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31.07.10 / Die Charta aktualisieren? / Diskussion in Potsdam über die Charta der deutschen Heimatvertriebenen von 1950

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-10 vom 31. Juli 2010

Die Charta aktualisieren?
Diskussion in Potsdam über die Charta der deutschen Heimatvertriebenen von 1950

Am 5. August wird der 60. Jahrestag der „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ begangen. Der Bund der Vertriebenen (BdV) erinnert am 5. August in einem Festakt in Stuttgart an dieses Ereignis. Das „Deutsche Kulturforum östliches Europa“ unternahm bereits am 6. Mai in einer Podiumsdiskussion in Potsdam eine Würdigung der Charta aus heutiger Sicht – eine der wenigen Veranstaltungen dieser Art außerhalb eines Vertriebenenverbandes. Etwa 60 meist ältere Interessenten waren erschienen. In der Gesprächsrunde saßen der polnische Historiker Robert Traba, Vorsitzender der deutsch-polnischen Schulbuchkommission, die bekannte Journalistin Helga Hirsch sowie BdV-Präsidiumsmitglied Sybille Dreher, die auch Vorsitzende der Landsmannschaft der Westpreußen ist. Die Diskutanten gehören nicht mehr zur Kriegsgeneration mit persönlichem Erleben von Flucht und Vertreibung, die Kriterien für die Beurteilung der Charta sind damit schon anders gelagert als bei Angehörigen der Erlebnisgenerationen.

Die seinerzeit erst fünf Jahre zurückliegenden schlimmen Erlebnisse der Massenaustreibungen spiegelten sich in den Aussagen der Charta wider, aber auch zukunftsgerichtetes Gedankengut wie Verzicht auf Rache und Vergeltung und die Mitarbeit der Vertriebenen an der Schaffung eines geeinten Europas. Aus dieser Sicht besitzt dieses Dokument bis heute eine fundamentale  Bedeutung als „Grundgesetz“ für Millionen deutscher Vertriebener – seien sie in einem Verband organisiert oder nicht, so die Argumentationslinie von Dreher. Die historische Einbettung der Charta stellte auch Hirsch nicht in Frage. Sie bekundete aber Schwierigkeiten mit dem Recht auf die Heimat, dem zentralen Anliegen der Vertriebenenpolitik. Zwar herrschte 1950 in der alten Bundesrepublik ein breiter Konsens nicht nur über das Rückkehrrecht in die Heimat, sondern auch über die tatsächlich anzustrebende Rückkehr. Doch dieser Konsens begann schon bald zu erodieren, das Bild von Deutschland reduzierte sich zunehmend auf die alte Bundesrepublik, die DDR und Berlin. Heute nun, angesichts eines zusammenwachsenden Europas mit Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit, hat die Forderung nach Verwirklichung des Rechts auf die Heimat zumindest einige Konkretheit verloren, manche halten es gar für überholt.

Von der Generationen der ehemaligen Bewohner der Ostgebiete wollen schon aus Altergründen nur noch ganz wenige zurückzukehren. In eben diesem Sinne äußerte sich eine bekannte Vertriebenenpolitikerin aus einer „reichsdeutschen“ Landsmannschaft. Hirsch kritisierte, dass bei der Erarbeitung der Charta keine „normalen“ Vertriebenen, sondern nur Funktionäre beteiligt worden seien, von denen zudem einige noch NS-belastet gewesen seien – letztlich eine Infragestellung der Legitimation der Charta.

Für Traba war und ist die Charta ein politisches Instrument für die innerdeutsche Auseinandersetzung in der Vertriebenenfrage, auch als eine Antwort der Vertriebenen auf die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz – verkürzt ausgedrückt – zur Grenzfrage. Traba charakterisierte sie als historisches Dokument mit identitätsstiftender Zielsetzung für die Deutschen, Vertriebene und Nichtvertriebene. Übereinstimmung bestand in der Diskussion, dass die Charta in einer Zeit noch lebendiger Erinnerungen an Flucht, Vertreibung, Krieg und Bombardements entstanden sei. Das mache sie zu einem historischen Dokument.

Im Jahre 2010, 65 Jahre nach Kriegsende und 60 Jahre nach Verkündung der Charta sind nicht nur neue Generationen in die Verantwortung gekommen, sondern wesentliche Anliegen des Dokuments sind erfüllt, vor allem die Integration, die Überwindung der materiellen Not der Vertriebenen und die Schaffung des vereinten Europas, in dem die Völker „ohne Furcht und Zwang“ zusammenleben würden, wie die Charta es visionär gefordert hatte.

Ein Ergebnis der knapp zweistündigen Diskussion war, dass die Charta der deutschen Öffentlichkeit kaum mehr bekannt sei, denn in vielen Quellensammlungen und Schulgeschichtsbüchern erscheine sie nicht mehr. Während der BdV sich gegen jegliche Entwertung der Charta ausspricht und am Ursprungstext festhält, regen andere eine Fortschreibung der Charta an; ansonsten bleibe das Dokument, aus den Bedingungen des Jahres 1950 entstanden, historisch.       Karlheinz Lau


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