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17.07.10 / Verschworene – keine Verräter / Was die Männer des 20. Juli antrieb und was ihr Erfolg hätte bewirken können – Von Kurt von Tippelskirch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-10 vom 17. Juli 2010

Verschworene – keine Verräter
Was die Männer des 20. Juli antrieb und was ihr Erfolg hätte bewirken können – Von Kurt von Tippelskirch

In wenigen Tagen jährt sich das Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944. Wir dokumentieren die unverändert aktuelle Analyse dieses Ereignisses durch den Militärhistoriker und General a.D. Kurt von Tippelskirch, welche die „Welt am Sonntag“ am 18. Juli 1954 zum zehnten Jahrestag des Ereignisses veröffentlicht hat.

Dass der Zweite Weltkrieg im Sommer 1944 verloren war, ist eine historische Tatsache, die schon auch damals zu erkennen war. Auf den weiteren Verlauf des Krieges hat das Attentat des 20. Juli keinen nachweisbaren Einfluss gehabt. Die kämpfende Truppe, die in schwerste Kämpfe verstrickt war, ist von ihm nahezu unberührt geblieben.

Sicher hätte das Attentat, wenn es gelungen wäre, den Krieg wesentlich verkürzt. Dem deutschen Volk wären unendliche Qualen und Verluste an Gut und Blut erspart geblieben. Man hat ausgerechnet, dass die nach dem 20. Juli 1944 durch den Krieg im eigenen Land und durch eigene Zerstörungen hervorgerufenen Schäden weit über die Hälfte des gesamten deutschen Kriegsschadens ausmachen. Viele Großstädte sind erst in den letzten Kriegsmonaten in Schutt und Asche gesunken. Weit schwerer wiegt aber, dass in den letzten neun Monaten des Krieges (die unglückliche Bevölkerung des deutschen Ostens eingerechnet) mehr Menschen umgekommen sind, als in den vorhergegangenen 59 Monaten.

Nichts lag den Männern des 20. Juli ferner, als den Widerstand des deutschen Volkes gegen seine äußeren Feinde zu sabotieren. Sie waren trotz ihrer Handlungen, die im wesentlichen realistischen Motiven entsprangen, Realisten genug, um zu erkennen, dass auch nach der Beseitigung Hitlers die Aussichten, zu einem tragbaren Kriegsende zu kommen, umso größer waren, je weniger verzweifelt die Lage an der Front, je größer also der Anreiz für die Gegner war, einen Friedensschluss, der ihren Kriegszielen einigermaßen gerecht wurde, dem sicherlich noch langen und blutigen Endkampf vorzuziehen. Ebenso kreiste der Gedanke der Verschwörer schon seit Jahren um das Ziel, Hitler so rechtzeitig zu beseitigen, dass aus der Kriegslage noch Nutzen gezogen werden konnte. Nicht zuletzt aus Zeitnot hat Stauffenberg am 20. Juli 1944 gehandelt.

Als Oberst Klaus Graf Stauffenberg am 20. Juli 1944 kurz nach 12.30 Uhr eine Aktenmappe mit einer Sprengbombe, die binnen zehn Minuten explodieren musste, im Vortragsraum des Hauptquartiers neben den für Hitler bestimmten Stuhl stellte, handelte er alles andere als spontan. Die Männer, die sich seit Jahren und in ständig zunehmendem Maße schwerste Sorgen um Deutschlands Zukunft machten, waren nach langer und immer wiederholter Gewissensprüfung zu der Überzeugung gekommen, dass nur eine gewaltsame Ausschaltung Hitlers noch in letzter Stunde Wandel schaffen konnte, und zwar nicht anders als durch ein Attentat. Unerträglich erschien es diesen Reellen, das deutsche Volk weiter einer Führung zu überlassen, die seit Jahren ungeheuerliche Rechtsbrüche und Verbrechen aufeinandergehäuft, das deutsche Volk mit allen Mitteln des Terrors unter eine mit normalen Mitteln nicht abzuschüttelnde Zwangsherrschaft gebeugt, frevelhaft einen durchaus vermeidbaren Krieg angefangen hatte und nun drauf und dran war, dieses Volk in den Untergang zu reißen. Gewiss konnte auch jede neue Staatsführung, welcher Art sie auch sein mochte, die Niederlage nicht mehr abwenden. Immerhin aber konnte sie hoffen, Deutschland ebenso wie seinen Gegnern weitere schwere Opfer zu ersparen und in jedem Falle zu einem Frieden zu kommen, der zum mindesten günstiger sein würde als der, der nach der endgültigen Kapitulation des Hitlerstaates zu erwarten war.

