25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
31.07.10 / Aufbruch in die Lüge / Um den »gefährlichen deutschen Geist« auszurotten, warb Moskau mit falschen Versprechungen um Neusiedler

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-10 vom 31. Juli 2010

Aufbruch in die Lüge
Um den »gefährlichen deutschen Geist« auszurotten, warb Moskau mit falschen Versprechungen um Neusiedler

Vor 65 Jahren begann der Anfang vom Ende der deutschen Stadt Königsberg. Aber nicht nur die verbliebenen Deutschen erlebten die nächsten drei Jahre als Hölle auf Erden; auch für die angeworbenen russischen Neusiedler erwies sich die im Krieg zerstörte Stadt nicht als das versprochene Paradies.

„Noch an den Gebäuderesten konnte man sehen, wie schön die Stadt vor dem Krieg gewesen war. Gepflasterte Straßen gingen im Grün der Bäume unter … Mein Herz klopfte nicht, sondern schlug rasend. Alles um mich herum war interessant, unbekannt und ein wenig erschreckend.“ So beschrieb Anna Andrejewna Kopylowa Ende der 90er Jahre russischen Historikern ihre Ankunft in Königsberg. Zu Zehntausenden wurden Russen von 1945 bis 1948 in die zu dem Zeitpunkt noch offiziell zu Deutschland gehörende Stadt transportiert. Zug um Zug erreichte die ostpreußische Hauptstadt und entließ angeworbene Neusiedler in ein neues Leben in einer von den Kämpfen des Zweiten Weltkrieges zerstörten Region.

Die Sowjetunion hatte das nördliche Ostpreußen als Kriegsbeute militärisch erobert und wollte sich der deutschen Stadt, die 1946 wie fast alle Orte des russisch verwalteten Teils ihren heutigen russischen Namen erhielt, nun auch zivilisatorisch bemächtigen. Da Menschen unter Josef Stalin auch Manövriermasse im strategischen Machtspiel des Kreml waren, wurden sie ohne Rücksicht auf die Aufnahmefähigkeit des eroberten Gebietes – das am 1. September 1945 nach sowjetischen Zählungen noch 129614 überwiegend deutsche Einwohner (Königsberg: 68014) zählte – geschickt. Obwohl Moskau schon damals eine dauerhafte russische Besiedlung des nördlichen Ostpreußens wollte, sagte man den Siedlern nicht die Wahrheit. Ihnen wurde erzählt, dass sie erst einmal nur für drei Jahre dort arbeiten sollten, ohne jedoch zu erwähnen, dass es dort kaum Arbeit gab.

„Wir kamen an einem trüben, schmutzigen, düsteren und regnerischen Tag, dem 17. Januar 1947, in Königsberg an. Man entlud den Zug an zwei Holzbaracken, dort war auch der ,Wartesaal‘. In der Baracke drängte eine enorme Menschenmasse … Wir saßen dort zwei oder drei Tage. Eine Unmenge an Wanzen ist mir in Erinnerung geblieben … Nach einiger Zeit ging ich auf die Straße … Ringsherum Stille und Ruinen … Und mir wurde so wehmütig ums Herz. Ich kehre zurück und sage zu Mama: ,Lass uns zurückfahren, bevor es zu spät ist.‘ Sie antwortete: ,Wir haben doch Geld bekommen.‘“ Doch mit dem Geld konnten angeworbene Familien wie die von Alexandr Awgustowitsch Melngalw nicht viel anfangen, denn in Ostpreußen gab es fast nichts zu kaufen. Schon Nahrungsmittel waren schwer und dann auch oft nur mit Lebensmittelkarten zu bekommen. Und Wohnraum war 1947, als die meisten Neusiedler kamen, kaum noch zu haben. Die guten, noch erhaltenen Wohnungen in den zerstörten Städten des nördlichen Ostpreußens hatten sich gleich 1945 die Militärs angeeignet, von denen viele nicht zurück in ihre unterentwickelten russischen Dörfer zogen. Die Deutschen, die noch in Königsberg und dem Umland lebten, wurden aus ihren Wohnungen vertrieben und mussten russischen Neusiedlern Platz machen. Da die Versorgung der Bevölkerung schlecht war, wurden Bürger der Sowjet­union offiziell bevorzugt, so dass die Sterblichkeit der Deutschen besonders hoch war und so ihre Zahl auf diese Weise reduziert wurde. Russen, die das Elend der Deutschen nicht mit ansehen konnten und die Behörden darauf ansprachen, muss­ten mit Strafe rechnen. So Jekaterina Maximowna Korkina. Sie hatte dem Zentralkomitee der Partei geschrieben, dass „überall hungrige deutsche Kinderchen“ rumliefen. Der Anblick sei unerträglich. Die aus sowjetischer Sicht „politische Verbrecherin“ wurde für diesen Brief zu fünf Jahren Haft verurteilt, die sie erst in Königsberg und dann im sibirischen Wanino durchleiden musste.

