19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
14.08.10 / Ambivalentes »Geschenk Gottes«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-10 vom 14. August 2010

Ambivalentes »Geschenk Gottes«

Die Einführung der Antibabypille vor 50 Jahren kam einer Revolution gleich. Unter dem Namen „Enovid“ bot die US-amerikanische Firma Searle & Co. am 18. August 1960 die erste Antibabypille an. Das neue Mittel zur Empfängnisverhütung enthielt Ersatzstoffe der Eierstockhormone, die den Eisprung und somit die Schwangerschaft verhindern. Damit erfüllte sich der schon von Siegmund Freud formulierte Wunsch, Geschlechtstrieb und Fortpflanzung voneinander zu trennen. In den westlichen Industrienationen indes führte „die Pille“ und der von ihr verstärkte „Wertewandel“ zu einem massiven Geburtenrückgang, dem sogenannten Pillenknick.

Die Forschungen zur künstlichen Empfängnisverhütung gehen bereits auf die Zeit kurz nach dem Ersten Weltkrieg zurück. Der österreichische Physiologe Ludwig Haberlandt hatte im Tierversuch nachgewiesen, dass eine bestehende Trächtigkeit eine weitere Befruchtung verhindert. Das wusste die Menschheit seit jeher, neu war jedoch die Schlussfolgerung, dass Frauen durch die Gabe von Schwangerschaftshormonen vorübergehend unfruchtbar gemacht werden könnten. Es dauerte allerdings noch Jahrzehnte, bis die Wissenschaft in der Lage war, diese Hormone künstlich herzustellen. Erst 1951 konnte der Bostoner Pharmakologe Gregory Pincus einen dem weiblichen Sexualhormon Progesteron ähnlichen Stoff als Verhütungsmittel zum Patent anmelden.

Dass sich Pincus überhaupt der Forschung zur Schwangerschaftsverhütung zuwandte, ist der Krankenschwester Margaret Sanger zu verdanken. Bei ihrer Arbeit war sie täglich mit dem Elend von ungewollt Schwangeren konfrontiert. So wurde sie zu einer Vorkämpferin für die Geburtenkontrolle. Auf einer Party sprach sie Pincus auf die Entwicklung eines Verhütungsmittels an. Nachdem der Wissenschaftler Interesse gezeigt hatte, stellte die bekannte Frauenrechtlerin Katharine McCormick zwei Millionen Dollar für die Forschung zur Verfügung.

Für viele Frauen – und Männer – ging mit Pincus’ Erfindung ein Traum in Erfüllung. Erst diese unkomplizierte Form der Empfängnisverhütung machte die sexuelle Revolution möglich. Kritikerinnen dagegen bemängelten Gesundheitsrisiken für die Frau sowie den Umstand, dass die Verantwortung für die Verhütung allein der Frau übertragen sei und sie zudem als Objekt männlichen Sexualtriebes mehr als bisher verfügbar geworden sei. Auch die Kirchen und andere gesellschaftliche Institutionen liefen anfangs Sturm gegen das neue Verhütungsmittel, das sie als moralzerstörend und als Eingriff in die Schöpfung brandmarkten. Heute dagegen kann die ehemalige Bischöfin Margot Käßmann die Pille öffentlich als „Geschenk Gottes“ preisen, ohne dafür nennenswerten Widerspruch zu ernten.

Die Pille hat die Gesellschaft der industrialisierten Nationen verändert. Mehr als 200 Millionen Frauen lassen sich die Antibabypille regelmäßig verschreiben. Die demografischen Folgen sind stärker denn je, weil bereits die Kinder derer fehlen, die wegen der Pille nicht geboren wurden.       Jan Heitmann


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren