24.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
17.07.10 / »Klarmachen, womit man rechnen muss« / Der Althistoriker Alexander Demandt erklärt, warum die Geschichte immer wieder instrumentalisiert wird

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-10 vom 17. Juli 2010

»Klarmachen, womit man rechnen muss«
Der Althistoriker Alexander Demandt erklärt, warum die Geschichte immer wieder instrumentalisiert wird

Der Berliner Althistoriker Professor Alexander Demandt sprach während des 33. Kongresses des Studienzentrums Weikersheim über das Thema „Visionen und Illusionen zur Zukunft Europas“. Zur Aufgabe des Historikers in der Gesellschaft gab er der Preußischen Allgemeinen Zeitung folgendes Interview:

PAZ: Worum geht es dem Historiker im Prinzip?

Alexander Demandt: Es geht ihm darum, seinen Zeitgenossen zu verdeutlichen, dass die menschliche Erfahrung – und nichts anderes ist ja Geschichte – nicht umsonst gewesen sein sollte. Das heißt, der Historiker muss den Leuten klarmachen, wie es früher war, denn dann wundern sie sich über manche aktuellen Zeiterscheinungen längst nicht im gleichen Maße. Der Historiker wird jedoch niemals seinen Mitmenschen sagen, was sie zu tun und zu lassen haben. Er wird ihnen nur klarzumachen versuchen, womit sie rechnen müssen...

PAZ: ...nach dem Motto: „Alles schon einmal dagewesen“?

Demandt: Ja, der Spruch von Ben Akiba, dass nichts Neues auf der Welt existiert, stimmt schon. Auch König Salomon hat das mit den Worten „Es gibt nichts Neues unter der Sonne“ ausgedrückt. Gerade als Historiker hat man den Eindruck, dass sich die menschlichen Konstellationen auf dieser Welt wiederholen. Natürlich kommen im Laufe der Zeit mit der Technik, mit den Wissenschaften oder mit dem Wohlstand neue Faktoren hinzu. Aber die Grundbedürfnisse der Menschen, ihre komplexen Verhaltensweisen mit ihren Fehlern tauchen in der Geschichte immer wieder auf. Das spiegelt sich bis in konkrete Einzelheiten hinein, etwa in der Bevölkerungspolitik oder im Verhältnis von arm und reich, im Verhältnis zwischen Kulturwelt und Barbarei.

PAZ: Heißt das, dass der Historiker sich einer realistischen Anthropologie, also einem eher konservativen Menschenbild verpflichtet fühlen sollte, weil er weiß, dass die Bäume weltanschaulicher Zukunftsträume nicht in den Himmel wachsen?

Demandt: So könnte man es sagen. Aufgabe des Historikers ist es ja, den Leuten immer wieder die enttäuschten Hoffnungen vergangener Epochen sozusagen „aufs Butterbrot zu schmieren“, utopische Weltanschauungen, wie den Marxismus-Leninismus oder auch die nationalsozialistische Ideologie, einer kritischen Prüfung zu unterziehen und deren Ergebnisse der Öffentlichkeit vorzulegen. Man hat eben nicht die – sehr unterschiedlich gedachte – goldene Zukunft in der Tasche. Der Himmel auf Erden ist für uns nicht erreichbar. Wer ihn dennoch anstrebt, etwa in Form der vom angeblich wissenschaftlichen Kommunismus verkündeten klassenlosen Gesellschaft, hat dann nicht den Himmel, sondern die Hölle auf Erden erlebt. Oder denken Sie an die ideologische Konzeption der vermeintlichen Überlegenheit einer arischen Rasse im Dritten Reich mit ihren fatalen Folgen. Eine realistische Anthropologie als Basis für gesellschaftliche Entwürfe ist nicht nur für den Historiker von großem Vorteil. Sie führt zur Einsicht in das, was für Menschen möglich ist.

PAZ: Vom Allgemeinen zur aktuellen Geschichtslage der Deutschen in Europa: In seiner bekannt-provokativen Art schrieb der deutsch-jüdische Schriftsteller Henric M. Broder unlängst in Hinblick NS-Diktatur: „Je länger das Dritte Reich zurückliegt, desto mehr Planstellen wirft es ab“.

