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10.07.10 / Kleines Land ganz groß / Geschichte und Traditionen Estlands − Zwischen Sängerfesten und web 2.0

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-10 vom 10. Juli 2010

Kleines Land ganz groß
Geschichte und Traditionen Estlands − Zwischen Sängerfesten und web 2.0

Die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sind heute sowohl Bündnispartner in der Nato als auch Mitglieder der Europäischen Union – eine Entwicklung, die vor knapp 20 Jahren, als sie wieder unabhängig wurden, undenkbar schien. Estland, so sagen alle Statistiken, hat es dabei am weitesten gebracht und ist wie kaum ein anderer Staat in der Welt vernetzt und verkabelt und wird demnächst Mitglied der Euro-Währungszone.

Der Wiener Picus-Verlag hat jetzt in seiner ansprechenden „Lesereise“ das kleine und doch so faszinierende Land vorgestellt. Die Autorin ist welterfahrene Reise-Journalistin; sie erzählt überwiegend vom modernen Estland, das sich nach der Lösung von der Sowjetunion im Herbst 1991 in der Tat zu einem der wirtschaftlich erfolgreichsten Länder in Osteuropa entwickelt hat. Mittels anschaulicher, einfühlsamer, mitunter freilich auch etwas zu behaglich erzählter Reportagen fächert sie das heutige Leben in Estland auf: Sie zeigt sich – wie alle Reisenden, die auch nur einmal dort gewesen sind – fasziniert von der mittelalterlichen, inzwischen liebevoll wieder hergestellten Altstadt der Hauptstadt Reval (Tallinn), ebenso von der alten Universitätsstadt Dorpat (Tartu), aus der auch viele deutsche Geistesgrößen gekommen sind, nimmt den Leser mit in unberührte Weiten der moorreichen Naturparks (lässt allerdings das verpestete Schieferabbaugebiet um Kochtla-Järve völlig aus), staunt über die wiederhergestellten Gutshäuser des einstigen deutschen Landadels und ist überwältigt von der Naturschönheit der großen, noch immer weitgehend unberührten Inseln Ösel (Saaremaa), Mohn (Muhu) und Dagö (Hiiumaa), die in der Tat zu den schönsten Eilanden im ganzen Ostseeraum gehören.

Die Esten sind sowohl aufs engste mit ihrer Tradition (Sängerfeste, Sonnenwendfeiern) verbunden, durch die sie sich letztlich gegen die sowjetische Übermacht behaupten konnten, als auch allem technischen, gerade dem elektronischen Fortschritt gegenüber fast schon beklemmend aufgeschlossen. Von Bedenken, die umfassende Vernetzung schier aller gesellschaftlichen Bereiche könne einem Überwachungsstaat Vorschub leisten, wollen sie nichts wissen.

Das kleine Buch wird Estland sicher neue Freunde gewinnen. Leser mit ausgeprägtem historischen Bewusstsein hätten sich gewünscht, dass die engen und Jahrhunderte langen deutsch-baltischen Beziehungen etwas stärker herausgestellt worden wären, der Einfluss der Hanse, deutsch-baltische Wissenschaftler und Dichter wie Bergengruen („Tod in Reval“), wozu deutsche Geistliche (der 1919 von den Bolschewiki ermordete, als „Apostel des Baltikums“ posthum verehrte Pfarrer Traugott Hahn) zählen, sowie dass man überhaupt auch mehr über die bedrückende Geschichte Estlands im 20. Jahrhundert erfahren hätte.

Ein wirkliches Manko: Es fehlt eine Landkarte, die informiert hätte, wo man sich gerade befindet.   Dirk Klose

Stefanie Bisping: „Lesereise Estland – Das Model und der Kapitän“, Picus Verlag, Wien 2010, 131 Seiten, 14,90 Euro


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