Das Attentat gegen Hitlers Person scheiterte, weil ganz kurz vor der Zündung ein Besprechungsteilnehmer die Aktentasche auf die andere Seite des schweren Tischsockels stellte.

Die deutsche historische Forschung hat sich eingehend mit den Motiven der Verschwörer und dem Ablauf der Geschehnisse beschäftigt. Von Einzelheiten untergeordneter Bedeutung abgesehen, liegt heute ein eindeutiges Ergebnis zutage. Es ist die Überzeugung aller ernst zu nehmenden Forscher, dass die Beteiligten unter einem Notstand gegenüber einem Staat gehandelt haben, der an die Person Hitlers gebunden war und den Boden des Rechtes weitgehend verlassen hatte. Während es für sie, als wahre Patrioten, den Begriff eines Deutschlands gab, das über seinen jeweiligen Repräsentanten stand, endete für Hitler Deutschland dort, wo seine Machtstellung aufhörte. Er hatte es selbst kurz vor Kriegsende ausgesprochen: Geht der Nationalsozialismus zugrunde, kann auch Deutschland ruhig zugrunde gehen.

Ihnen allen, den Diplomaten, Soldaten, Sozialisten, Staatsbeamten, Studenten und Theologen, die im Laufe der Jahre zueinander gefunden hatten, kam es nur darauf an, einen Mann unschädlich zu machen, der sich aufs schwerste an seinem Volk versündigt hatte. Einer der wenigen Überlebenden, der heutige Bundestagsabgeordnete Gerstenmaier, hat geschrieben: „Es hat sich (bei diesem größten und opfervollsten Versuch der deutschen Selbsthilfe) nie gehandelt um die Durchsetzung eines Parteiprogramms gegen das andere, nie um Ehrgeiz oder Futterkrippe, sondern immer nur um die Rettung Deutschlands aus den Fängen eines Systems und einer Menschengruppe, die durch brutalsten und raffiniertesten Gebrauch der Macht nicht nur dem Verbrechen, sondern auch dem Größenwahn verfallen war.“

Als Hitler am 20. Juli 1944 am Leben blieb, war die entscheidende Voraussetzung für die weiteren Pläne der Widerstandsgruppe gefallen. Gewiss hätte man auch für den nach Anlage des Attentats für unwahrscheinlich gehaltenen Fall des Misslingens Vorbereitungen treffen können, den Umsturz auch dann in die Tat umzusetzen. (Dieses Versäumnis machen manche der Gruppe zum Vorwurf.) Wie man dann jedoch aus dem nahezu mit Sicherheit zu erwartenden Chaos angesichts des Feindes herauskommen wollte, ist kaum klar zu sehen. Selbst führende Nationalsozialisten haben die wahren Motive der Männer des 20. Juli nicht verkannt. Goebbels hat im vertrauten Kreis geäußert: „Die Männer vom 20. Juli haben nicht leichtfertig gehandelt. Sie waren überzeugte Patrioten, die einen Verzweiflungsschritt in letzter Stunde getan haben, weil sie nicht an den Endsieg glauben konnten.“ Von solcher Einsicht in die Motive der Verschwörer war bei ihrer Behandlung und Aburteilung nichts zu spüren. Die Brutalität, ja der Sadismus, mit dem sie verfolgt, von ihnen Aussagen erpresst und sie schließlich beseitigt hat, kennt in der Geschichte kaum eine Parallele. Hier enthüllte sich Hitlers wahres Gesicht in seiner ganzen Abscheulichkeit. Mochte man ihnen den Prozess machen; keine angebliche „Staatsraison“ durfte aber dazu führen, sie als Lumpen, Verräter und feige Mörder zu bezeichnen, ihre Familien der Sippenhaftung auszusetzen, ihren Kindern den Namen der Väter zu nehmen und sie selbst in einem bewusst qualvollen Verfahren nach Hitlers Forderung wie „Schweine zu hängen“.

180 bis 200 Menschen sind auf diese Weise noch im Tode gemartert worden. Eine Verhaftungswelle, die durch den 20. Juli ausgelöst wurde, brachte bis Kriegsende weitere 5000 Männer und Frauen ums Leben, obwohl sie mit den Vorbereitungen des 20. Juli nicht unmittelbar verknüpft waren, sondern nur als Staatsfeinde galten.

Als die Bombe des 20. Juli explodierte, standen Millionen deutscher Soldaten im Kampf gegen den äußeren Gegner. Man sollte die Einen aber nicht im Gegensatz zu den Anderen sehen. Aus Treue zu ihrem Volk handelten die Männer, die an der Front bis zum letzten Tage durchhielten, aber auch alle jene, die im Widerstand, bei dem sie ihr Leben aufs Spiel setzten, die einzige Möglichkeit sahen, Deutschland zu dienen.


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