16.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
21.08.10 / Im Ascheregen von Santorin / Wann und warum wurde die Himmelsscheibe von Nebra vergraben?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-10 vom 21. August 2010

Im Ascheregen von Santorin
Wann und warum wurde die Himmelsscheibe von Nebra vergraben?

Wurde die berühmte Himmelsscheibe von Nebra einst wegen eines gigantischen Vulkanausbruchs vergraben? Die neue Theorie lenkt den Blick auf die faszinierenden Methoden, mit denen immer neue Geheimnisse der Vorgeschichte entschlüsselt werden. Im konkreten Fall bleiben viele Fragen offen.

Ohne einen Anflug von Zweifel titelte die „Welt“ auf Seite 1: „Das Rätsel der Himmelsscheibe ist gelöst.“ Nun birgt die vermutlich zwischen 2100 und 1700 vor Christus hergestellte älteste Himmelsdarstellung dieser Art der Welt aber viele Geheimnisse. Gemeint war die Frage, warum die Scheibe um 1600 v. Chr. nach langem Gebrauch in offenbar noch exzellentem Zustand vergraben wurde.

Hier vertritt der Prähistoriker Francois Bertemes von der Universität Halle-Wittenberg folgende Theorie: Nach der Eruption der griechischen Vulkaninsel Santorin im östlichen Mittelmeer hätte sich durch Vulkanasche über ganz Europa für etliche Jahre ein Grauschleier über den Himmel gelegt, in Mitteleuropa seien eisige Winter, nasskalte Sommer und Missernten zu beklagen gewesen − ein sogenannter „Vulkanischer Winter“. Für die Menschen der Bronzezeit, die einem Sonnenkult anhingen, sei das unerklärlich gewesen, ihr Glaube sei erschüttert worden. „Sie stellten die Priesterschaft und ihre Rituale in Frage“, so Bertemes. In der Konsequenz sei die Scheibe vergraben worden – sei es, um die Götter gnädig zu stimmen, sei es, weil sie nun als unbrauchbar galt.

Die Theorie hat einiges für sich und andere Forscher weisen darauf hin, dass auch das berühmte Monument von Stonehenge, eine Art jungsteinzeitliches Sonnenobservatorium, ebenfalls um 1600 v. Christus nach rund 1500-jähriger Nutzung aufgegeben wurde.

Diese Parallele ist zweifellos faszinierend, und doch stellen sich viele Fragen. In England lebten damals Nachkommen neolithischer Völker, in Mitteldeutschland hingegen ein ganz anderer Menschenschlag: Indoeuropäer der Aunjetizer Kultur – die direkten Vorfahren der Germanen und damit überwiegend auch der jetzigen Bewohner in diesem Raum, der aber auch slawische Einflüsse zeigt. Selbst wenn die beiden frühen Kulturen gewiss einem Sonnenbeziehungsweise Himmelskult anhingen, sind enge Querverbindungen zweifelhaft.

Andere Einwände kommen hinzu. So hatte die Eruption der Vulkaninsel Santorin zwar vermutlich Auswirkungen der beschriebenen Art. Doch trotz aller Bemühungen ist bis heute die minoische Eruption nicht sicher datiert: Seit bald 25 Jahren wogt ein Glaubenskampf zwischen denjenigen, die das Ereignis um 1625 v. Chr. datieren, und anderen, die einen rund 100 Jahre späteren Zeitpunkt für wahrscheinlich halten. Der Haken bei der Sache: Das Ende der Nutzung der Scheibe von Nebra lag wahrscheinlich im frühen 16. Jahrhundert v. Chr. − also just zwischen den beiden möglichen Daten.

Und trotz der eindrucksvollen Überreste der Vulkaninsel wurde das Ereignis womöglich in seiner Bedeutung überschätzt. Offenbar hat die Eruption nicht die minoische Kultur zerstört, wie man lange geglaubt hatte. Und trotz intensiver Suche nach Ablagerungen von Santorin-Asche in Bohrkernen des grönländischen Inlandeises fand sich dort bisher nichts. Dieses Eis bildet Jahresschichten, die man ziemlich exakt datieren kann. Große Vulkanausbrüche hinterlassen darin mikroskopische Aschespuren, die man oft sogar durch ihre Zusammensetzung den einzelnen Vulkanen zuordnen kann − den sicheren Beweis dafür bieten Ausbrüche der letzten Jahrhunderte, die direkt überliefert sind.

In solchen Eisbohrkernen fand sich nun für das Jahr 1644 v. Chr. (+/- 20 Jahre) eine entsprechende Ascheschicht. Die anfängliche Freude über die vermeintlich gelungene Datierung der minoischen Eruption (und des Endes der Nutzung der Himmelsscheibe?) wich bald der Ernüchterung. Die Partikel stammten nicht aus Santorin, sondern wohl von einem Vulkan in Alaska, der um diese Zeit ebenfalls groß ausbrach.

Und doch lassen sich für die Zeit um 1625 v. Chr. mit naturwissenschaftlichen Methoden viele Hinweise auf eine jahrelange Klimaverschlechterung auf der Nordhalbkugel finden, wobei das Jahr 1628 als der Beginn des Einschnittes gilt. Dieses Jahr gilt denn heute auch als das wahrscheinlichste der minoischen Eruption – trotz fehlender Partikel in der entsprechenden Schicht des Grönland-Eises. Die Himmelsscheibe von Nebra wiederum wurde offenbar noch etwa 50 Jahre länger genutzt, jedenfalls lässt sich ein zur Scheibe gehörender Holzfund auf 1580 v. Chr. +/- 20 Jahre datieren.

Fazit: Es bleibt für Prähistoriker faszinierend, verschiedene Funde und Ereignisse wie etwa Nebra und Santorin miteinander in Verbindung zu bringen. Vor allem exakt datierbare Vorgänge wie Sonnenfinsternisse und auch Vulkanausbrüche reizen zu solchen Schlüssen. Exakte Begründungen bleiben dabei  aber unverzichtbar.         K. Badenheuer


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren