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10.07.10 / Geopolitik statt Selbstbestimmung / Bei der Ziehung der Grenzen in Mitteleuropa gerieten 1918/19 viele Deutsche unter fremde Herrschaft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-10 vom 10. Juli 2010

Geopolitik statt Selbstbestimmung
Bei der Ziehung der Grenzen in Mitteleuropa gerieten 1918/19 viele Deutsche unter fremde Herrschaft

Am 16. Juli 1920 trat der Friedensvertrag von St. Germain in Kraft. Er zwang dem neuen Staat „Republik Österreich“ nicht nur höchst umstrittene Grenzen auf, sondern hatte auch tiefgreifende Folgen für die Kräftekonstellation in Ostmitteleuropa. Die Konferenz der Siegermächte in Paris gab zwar vor, bei der Grenzziehung dem Selbstbestimmungsrecht der Völker zu entsprechen, doch verletzte sie dieses Prinzip mehrfach flagrant. Aus geopolitischen Gründen förderte vor allem Frankreich zwei Nachfolgestaaten der Donaumonarchie, die Tschechoslowakei und Jugoslawien.

Die Nationalversammlung in Wien hatte Österreichs Staatsgebiet bereits am 22. November 1918 festgelegt: Neben der Eingliederung Deutsch-Südtirols folgte die Grenze den ehemaligen Kronländern Kärnten und Steiermark, während man im Norden alle Gebiete der neuen Tschechoslowakei, die von Deutschen besiedelt waren, beanspruchte. Die österreichische Delegation unter Staatskanzler Karl Renner in Paris musste jedoch im Sommer 1919 schnell einsehen, dass Frankreich, aber auch Italien seine Interessen brutal verfocht. Dies zeigte sich beispielsweise im Falle Südtirols.

Obwohl Präsident Woodrow Wilson eine Teilung entlang „klar erkennbarer ethnischer Trennlinien“ verkündet hatte und seine Berater entsprechende Vorschläge unterbreiteten, forderten die Italiener ganz Südtirol bis zum Brenner-Pass, außerdem das Sextental und Tarvis. Sie pochten hierbei auf das Prinzip der Wasserscheidengrenze. Eine Grenzziehung vom Ortler über die Salurner Klause bis nach Sexten hätte ebenso einer „natürlichen Grenze“ entsprochen, und obendrein verletzte die Annexion von Innichen, Sexten und Tarvis das genannte Prinzip. Die italienische Delegation setzte Wilson heftig unter Druck, indem sie drohte, den geplanten Völkerbund zu Fall zu bringen, so dass er schließlich nachgab.

Mehr Erfolg hatte Österreich bei der Verteidigung seiner Ansprüche gegenüber dem neuen Königreich Jugoslawien. In Kärnten hatte man seit Dezember 1918 slowenischen und serbischen Truppen heftige Abwehrkämpfe geliefert, da Slowenien seine Forderungen mit Waffengewalt durchsetzen wollte. Im Juni 1919 besetzten die Angreifer Klagenfurt, mussten die Stadt aber auf Druck der Siegermächte wieder räumen. Inzwischen hatte eine amerikanische Studienkommission das strittige Gebiet bereist und ein für Österreich günstiges Gutachten unterbreitet. Daraufhin wurde im Friedensvertrag bestimmt, eine Volksabstimmung entscheiden zu lassen. Das Abstimmungsgebiet wurde in zwei Zonen geteilt, wobei die von Belgrad unterstützten Slowenen in der südlichen Zone die deutschsprachige Bevölkerung schwer unter Druck setzten. Doch bei der Volksabstimmung vom 10. Ok­tober 1920 sprachen sich 59 Prozent der Berechtigten für den Verbleib bei Österreich aus, so dass die Abstimmung in der nördlichen Zone entfiel.

In der Südsteiermark ging ein beträchtliches Gebiet verloren. Dort hatten slowenische Truppen die wichtige Stadt Marburg an der Drau besetzt und waren in rein deutschsprachige Gebiete vorgedrungen. Obwohl die Friedenskonferenz zunächst eine Volksabstimmung über den Verbleib des Marburger Beckens zugesagt hatte, setzten sich die Jugoslawen mit Hilfe Frankreichs durch. Den Südsteirern wurde somit das Selbstbestimmungsrecht verweigert.

