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24.07.10 / Schere im Kopf / Bitterböse Abrechnung mit der Zensur des iranischen Regimes

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-10 vom 24. Juli 2010

Schere im Kopf
Bitterböse Abrechnung mit der Zensur des iranischen Regimes

Im Iran haben oppositionelle Politiker und Journalisten wenig zu lachen. Um ihre Gegner mundtot zu machen, setzt die Führung in Teheran auf repressive Maßnahmen. Ein Jahr nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen und den anschließenden Massenprotesten hat die Regierung erneut Parteien und Zeitungen verboten und zahlreiche Oppositionsanhänger festgenommen. Mindestens genauso schwer hat es das zarte Geschlecht in dem strengen Gottesstaat. Seitdem die Geistlichkeit im Zuge der islamischen Revolution 1979 die Macht übernommen hat, sind viele Gleichberechtigungsgesetze außer Kraft getreten. Es herrscht wieder die Kopftuchpflicht, deren Einhaltung die Sittenwächter kontrollieren. Das Scheidungsrecht und das Sorgerecht geschiedener Mütter für ihre Kinder wurden eingeschränkt. Nur mit Genehmigung ihres Mannes dürfen Frauen arbeiten und reisen.

In dieser bedrückenden Gegenwart seines Heimatlandes siedelt Shariar Mandanipurs seinen Roman „Eine iranische Liebesgeschichte zensieren“ an. Ein Schriftsteller möchte eine moderne Romanze ohne die übliche Tragik und Düsternis schreiben. Doch wie soll die Liebesgeschichte in einem Land aussehen, in dem unverheiratete Paare in der Öffentlichkeit keine zärtlichen Blicke, Worte oder Berührungen austauschen dürfen? Worüber in der Realität die Tugendpolizei wacht, darauf passt in der Fiktion der staatliche Zensor auf. Um der Behörde zuvorzukommen und sein Buch veröffentlichen zu können, setzt der Autor selbst die Schere im Kopf an.

Davon zeugen die reflexiven Exkurse des Schriftstellers sowie die etlichen durchgestrichenen Passagen in der Liebeserzählung von Sara und Dara – die Helden der Geschichte in der Geschichte. Sie stöbert in der Stadtbibliothek nach moderner Literatur, die ihre Professoren beim Studium ausblenden. Er wurde wegen politischer Aktivitäten verhaftet und gefoltert. Als Straßenhändler verkleidet übermittelt Dara Sara den wichtigsten persischen Roman des 20. Jahrhundert und schreibt ihr durch Punkte unter ausgewählten Buchstaben einen Liebesbrief. Damit beginnt eine Beziehung der beiden, die sich über die rigorose Moral hinwegsetzt und deren tragisches Ende vorherbestimmt ist.

Mandanipur, Jahrgang 1957, zählt zu den bekanntesten Autoren des Irans und lebt heute in den USA. Zehn Jahre lang war er Chefredakteur einer iranischen Literaturzeitschrift, die 2009 aus politischen Gründen eingestellt wurde. In seiner Heimat darf er seit den 1990er Jahren nicht mehr publizieren. Das Buch ist eine bitterböse Abrechnung mit dem iranischen Kulturbetrieb. Die nötige Prise Humor beweist Mandanipur mehrfach, etwa als die Zensurbeamten den Hollywood-Streifen „Der Duft der Frauen“ begutachten. Al Pacino spielt darin einen verbitterten blinden Kriegsveteranen. Der oberste Zensor Herr X. ist selbst blind und muss sich jede Szene beschreiben lassen. Am Ende erklärt er seinen Kollegen die Filmbotschaft: „Es geht darin um die Kunst des Sehens. Die Kunst, Dinge zu sehen, die hinter dem stecken, was man sieht und doch nicht sieht.“

Der Autor bewegt sich leichtfüßig durch die Textebenen und verwebt brillant die politischen Verhältnisse im Land, das Sittenbild der modernen iranischen Gesellschaft und Ausflüge in die persische Literaturgeschichte und Poesie.       Sophia E. Gerber

Shahriar Mandanipur: „Eine iranische Liebesgeschichte zensieren“, Unionsverlag, Zürich 2010, gebunden, 319 Seiten, 19,90 Euro


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