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14.08.10 / Ein Nachruf auf die Wehrpflicht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-10 vom 14. August 2010

Gastbeitrag
Ein Nachruf auf die Wehrpflicht
von Dieter Farwick

Verteidigungsminister Karl Theodor Freiherr zu Guttenberg hat mit seiner Ankündigung, aus Kostengründen die Wehrpflicht nicht mehr halten zu können, eine öffentliche Debatte initiiert. Dabei überwiegen die Stimmen für die Abschaffung der Wehrpflicht.

Als jemand, der 39 Jahre in der Armee mit Berufs- und Zeitsoldaten sowie mit Wehrpflichtigen gedient hat, möchte ich noch einmal herausstellen, was die Wehrpflicht für das Binnenleben unserer Streitkräfte bedeutet hat und was folgerichtig die Abschaffung für das Binnenleben der zukünftigen deutschen Streitkräfte bedeuten würde.

Es mehren sich die Anzeichen, dass die Wehrpflicht ab dem 1. Juli 2011 zwar nicht aus dem Grundgesetz gestrichen, aber ausgesetzt wird. Sie soll durch eine „freiwillige Wehrpflicht“ abgelöst werden. Dieser sprachliche Widerspruch macht deutlich, dass ein Kompromiss gefunden werden soll, der die Kritiker einer Abschaffung ruhigstellen soll.

In der öffentlichen Diskussion überwiegen bislang finanzielle Argumente. Wenn Bundestagsabgeordnete heute beklagen, dass die Kassenlage den Grad der Sicherheit bestimmt, dann müssen sie sich vorwerfen lassen, dass ihnen das sehr spät auffällt. Wenn es stimmt, dass der Bundeswehr in Zukunft jährlich eine Milliarde fehlen wird, und deswegen die Wehrpflicht nicht mehr zu halten ist, muss man schon einmal genauer hinschauen.

Eine Milliarde sind ungefähr drei Prozent des Verteidigungshaushaltes und weniger als 0,5 Prozent des Gesamthaushalts. Der Verteidigungshaushalt beträgt in Deutschland 1,3 Prozent des Bruttosozialprodukts. Damit liegt Deutschland im Vergleich der Nato-Mitgliedstaaten auf einem hinteren Tabellenplatz und deutlich unter dem Wunschziel der Nato von zwei Prozent. Wenn die Wehrpflicht – wie heute von Politikern betont wird – ein „Kernelement“ deutscher Sicherheitspolitik ist und die Verankerung der Streitkräfte in der Gesellschaft durch die Wehrpflicht garantiert wird, stellt sich die Frage, ob die Finanzen den Ausschlag geben sollten.

Es gibt eine andere gravierende Vorgabe: Der Finanzminister hat dem Verteidigungsminister auferlegt, je 20000 Stellen für Berufs- und Zeitsoldaten zu streichen. Dies zwingt zur Aufgabe der Wehrpflicht. Die Streitkräfte wären nicht in der Lage, rund 7000 Soldaten gleichzeitig in Auslandseinsätzen zu haben und parallel dazu jährlich 50000 Wehrpflichtige gut auszubilden. Es ist schon verwunderlich, dass der Finanzminister solche Vorgaben macht, bevor die „Weise-Kommission“ Alternativen zur jetzigen Struktur vorgelegt hat.

Hinzu kommt, dass die Wehrpflicht über die Jahrzehnte politisch ausgehöhlt wurde. Der Grundwehrdienst wurde von seinem Höchststand von 18 Monaten auf jetzt sechs Monate reduziert. Spätestens mit der Verkürzung des Grundwehrdienstes auf zwölf Monate wurde das Ziel aufgegeben, die Wehrpflichtigen so auszubilden, dass sie im Verbund mit den Berufs- und Zeitsoldaten in der Lage gewesen wären, in einem intensiven Gefecht bestehen zu können. Gleichzeitig wurde das Recht auf Kriegs-/Wehrdienstverweigerung immer extensiver ausgelegt, bis die berühmte Postkarte genügte, sich für den Zivildienst zu entscheiden. Es galt als clever und schick, nicht den Grundwehrdienst zu leisten.

In den letzten Jahren stieg sogar die Chance, weder das eine noch das andere machen zu müssen. So repräsentierten die einberufenen Wehrpflichtigen schon seit Jahren nicht mehr den gewünschten „Bevölkerungsquerschnitt“. Die „Parlamentsarmee“ ist schon lange nicht mehr das Spiegelbild der Gesellschaft. Sie wurde ein Zerrbild – mit den Stimmen der Politiker, die heute die De-facto-Abschaffung der Wehrpflicht so vehement beklagen.

