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28.08.10 / »Wahrzeichen vaterländischen Dankes« / Bismarcktürme – Wie das Phänomen entstand und welche Bedeutung den Türmen heute zukommt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-10 vom 28. August 2010

»Wahrzeichen vaterländischen Dankes«
Bismarcktürme – Wie das Phänomen entstand und welche Bedeutung den Türmen heute zukommt

Markant auf kleinen Bodenerhöhungen positioniert und heute nicht selten sanierungsbedürftig, stehen sie da: Meist schlicht und prunklos, massiv und aus Stein; die Feuerschalen werden nicht mehr angezündet und die einst zahlreichen Besucher bleiben aus. Gemeint sind Bismarcktürme.

Sie verteilen sich über das gesamte Territorium der Bundesrepublik, stehen noch vereinzelt in Ostdeutschland jenseits von Oder und Neiße und sogar – freilich noch seltener – in den einstigen deutschen Kolonien in Afrika. Mindestens 172 der ursprünglich rund 240 Türme sind heute noch erhalten.

Wie entstand dieses Phänomen? Otto von Bismarck war bereits zu seinen Lebzeiten eine Legende; und noch zu Lebzeiten wurden ihm zu Ehren Denkmäler und Standbilder errichtet. Im Jahre 1869 wurde erstmals ein Turm – ein sechsgeschossiger Aussichtsturm im oberschlesischen Ober-Johnsdorf – nach ihm benannt. Bis zu seinem Tod am 30. Juli 1898 folgten mehr als zehn weitere solcher Türme; insgesamt blieben sie aber eine Randerscheinung.

Dies änderte sich, als noch im selben Jahr, als Bismarck starb, die Deutsche Studentenschaft in einem Aufruf an das Volk anregte, dem verstorbenen Altreichskanzler ein „bleibendes, würdiges und volkstümliches Wahrzeichen vaterländischen Dankes“ zu hinterlassen. Die Studenten forderten, „auf allen Höhen unserer Heimat … gewaltige granitene Feuerträger“ in Form von einheitlichen Türmen zu errichten, und schrieben einen Wettbewerb zum Entwurf eines geeigneten Modells aus. Eingereicht wurden über 300 Vorschläge. Prämiert wurde letztlich „Götterdämmerung“ des Architekten Wilhelm Kreis. Der Entwurf war wie von der Studentenschaft gefordert: sehr kräftig, aber schlicht und prunklos. Den Schaft des Turms zieren lediglich vier Dreiviertelsäulen, dazwischen ist ein Reichsadlerrelief mit Bismarck-Wappen angebracht, darüber eine Feuerschale. 47 Türmen – sogenannten Bismarcksäulen – diente dieser Entwurf als Vorbild. Auch wenn die anderen, individuell gestalteten Türme von Kreis’ Standardentwurf zum Teil deutlich abweichen, folgen sie stets einem Konzept: Massivität wird als dominantes Gestaltungsmittel genutzt und erzeugt so auch im kleineren Maßstab Monumentalität.

Wie Pilze schossen in den kommenden Jahren Bismarcktürme im gesamten Reich aus dem Boden, wobei es in den traditionell evangelischen Gebieten mehr sind als in katholischen Regionen; in Altbayern etwa sind es nur eine Handvoll. Auch im fernen Ausland – etwa in Chile – und in den deutschen Kolonien wurden von deutschen Auswanderern Bismarck­türme aufgestellt. Der „Schmied des Deutschen Reichs“ genoss im ganzen Volk Verehrung – die Finanzierung der Turmbauten erfolgte übrigens durch private Spenden – und es wurden zahlreiche Bismarckturm-Vereine gegründet. Über 400 Bismarck­türme und -säulen waren geplant. Der Ansporn kam nunmehr nicht nur aus der Studentenschaft, sondern zunehmend auch aus dem Besitz- und Bildungsbürgertum. Denn Bismarcktürme wurden allmählich zu einem bürgerlich-patriotisches Freiluftzeremoniell: zugleich beliebtes Ausflugsziel als auch zwanglose Ehrerweisung gegenüber dem Reichsgründer. Vor allem an Bismarcks Geburts- und Todestag wurden die Türme besucht und die Feuerschalen entzündet.

Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges mussten die meisten Projekte auf Eis gelegt werden. Neben zahlreichen Türmen war davon etwa auch die Planung eines monumentalen Bismarckdenkmals am Rhein betroffen. Selbstredend machten die politischen Entwicklungen nach dem Krieg ein Anknöpfen an wilhelminische Traditionen unmöglich. Zwar wurden noch vereinzelt bereits begonnene Türme fertig gebaut – etwa in Delecke bei Soest –, das Ende des Phänomens war aber besiegelt.

Bald darauf, bedingt durch die Gebietsabtretungen im Jahre 1920, setzten die ersten mutwilligen Zerstörungen von Bismarcktürmen ein. Durch die verheerenden Folgen des Zweiten Weltkrieges und die nicht selten ideologisch motivierten Zerstörungen von Kulturgütern in den deutschen Ostgebieten und in der DDR wurden Dutzende weiterer Bismarcktürme vernichtet. Noch im Jahre 1981 wurde im sächsisch-anhaltinischen Hasselfelde-Trautenstein ein Bismarckturm durch die sowjetische Armee abgerissen. Immerhin überstanden rund 70 Prozent aller Türme die Wirren der letzten Jahrzehnte.

Welche Bedeutung kommt den Türmen heute zu? Vornehmlich werden sie von Spaziergängern und Aus­flüg­lern aufgesucht, die sich eher für Exkursionsziele fernab der üblichen Hauptattraktionen interessieren. Jüngst stellte etwa ein Buch zu der gleichnamigen Fernsehsendung „Das NRW-Duell“ neben anderen abgelegenen Wanderpfaden auch den Bismarckturm in Bad Salzuflen vor.

Mancherorts dienen Bis­marck­türme noch als Stätten kultureller Begegnung. Es wird nicht mehr Bismarck gehuldigt, dafür werden die Türme in das jeweilige gemeindliche Brauchtum eingebettet. So etwa in Lützschena-Stahmeln bei Leipzig: Hier wird nicht nur regelmäßig ein Chortreffen im Turm veranstaltet, man trifft sich auch zur alljährlichen Sonnwendfeier bei Lagerfeuer und gemeinsamer Musik am Bismarckturm. Der Turm in Lindenfels ist hingegen einer der ganz wenigen, die noch ihre ursprüngliche Funktion beibehalten haben. Im Rahmen der traditionellen Befeuerung der Odenwaldberge wird auch auf der Schale über dem Bismarckturm ein Feuer entzündet. In zahlreichen anderen Städten – beispielsweise Dresden, Unna oder Herford – wurden Bismarckturm-Vereine (wieder-)gegründet, die Mittel für eine Sanierung der Türme auftreiben und sie einem öffentlichen Besucherverkehr zugänglich machen wollen.

Auch im Internet hat sich eine kleine „Kultgemeinde“ um die Türme gebildet. Auf der Seite www.bismarcktuerme.de  berichtet Jörg Bielefeld bereits seit 2001 umfassend über Neuigkeiten rund um die Türme. Inzwischen stellt seine Netzpräsenz ein anschauliches Kompendium aller bekannten Bismarcktürme dar, das ständig aktualisiert wird und so eine nützliche Ergänzung des Standardwerks „Lexikon der Bis­marck­denkmäler“ von Sieglinde Seele ist.

Nicht zuletzt bleiben die Bismarcktürme ein ausdrucksvolles Lehrstück eines ernsthaften, ungezwungenen und aus der Mitte des Volkes aufkeimenden Patriotismus, wie wir ihn heute nur noch selten erleben.    Daniel Napiorkowski


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