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17.07.10 / Europäische Blüte im Osten / Adelssitze in Ostpreußen und Nordpolen – Deutsche und polnische Wissenschaftler forschten gemeinsam

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-10 vom 17. Juli 2010

Europäische Blüte im Osten
Adelssitze in Ostpreußen und Nordpolen – Deutsche und polnische Wissenschaftler forschten gemeinsam

Denkt man an die Höhepunkte europäischer Kultur im 17., und 18. Jahrhundert, so hat man gemeinhin West- und Südeuropa vor Augen: das kunstsprühende Italien, das aufklärerische Frankreich und das kühl abwägende England. Nur langsam sickert in das allgemeine Bewusstsein, wie sehr auch das östliche Mitteleuropa, der Kulturraum zwischen Ostsee und der ungarischen Tiefebene, diesem kulturellen Höhenflug zugerechnet werden kann. Ein außerordentlich schöner Band über große Herrensitze in Ostpreußen und Kongresspolen, dem heutigen nördlichen Polen, bestätigt dies auf außerordentliche Weise.

Mit großzügiger Förderung von deutscher und polnischer Seite hatte in den vergangenen Jahren ein Team von 21 Wissenschaftlern (elf aus Polen, zehn aus Deutschland) unter Leitung der Kunsthistoriker Isabella Woldt (Hamburg) und Tadeusz J. Zuchoiwski (Posen) einige der berühmtesten Adelssitze in dieser Region erforscht. Dabei lag ein annähernd gleiches Schema zugrunde: Jeweils eine kurze Ortsbeschreibung, Beschreibung und Geschichte des Baus und der jeweiligen Familie, architektonische und künstlerische Besonderheiten sowie Ausstrahlung und Nachwirkung der teils heute verfallenen, teils aber auch wieder hergestellten und genutzten Anlagen.

Nennt man nur Schlösser und Familien, so steht sofort die Geschichte Preußens mit ihren Beziehungen zu Polen-Litauen und zu Russland vor Augen. Der Reigen beginnt mit Schloss Groß-Steinort am Mauersee in Masuren, das sich im 16. Jahrhundert die Familie von Lehndorff errichten ließ und das bis 1945 bestand. Es folgen das Gutshaus Eichmedien der Familie von Hoverbeck im Norden der Masurischen Seenplatte, dann die wohl berühmtesten, weit über Preußen hinaus bekannten Schlösser: Schlodien in Preußisch-Holland der Familie Dohna, Schloss Dönhoffstädt der weitverzweigten deutsch-polnischen Familie Dönhoff im Ermland, das großartige Barockschloss Finck-enstein der gleichnamigen Familie südlich von Elbing, Schloss Schlobitten der Familie Dohna-Schlobitten, gelegen zwischen Danzig und Allenstein und von einem Zeitgenossen als „Sinnbild des deutschen Herrenschlosses“ gepriesen, schließlich der Landsitz Groß-Bellschwitz der Familie von Brünneck zwischen Danzig und Thorn.

Aus dem 19. Jahrhundert, als ein neugotischer Stil triumphierte  und gerade bei den polnischen Besitzern auch Ausdruck eines patriotischen Gefühls war, sind Schloss Ostrometzko der Familie Schönborn im Kulmer Land, das von Stüler erbaute Schloss Gosslershausen im äußersten Westpreußen und die beiden im damaligen Kongresspolen gelegenen Schlösser Dowspuda (Familie Pac) und Opinogora (die polnische Adelsfamilie Krasinski) aufgeführt.

Das Buch ist eine Bestandsaufnahme deutsch-polnischer Baukunst, wie sie in diesem Ausmaß bisher nicht vorlag. Besser: ein Buch europäischer Baukunst dieser Jahrhunderte. Bedingt durch das preußische Herrscherhaus, besonders durch den Großen Kurfürsten, war der niederländische Einfluss auf Architektur und Innenausstattung überall spürbar, und die holländischen Baumeister wiederum waren fest verankert in der Tradition eines Palladio, der französischen Schlossbaukunst sowie – etwas später dann – der englischen und deutschen Gartenkultur. Die hier mit großartigen Bauten vertretenen Architekten Tilman van Gameren, Jean de Bodt und John von Collas dürfen von Rechts wegen gleichrangig neben den großen mittel- und westeuropäischen Meistern stehen.

Das Buch mit seinen meist im deutsch-polnischen „Tandem“ geschriebenen Beiträgen ruft eine unwiederbringlich verloren gegangene Welt zurück. Viele der großen Sitze (man hätte hier auch noch das Dönhoff’sche Friedrichstein aufführen können) sind zerstört oder nur noch Ruine; andere hingegen sind inzwischen doch wieder nutzbar gemacht, mittlerweile auch historisch getreu restauriert worden. So liest man dieses Buch gleichermaßen mit Wehmut und Dankbarkeit. Im Vorwort schreibt das Leitungsteam, „der Erfolg des Projektes war nur unter den Bedingungen des gegenseitigen Verständnisses, jenseits historisch bedingter Vorurteile oder Ressentiments, möglich.“ So ist es, und darum ist dieser auch in seinem Äußeren ungemein ansprechende Band ein schönes Zeichen für eine hoffnungsvolle Zusammenarbeit zwischen beiden Völkern.          Dirk Klose

Isabella Woldt und Tadeusz J. Zuchowski (Hrsg.): „Im Schatten von Berlin und Warschau – Adelssitze im Herzogtum Preußen und Nordpolen 1650 – 1850“, Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2010, gebunden, 394 Seiten, 69 Euro


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