Einen schweren Misserfolg musste Österreich bei seinen Ansprüchen auf die deutsch besiedelten Gebiete in Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien hinnehmen, zu denen auch die Sprachinseln Brünn, Olmütz und Iglau gehörten. Ab November 1918 besetzten tschechische Verbände die strittigen Gebiete, wobei es punktuell zu Kämpfen kam, die auf deutsch-österreichischer Seite 20 Tote forderten. Noch weit mehr Tote forderte die tschechische Lebensmittel- und Kohlenblockade gegen das sudetendeutsche Grenzland und Wien. Prag strebte die Einbeziehung aller 3,2 Millionen Deutschösterreicher an, und Frankreich unterstützte den tschechoslowakischen Nationalrat in Paris, da der neue Staat als Bollwerk gegen den „Pan­-

germanismus“ galt. Trotz schärfster Einwände Renners gingen die Deutschösterreicher der ehemaligen Kronländer Böhmen und Mähren verloren. Sie bildeten mit den Tschechen, Ungarn, Slowaken und Ruthenen einen Vielvölkerstaat, der von Anfang an gravierende Problemen hatte.

Gegenüber Ungarn konnte Österreich einen Kompromiss erzielen. Man strebte die Eingliederung der vier überwiegend von Deutschen bewohnten westungarischen Komitate an, die die Bezeichnung „Burgenland“ erhielten. Das Gebiet gehörte seit dem Jahre 907 zu Ungarn, war aber seit dem späten Mittelalter deutsch besiedelt, hinzu kam eine kleine kroatische Volksgruppe, die in der frühen Neuzeit hier angesiedelt worden war. Tschecho­slowakische Politiker nahmen sie zum Vorwand, um einen slawischen Korridor zu verlangen. Er sollte die Tschechoslowakei mit Jugoslawien verbinden und gleichzeitig Österreich von Ungarn trennen. Hier stießen aber die tschechischen Ambitionen mit der Politik Italiens zusammen, das im Donauraum eigene Ziele verfolgte. Der Friedensvertrag schlug das Gebiet um Pressburg/Bratislava der Tschechoslowakei zu, während der größere Teil des nachmaligen Burgenlandes an Österreich fiel. Im August 1921 stieß österreichische Gendarmerie bei ihrem Einrücken ins Burgenland auf bewaffneten Widerstand ungarischer Freischärler, und die Regierung in Wien konnte nicht durchgreifen, da man die Lebensmittellieferungen aus Ungarn brauchte. Die beiden Restaurationsversuche Kaiser Karls in Ungarn verschärften die Lage. Nun sollte eine auf Ödenburg beschränkte Volksabstimmung entscheiden, die in der Hand Italiens lag und am 14. Dezember 1921 stattfand. Unter offenen Manipulationen stimmten 64 Prozent der Befragten in der fast rein deutschsprachigen Stadt für den Verbleib bei Ungarn.

Die Grenzregelungen wurden von zahlreichen Bürgern Österreichs als schweres Unrecht empfunden. Dazu kam die Angst vor revolutionären Umbrüchen, wie sie in Form der Räteregierungen in Bayern und Ungarn 1919 sichtbar wurden. Als Reaktion kam es zur Entstehung von rechtsgerichteten Gruppen und Vereinigungen, die ihre Aufgabe nicht zuletzt im Selbstschutz sahen und regen Zulauf aus dem von Verelendung betroffenen Bürgertum erhielten. Diese Gruppen, darunter die „Frontkämpfervereinigung“, vertraten Ideologien, die nach Wiedererrichtung der Monarchie oder Anschluss an das Deutsche Reich strebten. Verschärft wurde die Lage durch massive wirtschaftliche Nöte. Nur die Gewährung einer hohen Auslandsanleihe 1922 versprach Rettung, doch Österreich musste die Bedingungen des Völkerbundes akzeptieren, und die Hypothek aus dem Friedensvertrag blieb aufrecht. Heinz Magenheimer


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