte, Zeit, in der sie ihn lieber an ihrer Seite bei Spaziergängen im Paballer Wäldchen oder im Schützenpark gehabt hätte, denn selbst am Wochenende zog sich der ihr Angetraute unter dem Vorwand, er stehe kurz vor dem Durchbruch zu einem neuen Wundermittel und dürfe jetzt den entscheidenden Gedanken nicht verlieren, in seine Laborkammer zurück. Auch seine Stammtischbrüder, alles Honoratioren der Stadt, mussten auf seine Teilnahme am monatlichen Treffen verzichten, wenn dem wundersamen Doktor wieder eine Idee zu einem Experiment gekommen war und er sich in sein faustisches Studiengemach zurückgezogen hatte.

In Stallupönen munkelte man, weiße Mäuse dienten dem Apotheker als Versuchskaninchen, und einige der possierlichen Tiere hätten im Dienste der Forscherleidenschaft Dr. Keyls ihr ohnehin nicht langes Leben sehr früh aushauchen müssen. Aber das waren nur Gerüchte, und da es an Beweisen fehlte, traten keine Tierliebhaber auf den Plan, um diesem möglicherweise wissenschaftlich nicht gerechtfertigten Treiben ein Ende zu setzen.

So werkelte der Apotheker jahrelang, ohne dass sich nennenswerte Erfolge einstellten. Aber dann erwiesen sich schwarzbraune Pillen, die der Hobby-Forscher aus Lakritzsaft, Fenchel und, Kamillenextrakt produziert hatte, als wirksames Mittel gegen Erkältungen. Dr. Keyls Eheliebste selbst musste als Versuchskaninchen herhalten, als sie von Husten und Schnupfen gleichermaßen befallen war. Tapfer hatte sie die Pillen gelutscht, zweifelnd zwar an deren Wirkung und hoffend, sie würden zumindest nicht schaden, aber siehe da: Der Schnupfen schwand in kurzer Zeit, und auch der Husten trat offensichtlich den Rückzug an. Als sich bei weiteren Freiwilligen, denen die Pillen gegen ihre Erkältung kostenlos offeriert worden waren, ähnliche Erfolge zeigten, konnte der Apotheker frohlocken. Endlich war ihm etwas in Fachkreisen durchaus Vorzeigbares gelungen!

Die Unbedenklichkeitsbescheinigung der Prüf-Behörde in Königsberg ließ zwar geraume Zeit auf sich warten, aber dann ging alles ganz schnell. Eine Firma, die Blechdosen für das neue Medikament liefern konnte, war flugs gefunden, und so konnte die Produktion in größeren Mengen beginnen. Die passenden Etiketten druckte der städtische Zeitungsverlag, bei dem Dr. Keyl ein für sein neues Mittel werbendes Inserat geordert hatte. So konnten die Stallupöner bald lesen, dass „Dorisot“ ein in ihrem Heimatort entwickeltes Medikament, sich anschicke, seinen Siegeszug um die Welt anzutreten.

Kopfzerbrechen bereitete den meisten nur der Name. Dorisot? Was verbarg sich dahinter? Kluge Köpfe versuchten über das Lateinisch-Griechische eine Erklärung: „Do“ hänge wohl mit dolor = Schmerz zusammen, und „ri“ mit ris = Nase, aber zu solchen Deutungen lächelte der Apotheker nur verschmitzt. Schließlich lüftete er bei heiterer Stimmung im Kreis seiner Stammtischbrüder das Geheimnis. Aus dem Vornamen seiner Frau und seinem eigenen hatte er den Namen des neuen Medikaments gebildet: Aus Doris und Otto war „Dorisot“ entstanden.         Dieter Grau


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