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17.07.10 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-10 vom 17. Juli 2010

Der Wochenrückblick mit Hans Heckel
Verantwortung / Wie Wulff seinen WM-Sieg feierte, was für schrecklichen Gestalten man im Zug begegnet, und wie Westerwelle einen Klassiker schuf

Das haben Sie bestimmt  schon erlebt: Da begegnet Ihnen jemand, den sie eigentlich kennen, nur dass Sie ihn sonst immer ganz woanders getroffen haben – und deshalb fällt Ihnen jetzt partout der Name nicht ein. Mutige preschen hier  vor und fragen nach dem Namen mit dem vielsagenden Satz: „Verzeihen Sie, aber ich weiß im Moment leider gar nicht, wo ich Sie hinstecken soll!“

Bei der Abschlusspressekonferenz unserer Nationalmannschaft bei der WM machten wir diese peinliche Erfahrung als ganze Nation durch. Ja, der Lahm, der Schweini, der Löw  und dann dieser ... ja, wer war das noch gleich? Irgendein Fußballfunktionär? Nein, nein. Aber den kannten wir doch! Von wo bloß?

Dann dämmerte es: Das war unser neuer Bundespräsident! Auch wenn er gar nicht so aussah in seinem Sonnabendnachmittags-Hemdchen. Was suchte der da? Kommt der jetzt immer zu den Pressekonferenzen, wenn unsere Fußballer oder Radfahrer, Springreiter oder Bodenturner irgendwo was gerissen haben?

Dass sich Staatsoberhäupter mitfeiern lassen für die Erfolge ihrer Nationalmannschaft, ist nicht unbedingt neu, aber immer ein wenig peinlich. Aus einer westafrikanischen Zwergdiktatur ist überliefert, dass sich der festlich geschmückte Staatschef nach jedem Sieg seiner Nationalelf bei der Afrika-Meisterschaft im offenen Wagen durch die Hauptstadt fahren und umjubeln ließ. Die Penetranz, mit der Christian Wulff sein Gesicht in die Kameras zu unseren Fußballhelden steckte, lässt für die Zukunft einiges befürchten. Selbst die Art, wie der Frischgebackene aus spontaner Begeisterung mit Silbernen Lorbeerblättern und Bundesverdienstkreuzen um sich warf, hätte gut in eine Kino-Klamotte über einen ulkigen Drittweltdespoten gepasst.

Dafür haben wir uns also wochenlang die Köpfe heißgeredet über die „Würde des Amtes“. Der Vorfall ist Wasser auf die Mühlen der Monarchisten. Die Gekrönten haben schließlich Aufpasser, um protokollarische Totalausfälle wie Teilnahme an Fußball-Pressekonferenzen zu verhindern. Man sieht den Kammerherrn förmlich vor sich, wie er mit hochgezogenen Augenbrauen das aus der Bahn treibende Staatsoberhaupt streng annäselt: „Majestät wollen bitte wohin gehen?“

Womit wir bei dem Stichwort wären, das diese Woche wohl kaum zu umgehen ist: die Bahn. Die Medien quellen über von Berichten über die Nahtod-Erfahrungen von Reisenden, die ausgetrocknet wie die Steppenkadaver aus rollenden Backröhren kriechen mussten. Übertreiben die Leute? Wohl nicht. Der Verfasser dieser Zeilen hat so eine Fahrt in ihrer gemeinsten Variante mitgemacht: Richtig erleichtert war ich, als ich aus der brodelnden Bahnhofshalle endlich in den klimatisierten Zug steigen durfte. Die Fahrt ging los durch das glühende Norddeutschland und niemand von uns ahnte, dass nur wenige Meter entfernt die Hölle loderte.

Nach gut einer Stunde Fahrt  die frappierende Durchsage: „Liebe Fahrgäste, leider ist in Wagen XY die Klimaanlage ausgefallen. Wir empfehlen den Fahrgästen, sich in andere Wagen zu setzen.“ Es war der Waggon direkt vor uns. Über eine Stunde hatten die da gegart, ohne zu ahnen, dass nur eine Schiebetür weiter die kühle Erlösung winkte. Die dachten, es sei überall so schrecklich heiß.

Kurz nach der Durchsage ging die Tür auf. Heraus kam ein jammervoller Haufen entsetzlich zugerichteter Gestalten. Alles hing an denen herunter, die Wangen, die Augenlider, die durchgeschwitzten Sachen – als hätte sie eine wilde Horde skrupelloser Karawanendiebe tagelang durch die Wüste gehetzt.

