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24.07.10 / »Fakten, Fakten, Fakten« über Erich Koch? / Neue Biographie über den Gauleiter und Reichskommissar von »Focus« Redakteur Armin Fuhrer und Heinz Schön

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-10 vom 24. Juli 2010

»Fakten, Fakten, Fakten« über Erich Koch?
Neue Biographie über den Gauleiter und Reichskommissar von »Focus« Redakteur Armin Fuhrer und Heinz Schön

Nachdem bereits von zwei Historikern wissenschaftliche Darstellungen des Lebens und Wirkens Erich Kochs erschienen sind, legt nun der „Focus“-Redakteur Armin Fuhrer eine kurzgefasste Darstellung vor, die allerdings nicht frei ist von Oberflächlichkeit und unbewiesenen Pauschalurteilen. Welche Teile des Manuskripts vom Co-Autoren Heinz Schön stammen, ist nicht erkennbar.

Ältere Ostpreußen werden sich noch an den Gauleiter Erich Koch erinnern, der bei vielen einen denkbar schlechten Ruf hat, weil er, als die Rote Armee sich den Grenzen Ostpreußens näherte, die rechtzeitige Räumung der Provinz verboten hat, so dass dann nur noch die Flucht – vielfach unter chaotischen Umständen – übrig blieb.

Der 1896 in Elberfeld in einer bürgerlichen Familie geborene Koch wurde offenbar durch den Ersten Weltkrieg und die Wirren des Nachkrieges aus der Bahn geworfen. AIs junger Soldat kämpfte er in Russland und half in den Reihen des Freikorps „Brigade Ehrhardt“, polnische Einfälle in Oberschlesien abzuwehren. Danach kehrte er in den erlernten Beruf bei der Deutschen Reichsbahn zurück, die sich aber von ihm trennte, als er mit anderen in seiner Heimatstadt eine Ortsgruppe der NSDAP gründete und für seine politische Tätigkeit mehr Zeit und Engagement aufbrachte als für seinen Beruf. Durch seine Tatkraft und sein Redetalent fiel er der Parteiführung auf, die ihn 1928 zum Gauleiter in Ostpreußen bestimmte. Unter seiner Leitung wurden aus den anfangs nur 200 Mitgliedern innerhalb von vier Jahren über 27000, die 1933 bei der allerdings nicht mehr ganz freien Reichstagswahl im März über 56 Prozent der Stimmen gewannen.

Nach dem Regimewechsel im Januar 1933 ernannte Hitler Erich Koch zum Oberpräsidenten in Ostpreußen, wodurch ihm eine enorme Macht zuwuchs, die er teilweise exzessiv ausnutzte. Dabei, so schildert Fuhrer ihn, bot er keineswegs das ideologische Bild, das man heute gern führenden Nationalsozialisten zuschreibt. Bereits in seiner Jugend war er in der evangelischen Kirche aktiv und behielt eine enge Bindung an die Kirche auch bei. So verband ihn eine Freundschaft mit dem Reichsbischof Ludwig Müller, und in den Streitereien zwischen Bekennender Kirche und Deutschen Christen bemühte er sich um Vermittlung. Auch machte er nie einen Hehl daraus, dass er sich zum linken Flügel der NSDAP unter den Gebrüdern Strasser zählte, was ihm offenbar keinen Nachteil brachte. Vom Antisemitismus hielt er zu diesem Zeitpunkt noch ebenso wenig wie von der gesamten Rassentheorie. Ihm schwebte eine Allianz zwischen germanischen und slawischen Völkern, den „jungen Völkern“, wie er sie sah, vor.

Koch entwickelte zahlreiche Initiativen, um die Wirtschaft in Ostpreußen zu beleben. Dabei lag ihm die Förderung des Mittelstandes besonders am Herzen, jedoch vernachlässigte er auch nicht seine persönlichen Vorteile, was ihm bald den Ruf des Bonzentums einbrachte. Immerhin aber schien er bei der Belebung der ostpreußischen Wirtschaft erfolgreich gewesen zu sein, wobei er sich nicht selten auf die Ideen des „Königsberger Kreises“ junger Intellektueller stützte. Fuhrer bescheinigt ihm, er sei „ernsthaft bestrebt gewesen, die heimische Wirtschaft zu fördern“. Dabei rührte er kräftig die Propagandatrommel, um sich ins rechte Licht zu setzen. Nicht selten vermischte er die Interessen und Belange des Staates mit denen der Partei. Eine von ihm gegründete „Erich-Koch-Stiftung“ sollte notleidende Firmen zusammenführen, doch missbrauchte er sie auch, um sich persönlich zu bereichern.

