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17.07.10 / Den DDR-Agenten an den Kragen / FDP will alle Bundestage der Jahre 1949 bis 1990 durchleuchten − SPD fürchtet Enthüllungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-10 vom 17. Juli 2010

Den DDR-Agenten an den Kragen
FDP will alle Bundestage der Jahre 1949 bis 1990 durchleuchten − SPD fürchtet Enthüllungen

„Im Bundestag sitzen wir in Fraktionsstärke“, feixte DDR-Spionagechef Markus Wolf. In der Tat ist das Thema Stasi-Einfluss auf die bundesdeutsche Politik erst in Ansätzen aufgeklärt. Die schwarz-gelbe Koalition bringt es wieder aufs Tapet.

Die FDP-Fraktion hat einen erneuten Antrag eingebracht, mit dem Ziel, den Einfluss der DDR-Staatssicherheit auf den Bundestag und die Bundesregierung zu untersuchen. Alle Abgeordneten zwischen 1949 und 1990 sollen untersucht werden. Diesmal scheint die Union den Vorstoß nicht blockieren zu wollen. Es spreche nichts gegen eine systematische Überprüfung, sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). „Es darf nicht der Eindruck entstehen, wir würden ausgerechnet für das Verfassungsorgan Deutscher Bundestag eine Aufklärung dieser Frage für entweder unzumutbar, unnötig oder unpassend halten“, meinte Lammert. „So wie wir das an anderer Stelle veranlassen, sollten wir es bei uns selber auch tun.“

Der Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Stefan Müller, äußerte sich ähnlich positiv. „Alle Akten müssen offengelegt werden“, meint er. „Der Bundestag muss nach 20 Jahren deutscher Einheit den Mut haben, sich seiner Vergangenheit zu stellen.“ Außerdem verlangt Müller die Überprüfung aller derzeitigen Abgeordneten – was speziell mit Blick auf die Linkspartei besonders unterhaltsam werden dürfte. So war der Musikproduzent und Links-Abgeordnete Dieter Dehm, der Joachim Gauck und Christian Wulff mit Hitler und Stalin verglichen hatte, bekanntermaßen Westspion der Stasi. Wer „jahrelang Kollegen und Parteifreunde bespitzelt“ habe, müsse sein Mandat niederlegen, so Stefan Müller.

Das bedeutet nichts weniger als eine 180-Grad-Wende der Union. Noch 2007 und 2009 hatte sie – offenbar mit Rücksicht auf den damaligen Koalitionspartner SPD – eine Generalüberprüfung abgelehnt. Doch schon damals klang die offizielle Begründung in sich widersprüchlich. Für ihre Fraktion komme ein Schlussstrich unter das Kapitel Stasi-Verstrickung nicht in Frage, der damalige Antrag der FDP sei aber „populistisch“, sagte die CDU-Abgeordnete Maria Michalk im Mai 2009. Bei einer persönlichen Überprüfung von Abgeordneten müsse deren persönliche Einwilligung vorliegen – keine sehr erfolgversprechende Strategie. Doch müsste für eine Zwangs-Überprüfung wohl das Stasi-Unterlagengesetz geändert werden.

2007 hatten die damaligen Fraktionsgeschäftsführer von Union und SPD, Norbert Röttgen und Olaf Scholz, erneute Überprüfungen einhellig abgelehnt. Zur Begründung dienten „erhebliche Zweifel, ob es gelingen wird, in der Öffentlichkeit klar zwischen Tätern und Opfern des DDR-Systems zu unterschieden“. Allerdings gibt es bisher keine Hinweise, dass die Deutschen so blöd wären, beispielsweise Politiker wie Helmut Schmidt oder Franz Joseph Strauß für Stasi-Agenten zu halten, obwohl die Stasi dicke Akten über sie angelegt hat. Wahr ist, dass die Sachlage nicht immer so eindeutig ist. Die Stasi-Unterlagenbehörde hat bisher nur eine Wahlperiode genauer untersucht, die von 1969 bis 1972 mit dem konstruktiven Misstrauensvotum der CDU/CSU gegen Willy Brandt. Mindestens 49 der damaligen Abgeordneten waren registriert, 43 davon als Inoffizielle Mitarbeiter (IM). Aber nicht jeder davon war Täter, viele davon waren sogar Opfer, die von Spionen in ihrem Umfeld „abgeschöpft“ wurden. So existierten umfangreiche Akten von erklärten Gegnern des SED-Unrechtsstaates wie Friedrich Zimmermann und Rainer Barzel; auch über Willy Brandt gibt es eine Akte. Behördenleiterin Marianne Birthler erklärte, insgesamt drei dieser 49 Personen seien offenkundig „willentlich und wissentlich“ für die Staatssicherheit tätig gewesen. Nach Presserecherchen gibt es bei weiteren sechs „ernste Hinweise“. Genaueres weiß man indes nicht, auch weil die Rosenholz-Dateien mit mehr als 350000 Datensätzen immer noch nicht öffentlich zugänglich sind. Die Zahl der noch nicht enttarnten West-Agenten insgesamt schätzt der Direktor der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, auf 20000 bis 30000.

Die bisherige Zurückhaltung der Union dürfte vor allem der Rücksicht auf den früheren Koalitionspartner SPD geschuldet sein. Wie die „Zeit“ feststellt, wehrt sich die SPD von allen demokratischen Parteien am stärksten gegen eine umfassende Aufklärung. Denn bei ihr „wären auch die meisten unangenehmen Enthüllungen zu erwarten“: Von den auffälligen Abgeordneten 1969 bis 1972 hatten über 30 das SPD-Parteibuch. Namentlich bekannt sind die Bundestags-Spione Gerhard Flämig und der Wehner-Vertraute Karl Wienand (beide SPD), außerdem William Borm (FDP).

Der bekannteste Fall von Stasi-Einfluss auf die deutsche Politik sind die von Markus Wolf so genannten „Brandtschutz-Wochen“ im April 1972. Wegen der umstrittenen Ostpolitik war Bundeskanzler Brandt angeschlagen, Abgeordnete der sozialliberalen Koalition waren zur Union übergelaufen, so dass diese eine Mehrheit im Bundestag hatte. Es kam am 27. April zum konstruktiven Misstrauensvotum, Unions-Fraktionschef Barzel trat gegen Brandt an. Doch die Stasi schmierte zwei Unionsabgeordnete, Julius Steiner (IM Theodor) und Leo Wagner (IM Löwe) mit je 50000 D-Mark. In der geheimen Abstimmung votierten sie für Brandt, der blieb im Amt, bis er – Ironie der Geschichte – 1974 über einen Ost-Spion in seinem engsten Umfeld stürzte: Stasi-Hauptmann Günter Guillaume. Der soll zuvor auch dafür verantwortlich gewesen sein, dass Reden des Bundeskanzlers Brandt teilweise von Markus Wolf in Ost-Berlin geschrieben wurden.

Aber auch die Überprüfung des ersten gesamtdeutschen Bundestages nach der Wende (1990–1994), der Spitzenfunktionäre der Nachwende-DDR sowie der ersten Ost-Ministerpräsidenten könnte spannend werden. Wie Kenner hinter vorgehaltener Hand raunen, waren vier der ersten fünf Ministerpräsidenten des „Beitrittsgebietes“ Zuträger der Stasi. Auch der letzte DDR-Innenminister Peter Michael Diestel wird immer wieder genannt. Er beschäftigte zahlreiche Stasi-Mitarbeiter weiter, zudem wurden in seiner Amtszeit viele Akten der Stasi-Auslandsspionage vernichtet.             Anton Heinrich


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