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21.08.10 / »Ich bleibe hier als Saat« / Zum Todestag von Edelgard Herrmann − einer Guten Seele in Ostpreußen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-10 vom 21. August 2010

»Ich bleibe hier als Saat«
Zum Todestag von Edelgard Herrmann − einer Guten Seele in Ostpreußen

In diesen Tagen jährt sich der Tod von Edelgard Herrmann. Sie war − als in der Heimat Verbliebene − ein Stück authentisches Ostpreußen − ein Stück greifbare deutsche Vergangenheit, und bis zu ihrem Tode auch Gegenwart.

Am 24. August 2009 starb Edelgard Herrmann. Für alle Ostpreußen. die sie kannten, ist mit ihr ein letztes Stück Heimat verloren gegangen. Denn das Fischerhäuschen am Geserichsee, das die Tochter des Großbauern Preuß aus Weepers bis zu ihrem Tod bewohnte, war zum Sammelpunkt für Heimwehreisende geworden, die zwischen Saalfeld und Mohrungen eine Bleibe suchten.

Hier fanden sie jemand, der die Sprachbarrieren überwinden half. Hier fanden sie Rat und Hilfe zur Orientierung, sogar Quartier und Verpflegung konnte Edelgard anbieten. Denn dies wurde zunehmend ihr Lebensinhalt: Zuerst bot sie Gästen mit Campingwagen einen Platz auf ihrem Grundstück an. Dann errichtete sie mit Hilfe von westdeutschen Gästen eine kleine Unterkunft, zwei Gastzimmer mit provisorischer Küche und chemischer Toilette, und kochen tat sie selber. Von ihren Gästen aus Deutschland erhielt sie ausrangierte Kleidung, Kaffee, Zigaretten, mit denen sie geschickt einen schwunghaften Tauschhandel trieb. So hatte sie für ihre Gäste auch immer genug zu essen. Das Gemüse wuchs in ihrem Garten, und Hühner und Enten hielt sie auch. Das Brot, ja, als es das in den schlimmen Jahren auch in Weepers nicht mehr gab, das Brot brachten die Gäste wohlweislich schon aus Saalfeld mit.

Dieses Haus am See, wo man deutsch sprach und Quartier bekommen konnte, war in einschlägigen Kreisen so bekannt, dass man sich für den Sommerurlaub rechtzeitig anmelden musste, und viele Gäste kamen immer wieder hierher. Denn Edelgard verköstigte ihre Gäste nicht nur. Sehr schnell waren wir Gäste aus Ost- und Westdeutschland mit Edelgard mitten im Gespräch über Vergangenes, über Krieg und Nachkriegszeit und über die Zustände im sozialistischen Polen. Sie zog uns auch immer wieder in ihre eigene Problematik hinein, mit der sie sich ihr Leben lang auseinandersetzte: Die Trauer um den Verlust des alten Ostpreußens, das nun unter einem sozialistischen System und ohne Hilfe ausländischer Partner einen Aufschwung nicht schaffte, sondern eher noch von dem großen Bruder im Osten ausgenommen wurde. Zorn erfasste sie, wenn sie miterlebte, wie der väterliche Hof von Jahr zu Jahr immer mehr heruntergewirtschaftet wurde.

Sie bangte um die Zukunft ihrer Kinder. Hatten die hier in Polen die Chancen, im Leben weiter zu kommen? Sie schickte sie schließlich nach Deutschland. Sie selbst konnte sich von ihrer Scholle nicht trennen. „Ich bleibe hier als Saat“, sagte sie manchmal.

Nun war sie ganz allein. Ihr polnischer Mann, Adam Steusing, war schon 1974 gestorben.

Die langen Wintermonate wurden ihr schwer. Sie las, was sie an polnischen und deutschen Büchern bekommen konnte, pflegte eine weitreichende Korrespondenz mit Freunden und ehemaligen Gästen, und hin und wieder machte sie ihrem Herzen Luft in ein paar Versen, die ihre Not, ihren Zorn oder die wehmütige Stimmung zum Ausdruck brachten.

Frau Not

Frau Not ist mir keine Fremde, schon Jahre blieb sie

mir treu.

Sie steht mir täglich zur Seite, teilt Sorge mit mir und Freud.

Haben wir keine Brennung, steht sie im Schuppen und lacht.

Ist Fleisch, Zucker und Brot am Ende, Frau Not mich

freundlich betracht‘.

Nun zieh doch endlich weiter, lass mich doch mal allein! Sie droht mir mit dem Finger und sagt ganz einfach, nein.

So pack dich weg, du Böse, such dir ein andres Haus,

sonst petz ich dem Herrn Penning, und der, der schmeißt

 dich raus!

Im Jahr 1981 heiratete Edelgard in zweiter Ehe Arthur Herrmann. Dieser hatte seinen Hof in Schwalgendorf drüben auf der anderen Seeseite seinem Neffen übergeben und zog nun in das Fischerhäuschen. Sie verstanden sich gut in ihrer gemeinsamen Erinnerung an das frühere Ostpreußen und wussten für interessierte Gäste viel aus der Geschichte des Landes zu erzählen. Selbstverständlich kannten und gebrauchten sie die deutschen Namen der Ortschaften und meist auch die Namen der ehemaligen Besitzer der Güter.

Seit etwa 15 Jahren litt Edelgard zunehmend an ihrer rheumatischen Erkrankung. Diese war wohl die Folge jahrzehntelanger schwerer Arbeit auf dem Feld, im Stall und in einem Haus ohne den Luxus von fließendem Wasser oder Zentralheizung. Feucht und bitter kalt konnte es am See sein, aus dem sie im Winter nach dem Aufhacken des Eises ihr Wasser schöpfte. Wenn ich sie in den letzten Jahren besuchte, traf ich sie nur noch im Sessel neben ihrem Kachelofen an, mit steifen, schmerzenden Gelenken und gichtverkrümmten Händen. Jede Bewegung des Körpers fiel ihr schwer. Aber unverändert beweglich war ihr Geist geblieben. Sie las immer noch viel, diskutierte, erzählte Witze und fragte mich nach allen gemeinsamen Bekannten und deren Ergehen. Immer wenn ich sie verließ, hatte ich den Klang ihres unverfälschten Weeperschen Ostpreußisch im Ohr. Diese starke Frau hat nun ihren Frieden gefunden. Für uns war ihr Dasein ein großes Geschenk und wird unvergessen bleiben. Ursula von Buttlar


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