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10.07.10 / CIA-Chef schützte SS-Offizier / Warum Karl Wolff sich nicht in Nürnberg verantworten musste

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-10 vom 10. Juli 2010

CIA-Chef schützte SS-Offizier
Warum Karl Wolff sich nicht in Nürnberg verantworten musste

Als in den Nürnberger Prozessen nach 1945 nahezu die gesamte Führungsriege der SS vor Gericht gestellt wurde, da fehlte unter den Angeklagten ein wichtiger Name, nämlich der des SS-Obergruppenführers und Generals der Waffen-SS Karl Wolff. Zwar erschien dieser in Nürnberg vor Gericht, aber nicht als Angeklagter, sondern als Zeuge. Das warf bei vielen Beobachtern Fragen auf, war Wolff doch immerhin Chef „Persönlicher Stab Reichsführer-SS“ gewesen und damit einer der ranghöchsten noch lebenden SS-Führer. Sein Rang entspricht dem eines Vier-Sterne-Generals.

Was waren also die Gründe für eine solch offensichtliche Immunität? Diesem Rätsel ging jetzt die promovierte Historikerin Kerstin von Lingen in ihrem Buch „SS und Secret Service – ,Verschwörung des Schweigens‘: Die Akte Karl Wolff“ nach. Der Autorin gelingt der Nachweis, dass es der US-Geheimdienst war, der Wolff lange Zeit vor Strafverfolgung bewahrte. Als er dann schließlich doch noch von einem deutschen Gericht verurteilt wurde, waren es wieder namhafte Politiker, Diplomaten und Militärs in den USA und Großbritannien, die durch ihre Interventionen erreichten, dass der ehemalige SS-General schon bald aus der Haft entlassen wurde.

Der Grund: Karl Wolff hatte 1945 die Teilkapitulation der deutschen Streitkräfte in Italien (Codename „Operation Sunrise“) vollzogen und zwar allein gegenüber den Westalliierten, was eindeutig im Widerspruch zu den Vereinbarungen der Konferenz von Casablanca (1943) stand, die nur eine Gesamtkapitulation gegenüber allen drei großen Alliierten (USA, Großbritannien, Sowjetunion) vorsah und überdies die SS – und damit auch die Waffen-SS – von allen Verhandlungen und Kontakten ausschloss.

Genau dieser Übereinkunft aber hatten die Angloamerikaner am Ende des Krieges zuwidergehandelt, indem sie eigenmächtig über die Schweiz Kontakte mit den Deutschen an der Südfront aufnahmen, um sich in der politischen Nachkriegsordnung Europas Vorteile zu verschaffen. Ansprechpartner war hierbei Karl Wolff, „Höchster SS- und Polizeiführer“ und „Bevollmächtigter General der Deutschen Wehrmacht“ in Italien. Initiator der Kontakte war Allen W. Dulles, Leiter der Außenstelle des US-amerikanischen Nachrichtendienstes OSS (Office of Strategic Services)/Sektion Bern, der später (1953−1962) CIA-Chef wurde. Weil Dulles durchaus klar war, dass der Handel für Wolff ein beträchtliches Risiko bedeutete, stellte er ihm für die Zeit nach dem Krieg eine bevorzugte Behandlung einschließlich Schutz vor Strafverfolgung in Aussicht.

In seiner Zeit als CIA-Chef lobt Dulles Wolff immer wieder als ehrlichen und absolut verlässlichen Gesprächspartner und versucht damit, „ihn aus dem üblichen Beurteilungsschema für SS-Offiziere zu lösen“. Bald ergreifen auch in Deutschland prominente Verteidiger das Wort. So stellt sich der ehemalige deutsche Botschafter am Vatikan, Ernst von Weizsäcker, ebenso vor Wolff wie der frühere Generalstabschef der deutschen Truppen in Italien und ab 1956 erste Inspekteur des Heeres der Bundeswehr, Generalleutnant Hans Röttiger. Im Zuge der Entnazifizierung wird Wolff denn auch nur in die Kategorie III („Minderbelasteter“) eingestuft. Als sein amerikanischer „Schutzengel“ Dulles 1962 aber von Präsident Kennedy entlassen wird, steht Wolff plötzlich wieder im Fokus der Öffentlichkeit, zumal zeitgleich der Eichmann-Prozess in Gang gesetzt wird, der auch in Deutschland zu einer Veränderung des gesellschaftlichen Klimas führt. Wolff wird verhaftet und 1964 zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Für die Medien hat das Urteil jedoch eher symbolischen Charakter, da Wolff selbst „keinerlei Mordabsicht oder Beteiligung an Tötungen nachgewiesen werden konnte“, obwohl er zum engsten Kreis um Himmler zählte.

Weithin geachtet, stirbt Karl Wolff 1984 im Alter von 84 Jahren. Ein brillantes wissenschaftliches Werk, in dem kleine Ungereimtheiten nicht sonderlich ins Gewicht fallen.         Wolfgang Reith

Kerstin von Lingen: „SS und Secret Service – ,Verschwörung des Schweigens‘: Die Akte Karl Wolff“, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn-München-Wien-Zürich 2010, gebunden, 273 Seiten, 29,90 Euro


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