Schon zu meiner Zeit als Kompaniechef in den 60er Jahren waren wir gezwungen, rund 30 bis 50 Prozent unserer Wehrpflichtigen davon zu überzeugen, dass die Verpflichtung auf Zeit eine attraktive Alternative zum Grundwehrdienst darstellte. Gruppen- und Zugführer waren vom ersten Tag an gehalten, auf Kandidaten für eine Verpflichtung zu achten. Gespräche mit dem Kompaniechef folgten. Diese Suche nach dem Nachwuchs bestimmte auch das Bild des Wehrpflichtigen in der Truppe. Er war nicht eine Nummer, sondern vielleicht ein zukünftiger Unteroffizier in der eigenen Einheit. Die in den Kompanien geworbenen Freiwilligen waren in der Regel deutlich besser als diejenigen, die über die „Freiwilligenannahmestellen“ in die Truppe kamen.

Der Grundwehrdienst war eine Art „Schnupperkurs“. Beide Seiten – Vorgesetzte und Wehrpflichtige – konnten testen, ob eine Verpflichtung Sinn hätte. Diese Situation führte aber nicht zu einer „weichen Welle“ in der Ausbildung. Es war eine harte „kriegsnahe“ Ausbildung, bei der die Würde des Einzelnen zu achten war.

Spätere Laufbahnen von ehemals Wehrpflichtigen als Offiziere und Unteroffiziere lassen erkennen, dass dieses truppennahe Auswahlsystem nicht schlecht war. Diese Auswahl der richtigen „Freiwilligen“ hat durch die Auslandseinsätze an Bedeutung gewonnen. Die Auslandseinsätze werden nicht geprägt durch die Generalität und die Stabsoffiziere. Sie werden geprägt von den jungen Offizieren, den jungen Unteroffizieren und – zu einem Drittel – von den „freiwillig längerdienenden Wehrpflichtigen“. Diese Gruppe prägt in Prizren und Kundus das Bild, das sich die dortige Öffentlichkeit von den deutschen Streitkräften macht. Diese jungen Soldaten vertreten Deutschland. Ihr Auftreten – besonders der „längerdienenden Wehrpflichtigen“ – und deren „kulturelle Kompetenz werden allseits gelobt. Die Defizite in den deutschen Einsatzregeln und in der Ausrüstung sind diesen jungen Soldaten nicht anzulasten. Im Gegenteil – sie müssen sich von den politisch Verantwortlichen verraten fühlen, wenn sie Vergleiche mit Soldaten anderer Nationen ziehen.

Die bei den Auslandseinsätzen dringend benötigten freiwillig längerdienenden Wehrpflichtigen sind ein wunder Punkt bei einer Abschaffung der Wehrpflicht. Es ist zu bezweifeln, dass es gelingt, die avisierten 25000 qualifizierten „freiwilligen Wehrpflichtigen“ zu gewinnen. Die Beispiele anderer Länder – unter anderem Spanien und Großbritannien – zeigen, dass die Hürden sehr hoch sind, ohne den „Schnupperkurs Wehrpflicht“ genügend Freiwillige zu bekommen. Teilweise sind die Anforderungen auf ein bedenkliches Maß reduziert worden.

Politische Prioritäten führen den Rotstift. Er zwingt zum Aussetzen der Wehrpflicht − und damit zur deren De-facto-Abschaffung. Mit ein bis zwei Milliarden mehr für die Bundeswehr und einem drastischen Abbau von für den Einsatz nicht benötigten Dienststellen und der Reduzierung von falscher Ausrüstung wären sinnvolle Alternativen mit Wehrpflichtigen möglich. Die Entscheidungsträger und die interessierten Bürger sollten den Preis der Abschaffung kennen: Die deutschen Streitkräfte werden in eine Nische gerückt und vermehrt nur dann wahrgenommen, wenn es schlechte Nachrichten gibt. Sie werden es sehr schwer haben, ausreichenden qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen. Die deutschen Streitkräfte werden ohne Wehrpflichtige farbloser und langweiliger. Deutschland bekommt andere Streitkräfte – schlechtere, aber die Kassenlage stimmt.

Der Autor kam 1961 als Wehrpflichtiger zur Bundeswehr. Er ist Brigadegeneral a.D. und Chefredakteur von www.worldsecurity-network.com. Er war Direktor des Militärischen Abschirmdienstes der Bundeswehr und ist Mitglied des Internationalen Instituts für Strategische Studien in London.


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