20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
14.08.10 / Aussigs umgeschriebene Geschichte / Die heute tschechische Stadt Aussig (Ústí nad Labem) nimmt ihre deutsche Vergangenheit nur höchst selektiv wahr

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-10 vom 14. August 2010

Aussigs umgeschriebene Geschichte
Die heute tschechische Stadt Aussig (Ústí nad Labem) nimmt ihre deutsche Vergangenheit nur höchst selektiv wahr

Vor 65 Jahren, am 31. Juli 1945, geschah in Aussig an der Elbe das letzte große Massaker an Sudetendeutschen. Der 1975 gegründete Willi-Wanka-Kreis nahm den Jahrestag zum Anlass, um auf die aktuellen Probleme hinzuweisen (Text leicht gekürzt und redigiert).

In der Stadt Aussig (Usti nad Labem) wird in den nächsten Wochen und Monaten ein Museum zum Thema der „Deutschen in den böhmischen Ländern“ errichtet, das mit 12,5 Millionen Euro EU-Geldern finanziert wird und 2011 eröffnet werden soll. Mit 1500 Quadratmetern Ausstellungsfläche wird es immerhin halb so groß sein wie das in Berlin geplante Museum „Flucht, Vertreibung und Versöhnung“.

Die Errichtung des Aussiger Museums ist ein löbliches Unterfangen, aber nur dann, wenn es auf Verständigung ausgerichtet ist und wenigstens ein Bemühen um Wahrheit sichtbar werden lässt. Es verliert aber seinen Sinn, wenn sich darin nur das politische Klima der Stadt widerspiegelt, das leider immer noch durch poli­tische Rechthaberei und durch Beschweigen wichtiger Fakten zur Geschichte der Stadt bestimmt ist.

Beispiele dafür sind:

1. Im Jahre 1936 wurde in Aussig die erste Straßenbrücke über die Elbe geschlagen. Sie wurde dem damaligen tschechoslowakischen Staatspräsidenten Edvard Benesch gewidmet, dessen Namen sie mit wenigen Unterbrechungen bis heute trägt. Es ist dies derselbe Benesch, der während des Zweiten Weltkriegs seine maßgeblichen Alliierten von der Notwendigkeit der Vertreibung der Sudetendeutschen überzeugte. 1945 war er der Motor zuerst der wilden, dann der endgültigen Vertreibung. Am 31. Juli 1945 stand die Beneschbrücke sogar im Mittelpunkt eines Pogroms an den Deutschen.

Ist es im Sinne der aufrichtigen Verständigung zwischen den Völkern, den Namen dieser Brücke in Erinnerung an einen Völkermörder auch heute noch beizubehalten?

2. Der Oberbürgermeister der Stadt zur Zeit der Errichtung der Brücke und bei der Eröffnung 1936 war Leopold Pölzl. Er war Antifaschist und gehörte der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (DSAP) an. Um seine Gefährdung wissend, begab er sich 1938 nicht auf die Flucht, sondern blickte der Gefahr, die besonders ihm drohte, ins Auge. Er gehörte sicher zu den mutigsten Personen, die im letzten Jahrhundert in Aussig lebten. Seinen aufrichtigen Mut bezahlte er 1944 mit dem Leben. Heute gedenkt die Stadt Ústí seiner erfreulicherweise durch eine Gedenktafel am Rathaus. Hoch angebracht ist sie jedoch nur mit Fernglas lesbar. Dass Leopold Pölzl eine bedeutende deutsche Persönlichkeit der Stadt war, verleugnet die tschechische Inschrift total.

3. Bereits im Juni 1945, vier Wochen nach Kriegsende, wurde in Aussig-Lerchenfeld ein Flakausbildungslager in ein Internierungslager vor allem für Deutsche umgewandelt. Über 200 Tote sind zu beklagen, in der übergroßen Mehrzahl solche, die im Sinne jeden zivilen Strafrechts unschuldig waren. Heute steht im Bereich dieses Nachkriegs-KZs der neue Stadtteil Severní Terasa.

Ist es im Sinne der Verständigung zwischen den Völkern, dass noch heute keine Tafel und kein Gedenkstein an diese Stätte des Leidens erinnert?

4. Der Stadtteil Schöbritz (Všeborice) hat sich nach der Wende sehr verändert. Größte Einkaufs-zentren wurden errichtet, wo 1945/46 die tschechische kommunale Miliz in dem Ortsteil eines der größten Vertreibungslager Nordböhmens unterhielt. Ein Großteil der deutschen angestammten Bevölkerung Nordböhmens musste von hier aus den Weg in eine ungewisse Zukunft antreten. Bis heute weist kein Gedenkstein und kein Zeichen auf dem Stadtplan darauf hin.

5. In Kleische (Klíše) betrieb die deutsche Stadt Aussig jahrhundertelang den Stadtfriedhof. Die meisten Einwohner, auch viele Tschechen, wurden dort begraben. Im Tempo der stalinistischen Nachkriegszeit wurde der Friedhof abgeräumt. Ein verlässlicher Nachweis eventueller Massengräber – auch im Zusammenhang mit dem Pogrom vom 31. Juli 1945 – unterblieb. Die Fundamente einer idyllischen Berufsschule sind in den Gräberfeldern gegründet.

Ist es im Sinne der Pietät und der Verständigung zwischen den Völkern, einen bedeutenden Begräbnisort aus dem Stadtbild auch ohne die Spur einer Gedenktafel verschwinden zu lassen?

6. Aussig war jahrhundertelang eine in überwiegender Mehrheit von Deutschen bewohnte Stadt. Die Massenvertreibungen 1945/46 waren der größte Bevölkerungseinschnitt in ihrer Geschichte. Seit Jahrzehnten gibt die Stadt Touristeninformationen mit historischen Überblicken zur Stadtgeschichte heraus. In keinem – auch neueren – wird das Geschehen der Vertreibung erwähnt, geschweige denn auch nur annähernd die Einordnung zuteil, die dem Streben um Wahrheit angemessen wäre.

Ist es im Sinne der Verständigung zwischen den Völkern, in der Geschichte der Stadt das zeitgeschichtliche Faktum der Vertreibung systematisch zu beschweigen und faktisch dem Vergessen anheim fallen zu lassen? Rudolf Pueschel/Fred Hoffmann

Die Autoren des Artikels sind der Vorsitzende und der Pressesprecher des Internationalen Willi-Wanka-Kreises.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren