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10.07.10 / Das große Kneipensterben / Die einst beliebten Lokale finden immer weniger Kundschaft – Fast-Food-Ketten füllen die Lücken

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-10 vom 10. Juli 2010

Das große Kneipensterben
Die einst beliebten Lokale finden immer weniger Kundschaft – Fast-Food-Ketten füllen die Lücken

Immer mehr Eckkneipen und Wirtshäuser verschwinden aus den Stadtbildern. Die einstigen Zentren der Kommunikation und des gesellschaftlichen Lebens werden geschlossen, weil kaum noch Kundschaft kommt. Ein Trend, der in fast ganz Mitteleuropa zu beobachten ist.

Schlatt ist ein idyllisches Dorf am Rande der Schwäbischen Alb gegenüber dem Stammsitz der Preußen, der stolzen Burg Hohenzollern. Früher hatte die Gemeinde 600 Einwohner und fünf Wirtshäuser, heute beherbergt sie 900 Bewohner und besaß lange Jahre kein einziges Lokal mehr. Erst vor kurzem wagte sich ein junger Wirt aus dem Nachbarweiler Beuren wieder hinter einen Tresen und betreibt seitdem das Restaurant „Zum Hannes“ in den Räumen des früheren „Schützen“.

Wehmütig erinnern sich die älteren Bewohner an die Lokale ihrer Jugend, die „Sonne“, das „Lamm“, den „Schützen“, die „Rose“ und den „Kühlen Grund“ – Stätten gemeinsamer Fröhlichkeit und Feste, Treffpunkte mit Stammtischen, an denen Nachrichten getauscht und Lokalpolitik gemacht wurde. Die Wirtshäuser waren, wie überall in deutschen Landen, Zentren der Kommunikation und des Gemeindelebens und für so manchen auch „verlängertes Wohnzimmer“.

Das alles war einmal und Schlatt, aus dem seit den 60er Jahren nach und nach die traditionellen kleinbäuerlichen Betriebe verschwanden, ist heute Gemeindeteil der Kleinstadt Hechingen und kann als Beispiel eines Trends dienen, der fast ganz Mittel- und Westeuropa erfasst hat: das große Kneipensterben.

Ob es sich um die gemütlichen Pubs der Irischen Insel oder des benachbarten Großbritannien handelt oder die Bistros der Franzosen, die Cafeterien auf dem italienischen Stiefel oder die rheinische Stehbierkneipe, die neue Zeit hat zu einem teilweise dramatischen Sterben kleiner Lokale, wie etwa der berühmten Berliner Eckkneipen an fast jeder Straßenkreuzung, geführt. Mit diesen Institutionen des sprichwörtlichen kleinen Mannes stirbt aber auch eine jahrhundertealte Kultur, als die Menschen noch nicht vor den Fernsehapparaten saßen und ihr Lebens- und Heimatgefühl aus der nachbarschaftlichen Unterhaltung schöpften. Klagte etwa Michael Gramberg, lange Jahre im ARD-Büro Paris tätig: „Ein Bistro nach dem anderen verschwindet und muss Fast-Food-Palästen weichen. Die Gemütlichkeit in den Arrondissements ist dahin, der Patron mit der Baskenmütze und das Treffen zum sonntäglichen Pastis mit Bekannten und Freunden gehört einer vergangenen Epoche an.“ Tristesse am Tresen: Allein in Paris wurde im vergangenen Jahr in 2000 Bistros der Zapfhahn abgedreht.

Die Zahlen sprechen für sich: In England schließen im Schnitt mindestens sechs Kneipen am Tag oder – wie 2009 – mehr als 55 die Woche, stellte die „British Beer and Pub Association“ fest. Setze sich der Trend fort, so würde es im Vereinigten Königreich 2037 keine Pubs mehr geben. Noch existieren immerhin rund 57000 der Bierschwemmen, doch schon 2009 machten gleich 2000 der traditionellen Kneipen dicht, rund 20000 Arbeitsplätze gingen verloren. Ähnliches gilt für  Irland, in dem das Pub geradezu zur nationalen Identität gehörte. Jeden Tag schließt eines der Traditionshäuser, 15000 Arbeitsplätze gingen seit 2001 verloren. In den nächsten drei Jahren wird für jährlich 350 Kneipen mit dem Aus gerechnet. Das typische Guinness-Pub könnte es bald nur noch im Ausland geben.

Das Szenario ist überall dasselbe, die Gäste bleiben aus, der Umsatz bricht ein, die Einnahmen reichen nicht mehr, um die hohe Pacht zu berappen. Von den gut 200000 französischen Bistros vor 50 Jahren sind gerade noch 36000 übrig geblieben. Sogar in Europas heimlicher Bierhauptstadt München grassiert die Seuche. Beliebte Lokale wie die Schwabinger „7“, die „Koralle“ und das „Kings and Queens“ gehören der Vergangenheit an, in Hamburg und Berlin sieht es nicht viel anders aus.

Als Beispiel mag der Prenzlauer Berg in der Bundeshauptstadt dienen. Alteingesessene sprechen von der „Yuppiesierung“ ihres Viertels, in dem eine der alteingesessenen Kaschemmen nach der anderen modernen Läden, Coffeeshops oder Fast-Food-Tempeln weichen muss. Ähnliches kennzeichnet die Situation am Hamburger Hafen oder an der Sündenmeile Reeperbahn: Alte Seefahrerkneipen, in denen schon Jan Maat aus der Ära der Segelschiffe verkehrte, mussten Büropalästen oder Schicki-Micki-Bars Platz machen.

Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband Dehoga registrierte in den Jahren 2005 bis 2008 einen Schwund der Schankwirtschaften um 12,9 Prozent, was im Vergleich zu anderen Sparten der Gastronomie ein „signifikanter Rückgang“ sei. Im Jahr 2008 existierten in deutschen Landen noch 38549 solcher Beizen. Nach Schätzungen des Verbandes dürften jährlich 1300 „Bewirtungsstätten mit Ausschank von Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle“ verschwinden, wie der offizielle Fachausdruck für das heißt, was beispielsweise die Schweizer als „Spunten“ bezeichnen und dessen Verschwinden sie ebenfalls bedauern.

Die Gründe sind vielfältig und reichen vom Rauchverbot bis zum Aussterben der Stammgäste, für die keine Jugend nachwächst, weil sie anderen Interessen nachgeht, von Überalterung des Wirtspaares sowie zu hohen Pachten und Auflagen bis zu exorbitanten Alkoholsteuern, von den Auswirkungen der Wirtschaftskrise mit Kurzarbeit und Niedriglohnjobs bis zu der Tatsache, dass etwa McDonalds oder Burger King höhere Mieteinnahmen garantieren. Joachim Feyerabend


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