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24.07.10 / Eltern unter Druck / Deutsche Jugendämter nehmen immer häufiger Kinder und Jugendliche in Obhut

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-10 vom 24. Juli 2010

Eltern unter Druck
Deutsche Jugendämter nehmen immer häufiger Kinder und Jugendliche in Obhut

Die Zahl der Minderjährigen, die in staatliche Obhut genommen werden, stieg im vergangenen Jahr drastisch. Jugendämter nehmen ihren Schutzauftrag bei Gefährdung des Kindeswohls ernst, doch reicht das nicht aus, um die Ursachen abzustellen.

Kevin, Lea-Sophie und nun Karsten. Die Liste der zu Tode gequälten Kinder wird immer länger. Wieder einmal konnten Staat und Gesellschaft das Schlimmste nicht verhindern. Der zweijährige Karsten musste sterben, weil er nicht schlafen wollte. Zwar hatte das Gericht der Kindsmutter eine Betreuerin zur Seite gestellt, die Gefahr ging aber von dem erst seit kurzem bei der Familie lebenden Freund der Mutter aus. Beide sind Hartz-IV-Empfänger.

Sollten Jugendämter Kinder früher aus der Familie nehmen? „Um Gottes willen, nein“, erklärt Heinz Hilgers, Präsident des Bundesverbands des Deutschen Kinderschutzbundes gegenüber der PAZ. „Das Einschreiten der Jugendämter geschieht schon über die Maßen hinaus.“ In den meisten der 152 Todesfälle sei die Jugendhilfe informiert gewesen. Das Problem sei Personalknappheit und die Gefährdungseinschätzung. Die Problemfälle spielen sich zu 90 Prozent im Armutsmilieu ab. Eltern, die ihre Kinder von „menschenunwürdigen“ Hartz-IV-Sätzen großziehen müssen, seien oft überfordert, so Hilgers. „Wenn dann keine Hilfe da ist oder zu wenig, entsteht Verzweiflung, aus der sich eine psychische Erkrankung entwickeln kann, bei der es zu unkontrollierten Reaktionen kommt.“ Der Ausbau von Netzwerken könnte vorbeugen. Wie auch Familienministerin Kristina Schröder (CDU) anregt, sollte mit Jugend- und Gesundheitshilfe, Bildung und Hilfsangeboten möglichst früh begonnen werden. Kinderkrippen sind laut Hilgers eine sinnvolle Ergänzung zur Erziehung in der Familie.

Symptome der Überforderung treten nicht nur bei Armen auf. Das Müttergenesungswerk (MGW) weist seit Jahren darauf hin, dass Mütter so vielen Belastungen ausgesetzt seien, dass Krankheiten wie Angstzustände und Schlafstörungen die Folge sind. Zeitdruck wird als häufigste psychosoziale Belastung genannt. Das MGW beklagt steigende Ablehnungsquoten bei Mutter-Kind-Kuren. Die soziale Unterstützung der Familien ist allgemein geringer geworden, Kinder werden als „störend“ empfunden, die Klagen gegen den Lärm von Kindergärten und Spielplätzen häufen sich. Schwimmbäder und Jugendzentren werden geschlossen. Der Druck von außen ist größer geworden, die Anforderungen steigen, auch in der Schule. Eltern fällt es da schwer, ihre Kinder aufzufangen.

Eine Heimunterbringung ist immer ein schwerwiegendes traumatisches Ereignis für Eltern und Kinder. Dass es Alternativen zur Inobhutnahme gibt, zeigt das Projekt „Frühe Hilfen“ der evangelischen Familienbildung in Norderstedt bei Hamburg, das junge Famlien in Problemsituationen unterstützt. Im vergangenen Jahr konnte in 124 Fällen die Vernachlässigung von Kleinkindern verhindert werden. Hebammen, Kinderärzte und Jugendamt ziehen an einem Strang. Das Team unterstützt überforderte Eltern durch Hausbesuche, teils auch über einen längeren Zeitraum. Eine solche Umsorgung der Eltern kann sich das Jugendamt aus Kapazitätsgründen nicht leisten. Das Projekt ist zunächst  bis 2015 finanziell abgesichert. Von Einsparungen sind alle Einrichtungen betroffen. Personaleinsparungen in Jugendämtern und Hilfsmaßnahmen ziehen um ein Vielfaches höhere Kosten für Fremdunterbringung nach sich. Die soziale und psychische Verarmung der Kinder birgt Gefahren für die Zukunft des Landes. Manuela Rosenthal-Kappi


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