Als die Neusiedler, denen die Anwerber ein besseres Leben versprochen hatten, in Königsberg ankamen, wurden viele gleich weiter in die ländlichen Regionen verbracht. Einige wurden auf Lastwagen geladen und irgendwo im Wald ausgesetzt. Sie ließen sich dann in den erstbesten noch freien deutschen Häusern nieder und versuchten sich in der Landwirtschaft. Doch waren viele völlig überfordert. Zwar war häufig alles Werkzeug der Vorbesitzer noch vorhanden, doch wussten die aus rück-ständigen russischen Dörfern stammenden Menschen oft nicht, wie sie mit Maschinen und Anlagen umgehen sollten. Beispielsweise konnten sie mit den Entwässerungsdrainagen auf den deutschen Feldern nichts anfangen und rissen sie einfach aus der Erde. All das führte dazu, dass der landwirtschaftliche Ertrag des nördlichen Ostpreußens drama­tisch zurück­ging. Realitätsferne Befehle der Parteiführung taten ein Übriges.

„Ich wusste zunächst nicht, dass in den Kellern Deutsche wohnen. Einmal wollte ich Wasser holen und stieg über eine Leiter hinunter in den Keller. Da sehe ich, dass dort eine Familie wohnt, sie sprechen deutsch. Ich bin erschrocken, aber sie waren sehr freundlich, und ein älterer Deutscher half mir, den Eimer nach oben zu tragen“, erinnert sich Marija Dmitrijewna Maschkina und stimmt damit in den überraschend positiven Tenor der russischen Neusiedler über das deutsch-russische Zusammenleben bis zum vom Kreml angeordneten Abtransport der meisten Deutschen 1948 gen Westen ein. In den meisten der 320 Interviews, die das russische Gebietsmuseum für Geschichte und Kunst 1990 bis 1991 mit Königsbergern geführt hat, berichten diese positiv über die fleißigen, freundlichen und ordentlichen Deutschen, die obwohl sie selbst nichts hatten, den Neusiedlern halfen. Wiederum berichteten viele der befragten russischen Frauen, wie sie umherziehenden deutschen Waisenkindern Essen zugesteckt haben. Aber auch über den Austausch von Rhabarberkuchenrezepten trotz Sprachbarrieren wird informiert, ohne dabei die alltäglichen Schikanen gegen Deutsche, Vergewaltigungen und brutale Überfälle zu verschweigen. Auch der gewaltsame Abtransport der Deutschen, die bis 1948 überlebt haben, hat manchen Neusiedler bewegt. „Sie wollten nicht wegfahren. Sie standen mit ihren Bündeln an der Haltestelle, warteten auf die Wagen, einige weinten. Hier war ihre Heimat, hier waren ihre Angehörigen begraben“, so Galina Pawlowna Roman. Doch die kommunistische Parteiführung kannte keine Gnade, sie wollte „den gefährlichen deutschen Geist“ ausrotten. Dafür wurden sogar deutsch-russische Familien auseinandergerissen, denn obwohl Ehen zwischen Deutschen und Russen nicht erlaubt waren, hatten sich doch einige von ihnen zusammengetan und auch ohne Trauschein Familien gegründet.

„Es ist schwer, heute über vergangene Fehler zu sprechen … Natürlich ist es sehr schade um das Königsschloss, um alles, was wir gedankenlos zerstört haben“, so Anna Alexjewna Bojko. „Heute müssen wir das retten, was noch in unserer Macht steht. Um so mehr, als ich das Gebiet Kaliningrad nun, nachdem ich hier mein ganzes Leben verbracht habe, als meine Heimat betrachte.“     Rebecca Bellano

Weitere Informationen: „Eckhard Matthes (Hrsg.): Als Russe in Ostpreußen – Sowjetische Umsiedler über ihren Neubeginn in Königsberg/Kaliningrad nach 1945“, edition tertium, Ostfildern 1999.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren