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24.07.10 / Großer Wurf eines Geächteten / Roman war eine reine Anklage gegen das stalinistische Regime

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-10 vom 24. Juli 2010

Großer Wurf eines Geächteten
Roman war eine reine Anklage gegen das stalinistische Regime

Die russische Dichterin Anna Achmatowa meinte unter dem Eindruck der Terrorherrschaft Stalins, zwei Russlands blickten einander in die Augen – „jenes, das inhaftiert war, und jenes, das inhaftiert hatte“. Der Terror Stalins und das Leiden der russischen Menschen prägen das Werk vieler Schriftsteller, auch das des sowjetischen Autors Wassili Semionowitsch Grossman (1905–1964). Sein großes Epos „Leben und Schicksal“ konnte erst lange nach seinem Tod in einem russischen Exilverlag in der Schweiz erscheinen; vor drei Jahren kam eine überarbeitete deutsche Fassung heraus, und rasch stand das Urteil fest, dass es sich hier um ein Meisterwerk der russischen Literatur handelt, durchaus vergleichbar den großen Werken eines Dostojewski, Tolstoi und Pasternak.

Mit diesem Buch, das vom KGB beschlagnahmt worden war ebenso wie wenige Jahre später „Alles fließt“, geriet der bis dahin hochgelobte Schriftsteller ins Abseits. Bis zu seinem frühen Tod blieb er ein Geächteter, allerdings blieben ihm Verhaftung und Lager erspart. Aus offizieller Sicht war das verständlich, ist sein Werk eine einzige, den Leser bewegende Anklage gegen das stalinistische Regime. Grossman schildert in „Alles fließt“ die Rückkehr eines Häftlings, Iwan Grigorjewitsch, nach 30 Jahren Gefängnis und Lager. Dieser hat Mühe, sich in dem völlig veränderten Moskau zurechtzufinden, findet schließlich Arbeit und Unterkommen, erfährt ein wenig menschliche Wärme, aber mehr noch Unverständnis und Heuchelei früherer Kollegen und Gefährten. Und immer wieder belasten ihn Erinnerungen an Haft, Folter, Hunger, unmenschliche Grausamkeiten und Massensterben. Die zahllosen Gefängnisse stehen ihm vor Augen, die Lubjanka, das Durchgangsgefängnis von Krasnaja Presnja, die Folterkeller von Lefortowo, die endlosen Jahre in den Lagern von Kolyma oder in der eisigen Polarnacht Workutas. Aber er gibt sich nicht auf. Er glaubt an die Freiheit, die auch einmal Russland erreichen werde. Der Mensch ist zur Freiheit geboren, das sagt er sich immer wieder.

Die Erzählung von Iwans Neuanfang wird im zweiten Teil des Buches durch Passagen unterbrochen, in denen Grossman über das Unglück seines Landes nachdenkt – über die Schrecken der Lager, über die Vernichtung der „Kulaken“, über die entsetzlichen, vom Regime bewusst herbeigeführten Hungerepidemien („Diese Wahnsinnigen haben die Toten zerlegt und gekocht und ihre Kinder getötet und aufgegessen“), schließlich über die Revolutionsgeneration, die in den Jahren 1936/37 fast vollständig liquidiert wurde und die – grotesk genug – sogar noch freudig in den Tod ging. Grossmans düsterer Ausblick: Im Gegensatz zum Westen, wo sich die Freiheit durchsetzte, war und blieb Russland ein Land der Unfreiheit, des Sklaventums, sei es unter Peter dem Großen, der aufgeklärten Zarin Katharina, den Zaren des 19. Jahrhunderts oder selbstredend unter Lenin und Stalin. Fast wider bessere Einsicht hält er am Glauben auf Freiheit fest, auf Veränderungen der Menschen, im Staat, in der Gesellschaft. Am Ende des Buches besucht Iwan sein fernes Heimatdorf; er findet keine Spur mehr von früher, dennoch: „Hier stand er – grau, gebeugt und dennoch derselbe, unverändert.“

Warum heute ein solches Buch? Zum einen, weil es ein bewegendes literarisches Werk ist. Zum anderen auch, weil sich seine Gedanken durchsetzen und man daher die Hoffnung haben mag, dass das Land nicht noch einmal in die frühere Barbarei zurückfällt.     Dirk Klose

Wassili Grossman: „Alles fließt“, Ullstein Verlag, Berlin 2010, gebunden, 254 Seiten, 24,95 Euro

 

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Alfred Eisfeld: „Etappen eines langen Weges – Beitrag zur Geschichte und Gegenwart der Deutschen aus Russland“, BdV, Bonn 2010, broschiert, 82 Seiten, 5 Euro

Heiko Kregel: „Geschichte des Panzer-Regiments 10 1938 bis 1945“, heiko.kregel@web.de, broschiert, 295 Seiten


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