Zum Schimpfen waren die viel zu fertig. Mehr als ein gehecheltes „Das glaub ich jetzt nicht“ brachten die Gemarterten kaum hervor. Überflüssig zu erwähnen, dass dieser Zug ab sofort ganz ohne Schaffner unterwegs war. Jedenfalls war keiner mehr zu sehen. Die Zugbegleiter haben die Nase sowieso voll: Jahrelang haben ihre Chefs den Komfort kurz- und kleingespart – und die Schaffner sollen sich für die schweißtreibenden Folgen nun bepöbeln lassen. Da verschanzt man sich besser im Dienstabteil.

Man wundert sich fast, dass die notorischen Schwarzfahrer ihre krude Chance noch nicht entdeckt haben: Wer unkontrolliert mitfahren will, muss nur dafür sorgen, dass irgendetwas passiert, was die Fahrgäste in Rage bringt gegen die Bahn. Die geübte Schaffnernase wittert die dicke Luft, ordnet „Unsichtbarmachen“ an, und die Kilometerschmarotzer sind vor der Kontrolle sicher.

Manche Leute machen jetzt auf „starker Mann“ und onkeln die dehydrierten Bahnopfer an, sie sollten sich nicht so anstellen. Unverschämtheit! Da hört der Spaß  endgültig auf, solche Kommentare sind rücksichtslos und alles andere als komisch.

Diese Sprüche mussten wir erstmal verdauen, doch unser Frohsinn kehrte schnell zurück, als der Sprecher der Deutschen Bahn mit seinen neuesten Kommentaren vor die Medien trat: Das seien doch nur drei Züge gewesen, also alles halb so wild. Wie bitte? Ja doch, das hat der wirklich gesagt! Solche Texte sollten mal Fluggesellschaften oder Fährbetriebe vom Stapel lassen: „Gut, hin und wieder fällt in unseren Maschinen/Schiffen mal dies oder das aus. Aber das sind Ausnahmen, die meisten unserer Vehikel funktionieren alles in allem recht reibungslos. Wir bedanken uns bei unseren überlebenden Kunden für ihr Vertrauen.“

Alle Verantwortlichen sind höchst alarmiert und geloben, die Probleme rasch zu lösen. Jetzt wird „lückenlos aufgeklärt“, verspricht Bahnchef Rüdiger Grube. Die Politik ist ebenfalls ganz überrascht und empört. Ja, genau: die Politik. Jene Instanz, welche die alten Staatsbetriebe Reichs- und Bundesbahn in die mörderische Abmagerungskur mit Ziel Börsenreife gejagt hat, deretwegen den Unken zufolge an allen Wartungsarbeiten gespart wird, die nicht aus Sicherheitsgründen unentbehrlich sind.

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer weiß um diesen prekären Umstand und reißt sich am Riemen. Sonst steigen Politiker dem auf die Palme gegangenen Volk ja gern hinterher, um sich mindestens genauso laut über einen Missstand zu beklagen. Sie brüllen mit, damit sie keiner als Verantwortlichen identifiziert. Was das Verhältnis der Politik zur Deutschen Bahn angeht, so ist man da aber einfach zu nah dran, zu offenkundig mitverantwortlich, um sich keck ins Getümmel der Opfer zu mischen. Deshalb warnt Ramsauer erfrischend volkstümlich, die Sache mit den Klimaanlagen „nicht zu einer nationalen Tragödie hochzustilisieren“. Der hat gut reden, jetzt, wo sich gähnend das Sommerloch auftut! Denkt der denn auch mal an uns, die Medienleute? Da ist Guido Westerwelle ganz anders, der zeigt Mitgefühl und gönnt uns  was.

Dass es im Afghanistankrieg nicht zum Besten steht mit unseren Siegchancen, dieser Verdacht ist mittlerweile in die hintersten Winkel unseres Landes vorgedrungen. Für die Politik ist daher die Zeit gekommen, die missliche Entwicklung mit Worten zu verkleistern, die den (falschen) Eindruck erwecken, als liefe trotzdem alles nach Plan. Manchmal entstehen dabei Stilblüten, welche im Volksmund zu Stars der Abteilung Sarkasmus aufsteigen.

Der Außenminister hat gerade einen neuen Star dieser Gattung geboren. Den fatalen Anfang vom Ende in Afghanistan nennt er den „Prozess der Übergabe von Verantwortung in Verantwortung“. Ist das nicht entzückend formuliert? Das hätte dem König von Preußen mal einfallen sollen, als er nach der Schlacht von Jena und Auerstedt Berlin fluchtartig verlassen und die Stadt Napoleon ausliefern musste: „Seit der Schlacht von Jena läuft in Unserer Haupt- und Residenzstadt nun der Prozess der Übergabe von Verantwortung in Verantwortung. Ab morgen heißt es dann Bonjour, liebe Berliner.“ Das macht sich doch viel besser in der Presse als: „Der König hat eine Bataille verloren.“


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