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10.07.10 / Die Wirklichkeit gespiegelt / In Berlin ist eine Ausstellung mit Zeichnungen und Aquarellen von Adolph Menzel zu sehen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-10 vom 10. Juli 2010

Die Wirklichkeit gespiegelt
In Berlin ist eine Ausstellung mit Zeichnungen und Aquarellen von Adolph Menzel zu sehen

Eine Ausstellung der 6. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst in Kooperation mit der Nationalgalerie und dem Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin zeigt Arbeiten von Adolph Menzel. Unter dem Titel „Menzels extremer Realismus“ sind ausgewählte Blätter zu sehen.

Die Ausstellung, die von dem US-amerikanischen Kunsthistoriker Michael Fried, einem ausgezeichneten Kenner des Menzelschen Oeuvres, kuratiert wurde, spiegelt von rund 40 seiner Zeichnungen, Gouachen und Aquarellen die Zeitgebundenheit der Frage nach der Wirklichkeit und ihrer Behandlung im Hier und Jetzt auf eine historische Perspektive in der Kunst zurück. Menzels bildnerisches Werk ist eng verbunden mit der historischen Entwicklung der Stadt Berlin. Als genauer Beobachter und Analyst seines direkten Umfeldes setzte er sich in seinen Werken intensiv mit einem breiten Spektrum von Fragen aus Gesellschaft, Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst und Philosophie auseinander. Detailgenauigkeit und ein hoher Authentizitätsanspruch ziehen sich durch sein gesamtes Œuvre.

Nichts war vor Menzels Zeichenstift, vor seinem Pinsel sicher. In seinem Mantel befanden sich sieben Taschen für die verschiedenen Skizzenblöcke sowie die weichen und harten Stifte. Den Augenblick wollte er festhalten, die kleine Geste, die Bewegung, die kleine, zunächst unscheinbare Szene. Menzel war geradezu besessen, alles zu zeichnen, sei es die Ratte, die im Gully verschwand, seien es alte Möbel, Bretter und Kartons, die bei einer Zwangsräumung auf der Straße gelandet waren. Erschütternd sind seine Skizzen von gefallenen Soldaten nach der Schlacht bei Königgrätz (1866). Er war eigens zum Schlachtfeld gefahren, um sich ein Bild zu machen. Menzel muss extrem nah an die Toten herangegangen sein, um all die Details skizzieren zu können.

All diese Zeichnungen und Aquarelle sind Meisterwerke, die Ihresgleichen suchen. Fachleute nennen Menzel einen genauen Beobachter der Gegenwart und einen Chronisten der Vergangenheit. In seinem Nachlass fanden sich unzählige Skizzenbücher, ein Magazin, auf das er für seine Gemälde immer wieder zurück-greifen konnte. Allein das Berliner Kupferstichkabinett besitzt 4000 individuelle Zeichnungen und 77 Skizzenbücher, insgesamt sind das etwa 7000 Zeichnungen, nicht zu vergessen die anderen öffentlichen und die privaten Sammlungen, die über Menzel-Zeichnungen verfügen.

Mitunter führte Menzels Sicht der Dinge auch zu seltsamen Begebenheiten. So berichtete Paul Meyerheim in seinen 1906 erschienenen Erinnerungen an Adolph Menzel, dass er den Künstler beim Zeichnen selbst auf Begräbnisfeiern erlebt hatte. Auch wusste er von einem Diner zu erzählen, bei dem Menzel einen Herrn bat, dessen Hand zeichnen zu dürfen. „Für den Herrn, der sich gern mit einer Zigarre niedergelassen hätte“, so Meyerheim, gab es keine Gnade; er musste sehr lange stehen bleiben, bis das kleine Meisterwerk vollendet war.“

Der Künstler, der oft als typischer Ur-Berliner gesehen wird, wurde am 8. Dezember 1815 nicht an der Spree, sondern in Breslau geboren, wo sein Vater, ursprünglich ein Lehrer, eine lithografische Anstalt betrieb. Adolph war 14 Jahre alt, als er acht Lithografien schuf, die sein Vater als Illustrationen zu Knutzens „Geschichte des preußischen Staates“ verwendete.

Erst 1830 siedelte die Familie nach Berlin über, wo der junge Menzel sich an alten und neuen Kunstwerken orientieren konnte und immer wieder neue Eindrücke empfing, während der Vater dort nur schwer Fuß fassen konnte. Adolph besorgte ihm Aufträge und unterstützte ihn bis zu seinem Tod 1832. Der junge Mann übernahm daraufhin die Steindruckerei seines Vaters und ernährte die Mutter und seine zwei Geschwister. Nach einem kurzen Besuch der Akademie beschloss er, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und sich auf eigene Füße zu stellen. 1833/34 erschien sein erster selbständiger Illustrationszyklus zu Johann Wolfgang von Goethes Gedicht „Künstlers Er-denwallen“ .

Adolph Menzel war übrigens der einzige Maler, der mit dem höchsten preußischen Orden ausgezeichnet wurde (1898), dem 1701 in Königsberg gestifteten Schwarzen Adlerorden. Lange Jahre wurde er „nur“ als Maler der preußischen Geschichte angesehen; erst später erkannte man, dass der große Künstler ein genauer Beobachter, ein Schilderer seiner Zeit war, ein kritischer Zeitgenosse auch, der das bürgerliche Leben ebenso darstellte wie das höfische. Historienbilder gehören gleichermaßen zu seinem Schaffen wie zeitgenössische Schilderungen des Großstadtlebens und der Arbeitswelt. Nicht zuletzt durch diese Werke wurde Menzel zu einem Wegbereiter der Moderne. Doch der Künstler hat nicht nur sein Gegenüber mit kritischem Blick betrachtet. Schließlich macht er auch vor sich selbst nicht halt. Eindringliche Selbstbildnisse aus allen Lebensphasen sind ebenso zu finden wie Blätter, die Hände und Füße des Künstlers zeigen.

„Menzels Leben“, schrieb 1896 der Direktor der Hamburger Kunsthalle, Alfred Lichtwark, „bietet ein Schauspiel, das ähnliche Empfindungen wachruft wie der Anblick seiner Werke. Ein unendlicher Reichtum von Tatsachen entwickelt sich mit starker Logik aus den gegebenen Prämissen ... Was sich ihm entgegenstellte, hat er durch seine im Dienst eines unermesslichen Arbeitsvermögens stehende Riesenkraft unterworfen.“ Adolph Menzel starb am 9. Februar 1905 in Berlin.    Silke Osman

Die Ausstellung in der Alten Nationalgalerie, Bodestraße 1–3, Berlin, ist bis zum 8. August dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 22 Uhr zu sehen, Eintritt 8 / 4 Euro.


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