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28.08.10 / Tante Emma kommt zurück / Kleinunternehmer bremsen Siegeszug der Discounter – Privaten Initiativen den Rücken stärken

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-10 vom 28. August 2010

Tante Emma kommt zurück
Kleinunternehmer bremsen Siegeszug der Discounter – Privaten Initiativen den Rücken stärken

Hans Eisenreich, einstmals Betreiber eines winzigen Sari-Sari-Lädchens auf den Philippinen, kam entsetzt von einem Besuch alter Freunde – wie er ehemalige und heimgekehrte Auswanderer – aus dem ostvorpommerschen Dörfchen Löwitz (440 Einwohner) zurück nach Süddeutschland. Sein Kommentar: „Da oben könnte ich nicht leben! In einem Umkreis von sechs Kilometern keine Kneipe, kein Laden, keine Bushaltestelle, kein Telefon, kein rein gar nichts. Ohne Auto oder als alter Mensch bist du aufgeschmissen. Da müsste endlich mal einer ein Lädchen aufmachen.“ Eisenreich legt den Finger auf eine Wunde der deutschen Nachkriegsgesellschaft: den Niedergang der kleinbäuerlichen Gemeinden, ihrer Bäcker, Fleischer, Gaststätten und Handwerker zugunsten von Einkaufszentren und Discountern auf der grünen Wiese im Einzugsbereich der Städte und das Entstehen einer Unterversorgung auf dem platten Land. Viele Gemeinden verkamen zu Schlafstätten, das gesellschaftliche Miteinander, das urbane Dorfleben von einst verkümmerte. Gab es etwa vor 50 Jahren in Deutschland noch 55000 Bäcker, so sind es heute gerade mal 14500; pro Jahr machen nach Angaben des Zentralverbandes etwa 400 weitere Betriebe dicht. Die Zahl der Lebensmitteleinzelhändler hat sich nach Erhebungen des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung in Berlin von 2000 bis 2007 bundesweit um 17000 Händler oder 37 Prozent auf 28900 verringert. Analog nahm die täglich zurückgelegte Kilometerzahl zum Einkauf von 1982 bis 2002 von 219 Millionen Kilometer auf 444 Millionen zu. Mindestens acht Millionen Bürger der Republik, darunter vor allem Alte und Behinderte sowie Minderbemittelte ohne eigenes Auto, gelten inzwischen als unterversorgt. Ähnliches trifft auch, wie eine Erhebung der Analysefirma A.T. Kearny belegt, auf Österreich zu. Dort allerdings wird längst auf eine Umkehrung des Trends hingewirkt und die Analysten schätzen, dass in den nächsten Jahren bis zu 900000 Kunden und ein Umsatz von über zwei Milliarden Euro von den Discountern zu kleinen Betrieben mit individueller Bedienung, Beratung und Kundenansprache abwandern. Allerdings, so Kearny, versuchten Discounter wie etwa Spar inzwischen, mit kleinen Frischemärkten auf diesen Zug aufzuspringen.

Den Trend zurück zur individuellen Bedienung hat in der Bundesrepublik beispielsweise Rewe erkannt und experimentiert seit kurzem mit der Neueinrichtung des Testmarktes „Temma“ nach dem Vorbild „des klassischen Marktplatzes“. Sechs „Vierlinden“-Biomärkte ergänzen das Konzept. Ein Kölner Rewe-Manager: „Es soll wieder menscheln.“ Der Branchenverband deutscher Shopping-Zentren (GCSC) in Berlin alarmierte seine Mitglieder mit der Warnung, dass der Boom der mittlerweile 440 Shopping-Center im Lande vorbei sei, da es in den Stadtzentren kaum noch Platz für Neubauten gebe oder – wie etwa in Hamburg-Harburg – zu viel Kapazitäten entstanden seien, für die es an Kaufkraft mangele, so dass sich die Ladenmeilen zu stark Konkurrenz machten. Zudem habe sich das Kaufverhalten der Deutschen deutlich von der Quantität zu Qualität und individueller Bedienung gewandelt.

Mit dem sogenannten Dorfladen-Netzwerk (Slogan: Bei Tante Emma schlägt das Herz des Dorfes) soll privaten Initiativen der Rücken gestärkt werden. Allein in Bayern wurden inzwischen 200 solcher Kleingeschäfte gegründet. Das Projekt „Dorfladenagentur Rheinland-Pfalz“ möchte die Funktionen noch durch die Entgegennahme von Behördenformularen sowie ähnliche persönliche Dienstleistungen ergänzen. In der Region Trier etwa existieren bereits 39 solcher Geschäfte. Mit dem Stichwort „Sicherung der Nahversorgung im ländlichen Raum“ wurde bei der Internationalen Grünen Woche in Berlin ein entsprechendes, 200 Seiten umfassendes Handbuch vorgestellt. Es soll  Gründern praktische Anleitungen an die Hand geben. Denn inzwischen schießen in den manchmal wie ausgestorben wirkenden Dörfern allenthalben wieder Hofläden und kleine Dorfläden (manchmal als Kooperative betrieben) aus dem Boden, versuchen fahrende Händler die brach liegende Versorgung mit neuem Leben zu füllen und manchmal sogar für backwarme Frühstücksbrötchen oder an der Küste für frischen Fisch zu sorgen. Den schlagkräftigen Begriff Tante Emma machte sich inzwischen sogar ein Händler in Paris zunutze: Am Marché de la Porte Saint Martin, Rue du Cháteau d’eau, hat er unter dem Namen „Der Tante Emma-Laden, Epicerie, Gourmandises & Traditions d’Allemagne“ ein bewusst altertümlich ausgestattetes Geschäft gegründet, das im Land der Feinschmecker germanophile Franzosen anlockt.             Joachim Feyerabend


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