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28.08.10 / Verschwundene Millionen / Die Volkszählung 2011 dürfte zeigen, dass Deutschland weniger Einwohner hat − Vielfältige Auswirkungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-10 vom 28. August 2010

Verschwundene Millionen
Die Volkszählung 2011 dürfte zeigen, dass Deutschland weniger Einwohner hat − Vielfältige Auswirkungen

In Sachen Ordnungsliebe und Zuverlässigkeit werden die Deutschen weltweit geschätzt. Für fast alles gibt es zudem in diesem Land Statistiken, in denen mit Prozentsätzen Entwicklungen aufgezeigt werden. Doch viele dieser Zahlen, auf die sich der Staat, die Wirtschaft und die Wissenschaft berufen, bilden inzwischen alles andere als die Realität ab.

Schon die Frage, wie viele Einwohner dieses Land hat, beantwortet man falsch, so man denn die offizielle Zahl des Statistischen Bundesamtes nennt. Laut der Behörde sollen es 81,8 Millionen sein, aber Genaues weiß man nicht. Das Gleiche gilt für Fragen nach der Religion, der nationalen Herkunft, dem Bildungsstand, dem Familienstand, dem Einkommen, dem bewohnten Wohnraum und vieles mehr. Noch schwieriger wird es, wenn man wissen will, wie viele Einwohner bestimmte Städte, Gemeinden und ganze Bundesländer haben.

Alle Zahlen, die hierfür genannt werden, basieren auf zwei Quellen, die nicht wirklich zuverlässig sind. Das sind einmal die kommunalen Melderegister, doch nicht jeder Bürger meldet sich an beziehungsweise ab, wenn er umzieht. Und dann ist da noch die Datenbasis, die die letzte Volkszählung ergeben hat. Doch die war in den alten Ländern zuletzt 1987 und in der DDR sogar 1981. Die gesamten Wanderbewegungen nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 sind nie vollständig erfasst worden. Allein dies macht den Zensus, bei dem Deutschland auf Druck der EU die Zahl seiner Einwohner offiziell feststellen muss, auch politisch brisant. Denn Bevölkerungszahlen liefern nicht nur die Grundlage für die Infrastrukturplanung, so dass Städte und Gemeinden besser absehen können, wie viele Kindergartenplätze, Schulen oder Altenheime sie benötigen.

Die Zahl der Einwohner hat auch politische und finanzielle Folgen. Die Höhe des Länderfinanzausgleich, die Einteilung der Bundestagswahlkreise, die Stimmenverteilung der Bundesländer im Bundesrat oder die Sitze Deutschlands im Europaparlament; alles hängt direkt mit der Zahl der Einwohner zusammen. Und schon jetzt wird vermutet, dass als Folge des Zensus 2011 die neuen Bundesländer deutliche Einnahmeverluste erleiden werden. Jeder Bürger erhöht schließlich die Ansprüche aus dem Länderfinanzausgleich, doch schon jetzt wird geschätzt, dass im Osten des Landes etwa 1,3 Millionen Menschen weniger leben, als die Statistiken es angeben. Bei der letzten Volkszählung 1987 musste die Bevölkerungszahl nur um knapp 77000 Personen korrigiert werden, was jedoch schon zu einer Umverteilung von 935 Millionen D-Mark führte.

Für eine weitere Überraschung dürfte neben der reinen Einwohnerzahl die zu erwartende Zunahme der statistisch erfassten Personen mit Migrationshintergrund sorgen. Bisher werden nämlich nur jene Bürger dazu gerechnet, die entweder eine ausländische Staatsbürgerschaft haben oder zumindest im Ausland geboren wurden. Wenn es also bisher heißt, dass jeder fünfte in diesem Land ausländische Wurzeln hat, dann dürfte sich diese Aussage nach dem Zensus noch deutlich erhöhen. Denn erstmals wird nun ermittelt, ob eines oder beide Elternteile einer Person im Ausland geboren wurden und falls ja, in welchem Land.

Allerdings wird nicht jeder der Einwohner so befragt. Beim Zensus 2011 werden vor allem die Daten aus den (nachkontrollierten) Melderegistern sowie den Anschriften- und Gebäuderegistern als Basis genommen. Direkt befragt wird nur jeder zehnte Bundesbürger und das auch nur im Durchschnitt, denn Statistiker haben empfohlen, in ländlichen Gebieten mehr Stichproben zu erheben als in Ballungsgebieten. Und so wird in Rheinland-Pfalz durchschnittlich jeder siebente und in Hamburg nur jeder 23. befragt. Doch Gert G. Wagner, Vorsitzender der Zensuskommission und Professor an der TU Berlin, weist gegenüber der PAZ darauf hin, dass die Größe dieser Stichprobe sehr zuverlässiges Datenmaterial böte. „Wir machen Aussagen über Wahlen, da werden 1000 Personen befragt, hier werden acht Millionen befragt.“

Grund dafür, dass nicht jeder Einwohner in diesem Land befragt werden wird, ist aber nicht allein die Tatsache, dass dies ein sehr teures Unterfangen wäre und bereits jetzt mit Kosten in Höhe von 710 Millionen Euro gerechnet wird. Viel entscheidender dürften hier die Erfahrungen der letzten Volkszählung sein. Diese war eigentlich bereits für 1981 geplant, verzögerte sich aber aus politischen Gründen und wegen massiver Bürgerproteste um sechs Jahre. Obwohl es zahlreiche Boykottaufrufe gab, die den Überwachungsstaat und den „gläsernen Bürger“ fürchteten, meldeten die Statistiker, dass die Volkszählung schließlich gelang.

Auch heute noch gibt es Bürgerrechtler, die die Bedenken von 1987 für aktuell halten. Vor wenigen Wochen reichten sie in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde gegen die für 2011 geplante Volkszählung ein. „Derzeit ist noch nicht absehbar, wann eine Entscheidung in dem betreffenden Verfahren ergehen wird“, teilt Judith Blohm, Pressesprecherin des Bundesverfassungsgerichts, auf Anfrage der PAZ mit.

In Erinnerung an 1987 will die Bundesregierung den Widerstand gegen den Zensus 2011 so klein wie möglich halten. Das dürfte auch ein Grund dafür sein, warum sie nicht dem Vorschlag der Zensuskommission folgte, auch nach der im jeweiligen Haushalt gesprochenen Sprache zu fragen. Dieses Merkmal wäre zwar ein aussagekräftiger Indikator über das Maß der Integration gewesen, doch es hätte eine kontroverse Diskussion auslösen können, die die Politik vermeiden möchte. Zudem bindet der Verwaltungsaufwand des Zensus 2011 bereits jetzt genügend Kräfte. Wie viel Personal es genau sein wird, weiß man beim Statistischen Bundesamt zwar noch nicht, doch Fakt ist, dass ab Mai 2011 Interviewer durch das Land ziehen werden und im Hintergrund Mitarbeiter die ermittelten Daten zu einem aussagekräftigen Bild zusammenfügen müssen. Das dauert: Erst Ende 2012 sollen die Ergebnisse vorliegen.        Rebecca Bellano


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