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07.08.10 / Immer mehr für immer weniger? / Es gibt nicht nur mehr Rentner, auch hat sich ihre Lebensarbeitszeit inzwischen drastisch reduziert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-10 vom 07. August 2010

Immer mehr für immer weniger?
Es gibt nicht nur mehr Rentner, auch hat sich ihre Lebensarbeitszeit inzwischen drastisch reduziert

Um die erst 2009 beschlossene Rentengarantie ist eine politische Diskussion entbrannt. Ein Blick auf die Entwicklung der Rente hilft, die gegenwärtige Debatte mit mehr Sachlichkeit zu betrachten.

Als Otto von Bismarck 1889 die allgemeine Rentenversicherung durchsetzte, da betrug die durchschnittliche Lebenserwartung vor allem wegen der hohen Kindersterblichkeit in Europa 37 Jahre. Ein Mädchen, das heute in Deutschland geboren wird, hat eine statistische Lebenserwartung von 82,4 Jahren, ein Junge hat, ebenfalls statistisch gesehen, 77,2 Jahre vor sich. In 20 Jahren wird mehr als ein Drittel der Menschen in Deutschland älter als 60 Jahre alt sein, vor 50 Jahren waren sie noch eine Minderheit von 14,6 Prozent. Diese Zahlen der demographischen Entwicklung verdeutlichen die dramatische Entwicklung der Rentenfinanzierung. Und sie gehören zur erneut aufgeflammten Diskussion um die Schutzklausel gegen sinkende Renten.

Die Finanzierung eines sorglosen, arbeitsfreien Lebensabends wird immer schwieriger. Denn einerseits wird die Phase des ersten Lebensabschnitts, der von Schule und Ausbildung bestimmt ist, zunehmend länger. In dieser Phase wird noch kein (oder sehr wenig) Geld verdient, also auch kein sozialer Beitrag geleistet. Und andererseits werden die Menschen zunehmend älter und genießen damit länger den Ertrag ihrer Arbeit.

Das mit dem Ertrag stimmt allerdings seit der großen Rentenreform von 1957 nicht mehr. Diese erste grundlegende Veränderung seit Bismarck war mehr als ein Modellwechsel. Sie war der Wechsel in ein anderes, bis heute gültiges System. Bis 1957 war die Rente wie ein Versicherungsvertrag behandelt worden, die Reform 1957 machte daraus den Generationsvertrag. Seither wird nicht mehr das Angesparte durch die staatliche Rentenkasse treuhändisch verwaltet und ausgezahlt, sondern die Rente aus dem fortlaufenden Ertrag der Volkswirtschaft finanziert: Wer arbeitet, versorgt die Rentner mit. Gegenwärtig sorgen noch zehn Arbeitnehmer für vier Rentner. Weil aber immer weniger Kinder geboren werden, die Menschen früher in den Ruhestand gehen und zugleich immer älter werden, wird sich dieses Verhältnis nicht halten lassen. Bliebe es bei dem tatsächlichen Eintrittsalter in die Rente von 60 Jahren, müssten in 50 Jahren zehn Arbeitnehmer für acht Rentner aufkommen, warnt eine Studie der EU. Weil das aber schlechterdings nicht möglich sein wird, fordert die Studie ab 2040 ein Renteneintrittsalter von 67 Jahren, ansteigend bis 2060 auf 70 Jahre. Wer heute zur Schule geht, wird also fünf Jahre länger arbeiten müssen als seine Eltern. Trotzdem dürfte die Arbeitszeit deutlich geringer sein als zu der Zeit, als die Rente eingeführt würde. Um 1880 malochte ein Industriearbeiter in Deutschland 3200 Stunden im Jahr, das war glatt das Doppelte der gegenwärtigen Arbeitszeit. Und während um 1900 der arbeitende Mensch ein Drittel seines Lebens am Arbeitsplatz verbrachte, sank der Anteil der Arbeit an der Lebenszeit bis heute auf ein Achtel. Doch nun geht es auf dieser Linie – immer mehr für immer weniger – nicht mehr weiter. Die Gegebenheiten kehren sich um: Es muss mehr geleistet werden für weniger Ertrag.

Bis zur Rentenreform 1957 konnte ein Arbeiter gerade 28 Prozent, ein Angestellter 22 Prozent seines durchschnittlichen Lohnes als Rente beziehen. Nach 1957 wurden die Rentner jünger und sorgloser. Fit und voller Tatendrang durchsegeln manche (und keineswegs die Mehrheit) den dritten Lebensabschnitt, genügend Kleingeld in der Tasche, mochten auch die Renten-Buchhalter in Abständen die Stirn sorgenvoll in Falten legen.

Doch jetzt werden die Sorgenfalten tiefer, das Ende der fetten Jahre ist eingeläutet. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) macht Deutschland sogar jetzt schon gar als Schlusslicht der europäischen Staaten bei der Höhe der Rentenzahlungen aus, prozentual gemessen am letzten Bruttoeinkommen. Das mag zwar in Deutschland höher zu veranschlagen sein als bei vielen Nachbarn, dennoch geht der Paritätische Wohlfahrtsverband davon aus, dass im Jahr 2030 zehn Prozent der Rentner von Altersarmut betroffen sein werden.

Mit dem Einkommen der Rentenkassen wird auf Dauer kein Auskommen sein, auch wenn der Beitragssatz von jetzt 19,9 Prozent auf 21 Prozent angehoben wird, wie es Fachleute bereits fordern. Ob aber eine Aufhebung der gesetzlichen Garantie, nach der die Renten niemals sinken werden, einen Weg aus dem Dilemma weist, ist zweifelhaft. Im April 2009 gerade erst durch den damaligen Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) durchgeboxt, wird sie im Sommer 2010 bereits wieder infrage gestellt, zuerst durch Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). Er möchte diese Garantie aufheben, ohne die die Ruheständler bereits in diesem Jahr eine Minderung ihrer Rente von einem Prozent hätten hinnehmen müssen. 

Doch die Freude der Rentner darüber, diesmal dank Scholz und Garantie ungeschoren davongekommen zu sein, wäre kurzsichtig. Wie alles im Leben hat auch solch eine Garantie ihren Preis: Was jetzt zugestanden wird, das wird durch sogenannte Nullrunden wieder eingefordert. Davon haben die Rentner bereits einige hinter sich und garantiert noch etliche vor sich – wenn in der Arbeitswelt wieder besser verdient wird. Auch hat Scholz mit seinem Handeln gezeigt, dass die Rente − wenn auch hier im positiven Sinne − nicht vor spontanen Eingriffen der Politik sicher ist.

Rentenpolitik ist immer auch Klientenpolitik. Und je größer die Zahl der Rentner wird, desto mehr werden sich Politiker scheuen, Veränderungen zu Lasten der Rentner zu beschließen. Doch Veränderungen müssen nicht zwangsläufig zu Lasten einer bestimmten Gruppe gehen. Rund um Deutschland gibt es eine Reihe erfolgreicher Rentenmodelle. Von denen zu lernen setzte allerdings wirkliche Reformen voraus. Die Zeit dazu wird zunehmend drängender. 1936 lebten in Deutschland vier Hundertjährige. Heute sind es 15000.       Klaus Groth


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