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31.07.10 / Auf medialem Glatteis ausgerutscht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-10 vom 31. Juli 2010

Gastkommentar
Auf medialem Glatteis ausgerutscht
von Philip Baugut

Unsere Demokratie krankt an Politikverdrossenheit. Schleichend hat sie sich wie ein Geschwür ausgebreitet. Obwohl die Diagnose schon lange steht, ist bislang keine überzeugende Therapie erkennbar. Immer neue Tiefststände der Wahlbeteiligung werden von Parteien und Medien zwar mit Bedauern, aber letztlich schulterzuckend zur Kenntnis genommen. Mehr noch: Im Bundestagswahlkampf arbeitete die Union gezielt auf eine niedrige Wahlbeteiligung hin, indem sie kaum Zündstoff bot. Tatsächlich blieben am Wahltag mehr potenzielle SPD-Wähler als Unionsanhänger zu Hause. Eine präsidiale und innerparteilich unangefochtene Kanzlerin schien für diese asymmetrische Demobilisierungs-Strategie wie gemacht. Im Schlafwagen fuhr Merkel in die zweite Amtszeit, die niedrigste Wahlbeteiligung in der tiefsten Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte rüttelte sie nicht wach.

Die Unzufriedenheit im Land äußert sich nicht nur in geringer Wahlbeteiligung, sondern auch in den Einstellungen gegenüber der Politik. Koalitionsparteien verlieren schon kurz nach Regierungsantritt dramatisch an Zustimmung, der Beruf des Politikers rangiert im Ansehen ganz unten, der Politikbetrieb gilt als schmutziges und überbezahltes Haifischbecken. Die Unzufriedenheit mit dem gesamten politischen System gipfelt in dem geschichtsvergessenen Wunsch von nahezu jedem fünften Deutschen, der die Mauer zurück will. Nicht minder erschreckend: In einem sozialistischen Staat zu leben, kann sich jeder vierte Ost- und Westdeutsche vorstellen. Darüber sollten sich die politisch Verantwortlichen intensiv Gedanken machen, zumal die Wirtschaftskrise populistischen Rattenfängern das Leben leichter macht.

Um ein vielschichtiges Problem wie Politikverdrossenheit zu lösen, müssen zunächst dessen Ursachen geklärt werden. Dabei sind die Massenmedien unter die Lupe zu nehmen, da diese unser politisches Weltbild maßgeblich formen. Wer kann schon politisches Handeln ungefiltert beobachten, wer kennt Politiker persönlich? In unserer Mediendemokratie sorgen Journalisten für den Zugang zur Politik, die dadurch beeinflusst wird. Vieles tun Politiker nur, weil es die Medien gibt und sie Journalisten für den Transport ihrer Botschaften brauchen. Deshalb gilt: Die Politik ist so, wie sie ist, weil die Medien so sind, wie sie sind. Die Politik muss sich den Spielregeln der Medien anpassen – und droht dabei zur oberflächlichen Unterhaltungsindustrie zu verkommen.

Konflikte sind immer unterhaltsam, doch die Deutschen schätzen politischen Streit nicht sonderlich. Die Mühlen der Regierung sollen geräuschlos mahlen, die Parteien sich vertragen. Innerparteiliche Geschlossenheit gilt als unabdingbare Voraussetzung für Wahlerfolg. Dieses Harmoniebedürfnis stößt aber auf Massenmedien, die von Konflikten leben, diese unaufhörlich suchen, provozieren, bisweilen sogar erfinden. Das ist insofern verständlich, als sich Streit bestens personalisieren und verkaufen lässt. Wer beim neuen Koalitionszoff mit wem streitet und womöglich seinen Hut nehmen muss, weil er auch innerparteilich unter Druck steht, solche Fragen werden in Berlin gern diskutiert. Um welche Sache es dabei geht, ist nicht entscheidend. Für die Relevanz einer Kontroverse ist der Streitsüchtige blind.

