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21.08.10 / Georgij Boos wird weggelobt / »Einiges Russland« verwehrt dem amtierenden Gouverneur die zweite Amtszeit − Opposition triumphiert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-10 vom 21. August 2010

Georgij Boos wird weggelobt
»Einiges Russland« verwehrt dem amtierenden Gouverneur die zweite Amtszeit − Opposition triumphiert

Das Jahr 2010 steht für Gouverneur Boos unter keinem guten Stern. Eine wachsende Opposition fordert seinen Rücktritt, eine Reihe von Skandalen und Pannen haben seinem Image geschadet. Nun verwehrt ihm auch noch die eigene Partei die Möglichkeit einer zweiten Amtszeit.

Die Partei „Einiges Russland“ sorgte für eine Sensation, als sie am 16. August ihre Liste mit den Namen dreier Kandidaten veröffentlichte, die sie Präsident Medwedew für das Mitte September zu besetzende Amt des Gouverneurs vorlegen wird. Anders als zuvor angekündigt, fehlte darauf der Name Georgij Boos. Dieser habe gute Arbeit geleistet, solle aber künftig eine Position auf Föderationsebene erhalten, heißt es. Welche das sein könnte, ist offen. Dabei hatte Boos sich gerade in letzter Zeit bemüht, sein beschädigtes Image aufzubessern. Hier eine Kindergarteneröffnung, da ein neues Krankenhaus, Kranzniederlegungen und Treffen mit Veteranen oder Jugendlichen zählten zu seinen guten Taten.

Als im Januar in Königsberg 12000 Menschen auf die Straße gingen, um gegen Steuererhöhungen zu protestieren, hatte das Signalwirkung auf ganz Russland. Ähnliche Kundgebungen in anderen Großstädten folgten. Was den Kreml besonders beunruhigte, war die Teilnahme aller Oppositionsparteien und Bürgerbewegungen. Jahrelang war die Opposition zerstritten und in Splittergruppen zerfallen.

Konnte Boos im März noch eine weitere Großdemonstration durch Gespräche mit den Organisatoren verhindern, lassen seine Gegner sich nun nicht mehr aufhalten. Seit dem 12. August kommt es zu regelmäßigen Protesten gegen ihn. Für den 21. August ist eine neue Großdemonstration geplant. Zu den Organisatoren gehören Vertreter aller Oppositionsparteien, Bürgerbewegungen sowie neuerdings auch der Verein „Unsere Stadt“ und Fans des Fußballclubs „Baltika“. Sie werden mit den Forderungen „Wahl der Gouverneure durch das Volk!“ und „Gouverneur Boos? − nein Danke!“ auf die Straße gehen. Die Veranstalter rechnen mit über 8000 Teilnehmern, zur Zeit streiten sie mit den Behörden über den Ort der Kundgebung. Diesmal wollen sie sich nicht, wie im März, an den Stadtrand vertreiben lassen und kündigten an, notfalls die Hauptstraßen zu besetzen. Der Zeitpunkt für die Demonstration ist bewusst kurz vor der Neubesetzung des Gouverneurssessels gewählt. Die Kundgebung ist nicht nur gegen Boos, sondern auch gegen „Einiges Russland“ und den Kreml gerichtet.

Georgij Boos wurde im Oktober 2005 vom damaligen Präsidenten Wladimir Putin installiert. Quasi als verlängerter Arm Moskaus sollte er die drängenden Probleme, damals vor allem die Wärmeversorgung der Region, lösen und die Kluft zwischen Königsberg und dem Umland schließen. Der gute Draht nach Moskau sollte ihm bei der Umsetzung dieser Aufgaben helfen, doch die Moskauer Herkunft des Gouverneurs wirkte sich über die gesamten fünf Jahre negativ aus. Das Königsberger Gebiet habe schon immer enge wirtschaftliche Beziehungen zu Moskauer Unternehmen gepflegt, doch unter Boos seien Moskauer Investoren bei fast allen bedeutenden Projekten bevorzugt worden, Dies habe er ohne Rücksichtnahme auf die Meinung seiner politischen Umgebung oder von Wirtschaftskreisen getan, was die Kluft zwischen den ärmeren ländlichen Städten und Königsberg nur noch vergrößert habe, sagen Kritiker.

Weiteren Unmut zog Boos Anfang August durch den Umgang mit Umweltaktivisten auf sich, die die Bebauung des Parks beim Sack­heimer Tor durch die Besetzung mit einem Zeltlager verhindern wollten. Die Baufirma „Grandstroj“ hatte zuvor eine Fällgenehmigung erhalten, die ihr wieder entzogen wurde. Die Firma zog vor Gericht und gewann. Gegen die Besetzer ließ sie einen privaten Sicherheitsdienst mit Baggern vorgehen. Boos, der zuvor die Bebauung befürwortet hatte, stellte sich nun auf die Seite der Umweltschützer.

Im Juni gab es einen Skandal um Boos’ militärische Dienstgrade „Oberstleutnant“ und „Oberst“. Diese wurden ihm am 7. Juni gerichtlich aberkannt, weil er sie zu Unrecht erworben hatte. Der ehemalige Armee-Kommandant Generalmajor Viktor Grebennikow, von 1995 bis 2000 im Amt, hatte 103 Offizierstitel an bekannte Persönlichkeiten aus Politik, Behörden und Unternehmen verliehen.

Sergej Obuchow, Dumaabgeordneter der Kommunistischen Partei, wertet die Absetzung Boos’ als Erfolg der neuen Opposition. Es sei gut, dass „Einiges Russland“ auf die Protest-Forderungen eingegangen sei, sagt er. Die Gegner ziehen nach fünf Jahren Boos eine düstere Bilanz: Steuererhöhungen, Rückgang des Lebensstandards, Einkommenseinbußen, Verschlechterung der Lebensqualität durch rücksichtslose Bebauung, Missachtung gesetzlich verankerter Grundrechte und der Freiheit der Bürger.

Auf der Kandidatenliste stehen Jurij Sawenko, Ex-Bürgermeister von Königsberg, heute Abgeordneter der Staatsduma, Nikolaj Zukanow vom Stadtkreis Gumbinnen und der amtierende Königsberger Bürgermeister Alexander Jaroschuk. Die größten Chancen werden dem 45-jährigen Zukanow eingeräumt. Er ist bei „Einiges Russland“ zum Parteisekretär Gumbinnens aufgestiegen. Unter seiner Leitung konnte Gumbinnen einige Fortschritte erreichen. Boos’ Unterstützer, zumeist Geschäftsfreunde, glauben, dass ein anderer Gouverneur die Aufgaben nicht besser lösen werde. Die von Boos begonnen Großprojekte wie der AKW-Bau oder der Autobahnring sollten auch unter seiner Leitung zu Ende geführt werden. Ein neuer Gouverneur sei vielleicht arm an Erfahrung, aber moralisch reich, hofft die Opposition.            Manuela Rosenthal-Kappi


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