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24.07.10 / »Essen heißt: Ich lebe noch« / Einem außergewöhnlichen Koch über die Schulter geschaut – Ruprecht Schmidt kocht für unheilbar Kranke

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-10 vom 24. Juli 2010

»Essen heißt: Ich lebe noch«
Einem außergewöhnlichen Koch über die Schulter geschaut – Ruprecht Schmidt kocht für unheilbar Kranke

Ein in Luxusrestaurants ausgebildeter Koch mit Aussicht auf eine glanzvolle berufliche Laufbahn wählte einen anderen Weg als den vorgezeichneten: Ruprecht Schmidt wollte nicht Küchenchef in einem Gourmettempel werden, nicht mehr am laufenden Band Hummer für gut situierte Gäste knacken und auch nicht Flusskrebse auf grausige Weise massakrieren. Vor elf Jahren wurde er Koch im Hamburger Hospiz „Leuchtfeuer“ im Stadtteil St. Pauli. An dem abgeschirmten Ort verbringen unheilbar kranke Menschen die ihnen verbleibende Lebenszeit in harmonischer Atmosphäre. Für sie gibt Ruprecht Schmidt sein Bestes, und es bedeutet ihm viel, ihnen mit wohlschmeckenden Mahlzeiten täglich eine Freude bereiten zu können. Die Journalistin Dörte Schipper hat dem außergewöhnlichen Koch bei seiner Tätigkeit über die Schulter geschaut, hat ihn und die Menschen im Hospiz „Leuchtfeuer“ eine Zeitlang begleitet. 2009 wurde die Autorin für ihre gemeinsam mit einem Kollegen erstellte Fernsehreportage „Der Luxuskoch vom Hospiz“ mit einem der ältesten deutschen Journalistenpreise ausgezeichnet, dem Erich Klabunde-Preis. Lesenswert ist auch das in diesem Zusammenhang entstandene Buch Schippers, für das Udo Lindenberg ein Vorwort beisteuerte. „Den Tagen mehr Leben geben“ lautet der Titel, in Anlehnung an den Wahlspruch des Hospizes: „Wir können dem Leben nicht mehr Tage geben, aber den Tagen mehr Leben.“

Was zählt im Leben wirklich? Wo finden Menschen Trost, denen nur noch eine Lebenszeit von wenigen Monaten oder Wochen verbleibt und die zunehmend an den Symptomen ihrer Krankheit leiden? Kann eine leckere Mahlzeit überhaupt die Stimmung eines todkranken Menschen heben? Selbstverständlich hatte sich Ruprecht Schmidt mit diesen Fragen auseinandergesetzt, bevor er die Herausforderung der neuen Arbeitsstelle annahm. Im Laufe der Zeit wurde ihm klar, welche Bedeutung Essen über die reine Gaumenfreude hinaus haben kann: „Essen heißt, ich lebe noch!“ Das hat er mehrfach von seinen Gästen gehört. Auf deren individuelle Bedürfnisse und Wünsche geht er ein, oder er verständigt sich darüber mit ihren Verwandten, die bei der Pflege unterstützend mitwirken. Es war die soziale Komponente, die ihm bei seinen früheren Arbeitsstellen gefehlt hatte. In einer Pastorenfamilie aufgewachsen, hatte er früh Werte wie Anstand und Hilfsbereitschaft verinnerlicht. An einem bestimmten Punkt seines Lebens suchte er nach einer Möglichkeit, beides, seinen Beruf und seinen Wunsch nach einer Tätigkeit im sozialen Bereich, in Einklang zu bringen.

Bei den Mahlzeiten im Hospiz sitzen die Bewohner, die dazu in der Lage sind, mit Freunden, Familienangehörigen und Mitarbeitern gemeinsam zu Tisch. Es ist eine bunte Mischung von Menschen, die sich sonst kaum begegnen würden. Hier können die Betroffenen ihre schweren Sorgen für kurze Zeit ausblenden und Augenblicke der unbeschwerten Fröhlichkeit erleben. Die Autorin Dörte Schipper hörte ihnen zu und umreißt Lebenswege, die so unterschiedlich sind wie der Umgang der Menschen mit ihrem unabwendbaren Schicksal.

In der familiären Umgebung des Hospizes fühlen sich viele Todkranke gut aufgehoben, bei anderen dominieren Verzweiflung, Aufbegehren oder auch Apathie. Traurigkeit, Hoffnung, Verzweiflung – diesen Emotionen begegnen die Pflegekräfte und auch der Küchenchef täglich.

Auch Ruprecht Schmidt musste lernen, damit umzugehen ebenso wie mit den Wünschen der Bewohner nach kleinsten Portionen oder auch ihrer Weigerung, Nahrung zu sich zu nehmen. Mit der Zeit hat sich bei ihm die Wahrnehmung seiner Tätigkeit als Koch geändert. Ihm ist klar: „Erst nachdem ich viele Jahre als Koch tätig war und den Beruf im normalen Alltag erlebt hatte, war ich in der Lage, eine Stelle wie diese anzunehmen. Mein Ehrgeiz ist derselbe geblieben. Ich will mir nach wie vor mit meinem Job etwas beweisen. Nur nicht unbedingt in diesen klassischen Küchenkategorien.“ Dagmar Jestrzemski

Dörte Schipper: „Den Tagen mehr Leben geben – Über Ruprecht Schmidt, den Koch und seine Gäste“, Bastei Lübbe Verlag 2010, gebunden, 253 Seiten, 19,99 Euro


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