Allgemein wurde und wird Koch Ideenreichtum, Durchsetzungsfähigkeit, Tatkraft, aber auch Herrschsucht und Hemdsärmeligkeit bescheinigt. Weil er gern seine Kompetenzen überschritt, kam es zu Auseinandersetzungen mit der SS, die ihm Korruption vorwarf, doch wurde Koch immer wieder gedeckt.

Nach dem Polenfeldzug wurde Ostpreußen das seit jeher polnische Gebiet um Ciechanów als „Bezirk Zichenau“ angegliedert, später unterstellte Adolf Hitler auch den Bezirk Bialystok der Herrschaft Kochs. Nach dem Kriege beschuldigte ein polnisches Gericht Koch, in jenen Gebieten verantwortlich gewesen zu sein für den Tod von 102000 Polen und 55000 bis 65000 Juden, was Koch bis zuletzt bestritt.

Nachdem die Wehrmacht fast die gesamte Ukraine besetzt hatte, wobei sie von weiten Kreisen der Bevölkerung als Befreier begrüßt worden war, wurde Koch dort am 1. September 1941 als Reichskommissar eingesetzt. Alfred Rosenberg, der als Chefideologe des Nationalsozialismus galt und als Minister für die besetzten Ostgebiete eingesetzt worden war, widersprach heftig den Praktiken Kochs, der mit aller Brutalität die Ukraine wirtschaftlich auspresste und weit davon entfernt war, den Ukrainern die erhoffte Freiheit zu bringen. In dem Machtkampf um die Frage, ob die Ukrainer ähnlich wie Slowaken und Kroaten Verbündete Deutschlands oder ob sie wie Sklaven behandelt werden sollten, obsiegte Koch mit seiner „Katastrophenpolitik“, wie ein anderer Gebietskommissar gewarnt hatte.

Als die Ukraine verloren ging, kehrte Koch im Herbst 1944 nach Ostpreußen zurück, wo er mit untauglichen Mitteln den Widerstand gegen die anbrandende Rote Armee organisieren wollte. Er verbot unter Verkennung der Situation die Evakuierung der Zivilbevölkerung, bis es zu spät war für eine einigermaßen geregelte Zurückführung. Hitler gegenüber markierte er den tapferen Verteidiger seiner Gauhauptstadt Königsberg, während er längst in sicherer Entfernung Zuflucht in einem Bunker gesucht hatte. Rechtzeitig floh er mit einem für ihn reservierten Eisbrecher über die Ostsee nach Kopenhagen und Flensburg, wo er sich der neu gebildeten Regierung Dönitz zur Verfügung stellte. Der Großadmiral lehnte ab. Mit falschen Papieren tauchte Koch daraufhin unter und konnte sich im Holsteinischen unter dem Namen eines Majors der Reserve Rolf Berger verborgen halten. Gelegentlich besuchte er seine Frau, die in Lübeck eine Gaststätte betrieb. 1949 wurde er, der sich unvorsichtigerweise zum Versammlungsleiter einer Vertriebenenversammlung hatte wählen lassen, erkannt und zunächst in Bielefeld vor ein Gericht gestellt. Obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits das Grundgesetz galt, das die Auslieferung von Deutschen verbietet, wurde er auf britisches Betreiben hin an Polen ausgeliefert.

Erst neun Jahre später begann in Polen die Hauptverhandlung. Nach 77 Verhandlungstagen wurde er zum Tode verurteilt. Sein polnischer Verteidiger hatte auf Freispruch plädiert, da das Gericht keinerlei Beweise für die Verantwortung Kochs für die behaupteten Verbrechen vorgelegt habe. Selbst Fuhrer, der sonst an Koch kein gutes Haar lässt, vertritt die Meinung, dass der Prozess streckenweise ein politischer Schauprozess gewesen sei. Alle Bemühungen Kochs um Auslieferung nach Deutschland, Begnadigung oder ähnliches scheiterten. Die Bundesregierung betrachtete den Fall Koch aIs innerpolnische Angelegenheit und entwickelte keine Initiativen. Erst 1957 begann sein Prozess. 1959 wurde er zunächst zum Tode verurteilt, 1960 wurde das Urteil in „lebenslänglich“ umgewandelt. Am 12. November 1986 starb der schwer kranke Koch. Er soll, so Fuhrer, seine Memoiren im Gefängnis geschrieben haben. Das Manuskript ist verschwunden. Hans-Joachim von Leesen

Armin Fuhrer, Heinz Schön: „Erich Koch – Hitlers brauner Zar – Gauleiter von Ostpreußen und Reichskommissar der Ukraine“, Olzog Verlag, München 2010, gebunden, 256 Seiten, 24,90 Euro


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