Angesichts des Sprengstoffs, den Koalitionsverhandlungen bieten, ist verständlich, warum dabei Streitthemen mit Samthandschuhen angefasst werden. Hätten sich Union und FDP gleich nach der Wahl auf Details einer Gesundheitsreform verständigt, wäre ein medial befeuerter Streit entbrannt, den sich die angehende Regierung nicht leisten konnte. Auch in der Steuerpolitik verhinderte die Sorge um das öffentliche Erscheinungsbild konkrete Festlegungen. So muss die Bundesregierung nun mühsam jene Verhandlungen nachholen, die sie aus Furcht vor dem medialen Trommelfeuer vertagte. Für die verheerende Unschärfe des Koalitionsvertrags sind freilich vor allem Union und FDP verantwortlich, doch wäre der Ruf dieser Regierung schon vor ihrem Antritt ruiniert gewesen, wenn sie wesentlich länger und kontroverser verhandelt hätte.

Dass die Zustimmung zu Regierungsparteien meist schon kurz nach der Wahl abnimmt und in Enttäuschung umschlägt, ist auch der Versuchung vollmundiger Versprechen geschuldet. Diese werden mit umso mehr Aufmerksamkeit belohnt, je spektakulärer sie sind. Der von der Linkspartei geforderte Mindestlohn muss daher über dem der SPD liegen, wenn die Stimme der Partei im Konzert der Wahlkämpfer hörbar sein soll. Freilich ist die politische Klasse selbst schuld, wenn sie auf dem medialen Glatteis ausrutscht und unhaltbare Versprechungen macht. Doch es gelten mildernde Umstände, weil Politiker in der Mediendemokratie ständig mit Problemen konfrontiert werden, auf die sie Antworten geben sollen. Ob beim Klimawandel oder bei der Regulierung der Finanzmärkte – in vielen Bereichen ist die nationale Politik relativ machtlos. Anstatt dies einzugestehen und die begrenzten Handlungsspielräume zu erläutern, wird für die Medien symbolische Politik gemacht. So suggeriert man die Lösung von Problemen, bis enttäuschte Erwartungen die üblichen Vorurteile gegenüber Politikern bestätigen.

Gerade mit der Art, wie sie politisches Handeln erklären, können Medien zur Politikverdrossenheit beitragen. Meist führen sie Entscheidungen auf persönliche Motive und Eitelkeiten der Politiker zurück. Darüber lässt sich mühelos und anschaulich spekulieren. Ausgeblendet wird dabei das enge Korsett aus Verpflichtungen und Zwängen, in dem die Skandalisierten häufig stecken. So entsteht das Bild egoistischer Politiker, die persönliche Interessen über das Gemeinwohl stellen. Es hat verheerende Folgen, wenn jede Diätenerhöhung als illegitime Selbstbereicherung gebrandmarkt wird und Abgeordnete aufgrund leerer Bänke im Plenum als faul gelten. Auch sollte das Fehlverhalten einzelner Abgeordneter nicht zur populären Diskreditierung der politischen Klasse führen. Daran ist die Boulevardpresse beteiligt, weil sie Politik stark personalisiert und ein Massenpublikum erreicht. Gern formt sie auf Basis von Vorurteile gegenüber Abgeordneten emotionale Geschichten. Umso überraschender, dass der Leiter der „Bild“-Parlamentsredaktion, Nikolaus Blome, die politische Klasse verteidigt. „Faul, korrupt und machtbesessen − Warum Politiker besser sind als ihr Ruf“, heißt sein Buch.

Unter wachsendem wirtschaftlichen Druck stürzen sich viele Medien übermäßig auf das Negative, das Schlagzeilen verspricht. So erscheinen Bürger häufiger als Opfer der Politik denn als Nutznießer von Sozialleistungen. Dass Deutschland ein politisch stabiles und wohlhabendes Land ist, spiegelt die Berichterstattung selten wider. Wer „Panorama“, „Monitor“ und andere Politmagazine schaut, den beschleicht das Gefühl, in einem Bananenstaat zu leben. Natürlich sollen Medien Missstände anprangern. Wenn aber jede Unregelmäßigkeit skandalisiert wird, geht der Blick für die Dringlichkeit der Probleme verloren. Solange täglich eine andere Sau durchs Dorf getrieben wird, erscheint Politik als Stückwerk. So erhärtet sich der Eindruck, dass Politiker orientierungslos auf den medialen Wellen surfen.

Das Bild, das viele Medien von der Politik zeichnen, leistet der Politikverdrossenheit Vorschub. Daher gehören sie einbezogen in die Therapie gegen Politikverdrossenheit.


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