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14.08.10 / 60 Jahre Gewaltverzicht / Gedenkakt in Stuttgart – Politische Zusicherungen für die Vertriebenen gibt es nicht mehr

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-10 vom 14. August 2010

60 Jahre Gewaltverzicht
Gedenkakt in Stuttgart – Politische Zusicherungen für die Vertriebenen gibt es nicht mehr

Als die deutschen Vertriebenen 1950 ihre bekannte Charta verabschiedeten, hofften sie auf die Verwirklichung des Rechts auf die Heimat in einem geeinten Europa. Das geeinte Europa haben sie bekommen, das Recht auf die Heimat nicht. Beim Festakt in der vergangenen Woche wollte das indes niemand so deutlich sagen.

Als Erika Steinbach, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen im Weißen Saal des Neuen Schlosses zu Stuttgart Bundesaußenminister Guido Westerwelle  begrüßte, erhob sich unter den mehr als 400 Vertriebenen im Saal ein gewaltiges Murren. Erst als die Präsidentin innehielt und ihren Begrüßungssatz an den unvermutet eingetroffenen Ehrengast wiederholte, wurde auch geklatscht. Die wortlos, aber unüberhörbar vorgetragene Kritik am Verhalten des Bundesaußenministers war berechtigt, denn bei den Zuhörern im Saal war noch in frischer Erinnerung, wie We-sterwelle wegen der Besetzung des Stiftungsrates „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ gegen Erika Steinboch Front bezogen hatte, was dann nur mit Mühe hatte beigelegt werden können.

Nun hatten sich, am Nachmittag des 5. August, in Stuttgart die Vertreter von über zwölf Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen aus den einstigen deutschen Ostgebieten und aus dem Sudetenland versammelt, um des 60. Geburtstags der „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ zu gedenken, die am 5. August 1950, fünf Jahre nach Kriegsende, in Stuttgart-Bad Cannstadt verabschiedet und einen Tag später, am 6. August, an der Ruine des Neuen Schlosses vor 70000 Zuhörern, der Öffentlichkeit vorgestellt worden war. Damals war als Ehrengast Vizekanzler Franz Blücher (1896−1959) aus Bonn gekommen, und als Redner aufgetreten war der in Breslau geborene Bundesvertriebenenminister Hans Lukaschek (1885−1960), 1929/33 Oberpräsident der preußischen Provinz Oberschlesien.

Fünf Jahre und drei Tage zuvor, am 2. August 1945, war in Potsdam, der Residenzstadt des Königreichs Preußen, von den drei Hauptsiegermächten des Zweiten Weltkriegs das Potsdamer Protokoll unterzeichnet worden, mit dem die deutschen Gebiete jenseits von Oder und Lausitzer Neiße unter polnische und sowjetrussische (Nord-Ostpreußen) Verwaltung gestellt wurden. Faktisch, wie die Geschichte zeigte, gingen sie damit in den Besitz dieser Staaten über.

Nachkriegsdeutschland war 1950 noch immer zerstört und verwüstet, in den Städten waren noch immer riesige Trümmerfelder zu sehen, die Flüchtlinge und Vertriebenen aus Ostdeutschland mussten mit Nahrung, Wohnungen und Arbeit versorgt werden.

In dieser düsteren, von Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung überschatteten Situation setzten der „Zentralverband vertriebener Deutscher“ und die „Vereinigten Ostdeutschen Landsmannschaften“, die 1958 zum „Bund der Vertriebenen“ fusionieren sollten, mit der Veröffentlichung der „Charta“ ein sichtbares Zeichen: „Wir haben unsere Heimat verloren. Heimatlose sind Fremdlinge auf dieser Erde. Gott hat die Menschen in ihre Heimat hineingestellt. Den Menschen mit Zwang von seiner Heimat zu trennen, bedeutet, ihn im Geiste töten. Wir haben dieses Schicksal erlitten und erlebt. Daher fühlen wir uns berufen zu verlangen, dass das Recht auf die Heimat als eines der von Gott geschenkten Grundrechte der Menschheit anerkannt und verwirklicht wird.“.

Ganz anders bot sich die Situation 60 Jahre später dar. Erika Steinbach, die, 1943 in Westpreußen geboren, 1950 noch ein Kind  war, sprach in Stuttgart davon, dass der 5. August 1950 heute „kein Tag der Trauer“ mehr sei, sondern ein „Tag der Freude und des Dankes“. Die Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen sei in wenigen Jahrzehnten erreicht worden. Eine politische Radikalisierung vom Heimatverlust betroffener Bevölkerungsgruppen sei zum Glück nicht eingetreten, vielmehr hätte die „Charta“ eine „eindeutige Absage an Revanche und Gewalt“ postuliert, der „Wille zur Versöhnung“ werde als einzig gangbarer Weg beschrieben.

Nach der kurzen Begrüßungsansprache Heribert Rechs, des 1950 geborenen Innenministers von Baden-Württemberg und zugleich Landesbeauftragten für Vertriebene, Flüchtlinge und Aussiedler, sprach auch der 1954 in Bonn geborene Bundesinnenminister Thomas de Maizière davon, dass die „Charta“ den heimatlos gewordenen Ostdeutschen Orientierung gegeben habe. Allerdings erteilte de Maizière dem Vorschlag von Erika Steinbach, den 5. August zum Gedenktag für die Vertreibung zu machen, eine ziemlich offene Absage. Festredner Norbert Lammert, geboren 1948 in Bochum und seit 2005 Präsident des Deutschen Bundestages in Berlin, bezeichnete schließlich die „Charta“ als „eines der Gründungsdokumente der Bundesrepublik“.

Dass hämische Kritik von links nicht ausblieb, war bei diesem Reizthema für Linke und Linksradikale zu erwarten. Die unvermeidliche Ulla Jelpke, die für die „Linke“ im Bundestag sitzt, obwohl sie der Partei nicht angehört, nannte die „Charta“ ein „Dokument des Revanchismus“, und der Schriftsteller Ralph Giordano nannte sie ein „Paradebeispiel deutscher Verdrängungskünste“. Die alte SED-Zeitung „Neues Deutschland“, die heute die Interessen der SED-Nachfolgepartei vertritt, hatte sogar einen Bericht-erstatter nach Stuttgart geschickt, der vor lauter Kritik kaum noch wahrnahm, was tatsächlich am Podium gesagt wurde. „Wahrscheinlich wären wir ohne den BdV … weiter bei der Aussöhnung mit den Nachbarn“, meinte er.

Bedauerlich erscheint, dass weder die SPD noch die heutigen EU-Partner Polen und Tschechische Republik bei diesem Festakt prominent vertreten waren. Vor irgendwie anstrengenden Appellen, wie etwa einer Aufforderung zum direkten Dialog mit den Vertriebenen, hätten sie sich nicht fürchten müssen. Einen vergleichbaren Festakt zum 70. Jahrestag der Charta dürfte es nach Lage der Dinge kaum mehr geben, weil die betroffenen Gruppen dann zahlenmäßig unbedeutend geworden sind.            J. B. Bilke/K.B.


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