Demandt: Das Trauma des Dritten Reiches, genauer gesagt, der Judenverfolgung im Nationalsozialismus, sitzt unglaublich tief. Und wird auch von bestimmten Kreisen aus unschwer nachvollziehbaren Gründen lebendig gehalten, wobei diese Akteure einer immerwährenden Vergangenheitsbewältigung, einer Vergangenheit, die nicht vergeht, wie Ernst Nolte es einmal formuliert hat, abgesehen von ihrem materiellen Eigeninteresse, immer auch ein gewisses Recht haben, auf die unbestreitbaren Verbrechen der braunen Epoche in Deutschland hinzuweisen. Das führt aber schließlich dazu, dass unsere Regierungen sich immer wieder erpressen lassen. Nach meiner langen Beobachtung verdichtet sich der Eindruck, dass die Deutschen deswegen die positiven Möglichkeiten nicht nutzen, die sie als stärkste Wirtschaftsmacht und als das bevölkerungsreichste Land in Europa tatsächlich besitzen. Es ist doch unbegreiflich, dass in Europa die deutsche Sprache nicht im gleichen Maße wie das Englische und Französische akzeptiert ist, obwohl es mehr deutschsprechende Bürger in Europa gibt, als französisch- oder englischsprechende.

PAZ: Kritiker weisen in diesem Zusammenhang auf eine Instrumentalisierung der Geschichte  für gegenwärtige Zwecke hin. Ein immer wieder auftretendes Phänomen?

Demandt: Geschichte ist immer wieder instrumentalisiert worden. Und zwar deswegen, weil die Kenntnis um die Prägekraft von Vergangenheit einen hohen Suggestivwert auf Menschen haben kann. Wenn man jemandem sagen kann, der Lauf der Geschichte habe eine bestimmte Entwicklung bewiesen, dann ist die Wirkung ungewöhnlich stark. Daher sind eigene Geschichtskenntnisse für alle Bürger so dringlich, um ein selbstbestimmtes Leben im Gemeinwesen führen zu können. Nur so lassen sich manipulative Geschichtsdeutungen in ihrer negativen Wirkung vermeiden. Die Aufgabe heißt also: Werde Herr Deiner eigenen Geschichte und Deines Landes unter Einschluss der Nachbarvölker, prüfe alle Quellen der Vergangenheit auf Richtigkeit, gewichte sie angemessen und ausgewogen. Nicht zuletzt: Erkenne Geschichtsklitterungen als Verfälschungen!

PAZ: Sprechen Sie hiermit die geschichtspolitische Variante von „politischer Korrektheit“ an?

Demandt: Ja, die ist auch gemeint. Man muss sich gegen jede historische beziehungsweise politische Korrektheit schon allein deswegen verwahren, weil ihre negative Wirkung ja in einer ärgerlichen Volksverdummung besteht, ich kann es nicht anders bezeichnen: Volksverdummung in der Form einer indirekten gesellschaftlich motivierten Zensur. Auch die Tatsache, dass in der Bundesrepublik Deutschland einige historische Fragen des 20. Jahrhunderts per Strafrecht vor abweichenden Geschichtsinterpretationen geregelt sind, gehören zu diesem trüben Kapitel. Geschichtsrevision ist doch das Wesenselement offener Geschichtsforschung. Nur so ist eine Annäherung an die Wahrheit möglich, Staatsanwälte sind da fehl am Platz.

PAZ: In der Bundesrepublik läuft seit dem Jahre 2000 die von Rot-Grün gestartete Kampagne „Kampf gegen Rechts“, deren propagandistisches Axiom lautet: „Rechts gleich Rechtsextrem“. Was sagt der Historiker zu so einer Gleichung?

Demandt: Rechts und rechtsextrem ist natürlich nicht dasselbe, keine Frage. Wer die Gleichung bejaht, ist intellektuell nicht ernst zu nehmen. Aber zur Erklärung: Wir haben eine linksorientierte Medienlandschaft, die die öffentliche Meinung in Deutschland prägt. So wird die mediale Aufblähung einer Gefahr von rechts in feindfixierter Gründlichkeit von links bis in bürgerliche Kreise betrieben. Natürlich gibt es bei uns einen Bodensatz von unbelehrbaren Neonazis. Ich sehe in ihnen aber keine staatspolitische Bedrohung ernsthafter Natur. Extremistische und fundamentalistische Bestrebungen haben sich gründlich desavouiert. Das lehrt wenn irgendetwas, die Geschichte.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren