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28.08.10 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-10 vom 28. August 2010

Warum wir zu Sarrazin am liebsten schwiegen, wieso Westerwelles Schwatzteufel nie schweigt, und wie Morgenthau doch noch siegt / Unsere Geißel
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Angela Merkels Integrationsstaatsministerin Maria Böhmer (CDU) ist außer sich: Das neue Sarrazin-Buch  („Deutschland schafft sich ab“) sei „diffamierend und verletzend“. Sarrazins These sei nämlich wissenschaftlich nicht haltbar, weil „keinerlei Studien“ belegten, dass Muslime in Deutschland grundsätzlich weniger integrationsbereit seien als andere Einwanderergruppen. Ja, mehr noch: Eine neue Untersuchung belege vielmehr, dass Türkenkinder bei gleichem sozialen Hintergrund sogar häufiger auf Realschulen und Gymnasien wechselten als gleichbegabte Deutsche.

Studien sind wichtig bei der Argumentation. Sie setzen den eigenen Standpunkt auf den hohen Sockel unerschütterbarer wissenschaftlicher Evidenz. Man muss sie allerdings zielgerichtet lesen können. Die Untersuchung, auf die Böhmer anspielt, besagt vor allem: Obwohl türkische Kinder in keiner Weise diskriminiert werden und sogar heftiger auf Gymnasien und Realschulen drängen als ihre deutschen Schulkameraden, schaffen sie den Sprung deutlich seltener. Den Teil ließ Frau Böhmer lieber weg.

Eine andere Studie (vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen) ergab überdies, dass bei jungen Muslimen die Gewaltneigung bei wachsender Frömmigkeit zunimmt, während junge Christen umso friedlicher werden, je religiöser sie sind. Wie sagte Frau Böhmer noch? „Keinerlei Studien ...“.

Sarrazin ist eine Geißel für die Politik. Die meisten Politiker ziehen es daher vor, zu seinen Äußerungen lieber eisern zu schweigen, um sich nicht lächerlich zu machen wie Merkels Staatsministerin. Stilbildend für das neue Reaktionsmuster der Parteigranden ist die Kanzlerin selbst. Wir erleben die „Vermerkelung“ der Debattenkultur: Wenn den Politikern ein Thema nicht behagt, dann fordern sie nicht mehr lauthals ein „Ende dieser schädlichen Diskussion“. Nein, sie sagen schlicht gar nichts mehr dazu, selbst wenn die Leserkommentar-Spalten überquellen und die Sache für einen Großteil des Volkes von höchster Wichtigkeit ist.

Für Journalisten ist die Angelegenheit schwieriger. Wir müssen von Berufs wegen immer irgendwas sagen, sonst heißt es nachher, wir hätten das Thema verpasst. Was aber soll man zu Sarrazin sagen, ohne sich die Finger zu verbrennen? Das Perfide an dem Kerl ist ja, dass er kaum widerlegbare Fakten anbringt, die von den ganz eingefleischten Multikultis kaum noch jemand bestreiten mag, nur dass man sie öffentlich besser nicht zum Besten gibt. Was sollen denn die Leute denken?

Früher hatten wir Journalisten für solch knifflige Fälle eine recht schlichte Rezeptur zur Hand.   Wir durchwirkten unseren Beitrag  erstmal kräftig mit soziologen­deutschen Flos­keln, die dem Leser klarmachen sollen, dass die Immigrantenproblematik  viel zu kompliziert für ihn ist: „Hier darf es keine einfachen Antworten geben!“ Dann fügten wir noch ein paar einfache Antworten aus dem Satzbaukasten der politischen Korrektheit an (Bereicherung!), und schon konnten wir beruhigt nach Hause gehen in dem Gefühl, dem „Populismus die Stirn geboten“ zu haben.

Das ging viele Jahre gut und war äußerst bequem. Irgendwann jedoch haben die Leute entdeckt, dass diese Tour eher billig als elegant ist – und noch dazu (mehr als nur ein bisschen) feige. Eine neue Taktik, sich aus dem Staub zu machen, musste her.

Sie wurde gefunden: Medienprofis von heute verlegen sich beim Sarrazin-Verprügeln bevorzugt aufs Geschmackliche. Vermutlich habe er ja Recht, gibt eine große Tageszeitung zu, doch Sarrazin gebe sich viel zu „überheblich“, weshalb es schwer sei, das zuzugeben. Ein bedeutendes Regionalblatt nennt den Ex-Senator „bissig, provokant, und vor allem: sehr eigen“. Mit solchen Tönen hat man beide Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Einerseits gibt man sich vor den Lesern, denen man immer weniger vormachen kann, keine Blöße als Multikulti- Spinner, andererseits hält man ausreichend Distanz zu dem Provokateur.

Indes: Bissig? Provokant? Eigen? Ältere erinnern sich an graue Vorzeiten, in denen diese Wörter als Attribute für guten, „kritischen“ Journalismus herumgereicht wurden. Die solchermaßen Titulierten nahmen sie wie Orden entgegen. Heute verwenden Journalisten diese Wörter als Etiketten für die eingeschränkte Salonfähigkeit eines Autoren. Wie sich Zeiten und Sitten doch ändern!

Das verwirrt uns manchmal, weshalb wir dankbar sind für jedes Stück Kontinuität, für Sachen und für Leute, die sich nicht immerzu ändern. Der Schwatzteufel im Kopf von Guido Westerwelle etwa bleibt uns stocktreu und lässt sich durch keine Ermahnung von seinem Weg abbringen. Selbst wenn die Ermahnung von Guido Westerwelle selbst kommt. „Wir sind entschlossen, aus der Erfahrung der ersten Monate zu lernen“, gelobte der FDP-Chef mit Hinblick auf das nervenaufreibende Hin und Her bei Schwarz-Gelb, so bei der Frage von Steuern und Staatsfinanzen.

Kurz vor der Sommerpause hatten sich Unionler und Liberale endlich darauf verständigt, jegliches Gerede über Steuersenkungen erstmal sein zu lassen. Westerwelle saß mit am Tisch und nick­te eifrig. Kaum aber war der Vizekanzler im Urlaub angekommen, schoss der Teufel wieder aus ihm heraus und plapperte von der Möglichkeit, die Steuern nun doch bald senken zu können.

Ja, so kennen wir ihn, so wollen wir ihn haben: Immer nochmal und nochmal bis zum Stillstand der Pupillen, damit bloß keine Debatte jemals ein Ende findet oder gar in eine Entscheidung mündet, die mehr als nur vorläufigen Charakter hat. So geht es auch mit der FDP nicht nur schwungvoll hin und her, sondern auch kräftig rauf und runter, vor der Wahl rauf, danach runter. Unter null kann eine Partei bei Umfragen aber nicht fallen, denkt sich Westerwelle und gibt sich entsprechend „optimistisch“, dass die miesen Werte für seine Partei nur eine „Momentaufnahme“ seien.

Manchen Liberalen werden die „Momente“ allerdings langsam knapp: Nächstes Jahr sind Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. In Hessen werden 2011 überdies neue Kommunalparlamente gewählt, daher rebelliert der dortige FDP-Landesvorsitzende Jörg-Uwe Hahn gegen seinen Bundeschef nun ganz offen. Westerwelle schert das nicht: Die FDP sei eben eine „diskussionsfreudige Partei“, grinst er zu Hahns Attacken.

Dieses Hobby teilt die FDP mit ihrem Koalitionspartner. Dem Volk fällt es indes zunehmend schwerer, dem wirbelnden Plapperfluss der Diskussionsfreudigen zu folgen. Haben Sie noch einen Überblick, was bei Atomsteuer, Restlaufzeiten etc. eigentlich geplant ist? Statt einer klaren Vorstellung versorgt uns die Bundesregierung nur mit Ahnungen, und die sind vor allem böse.

Selbst wirklich Mächtige bekommen es da mit der Angst. 40 von ihnen, darunter die Chefs von Deutscher Bank und Deutscher Bahn, aber auch Otto Schily, Wolfgang Clement (beide SPD) und Friedrich Merz von der CDU, haben sich in einem Appell an Angela Merkel gewandt. Die solle den Atomausstieg noch einmal überdenken. Der frühere Hamburger Umweltsenator und spätere Windkraft-Unternehmer Fritz Vahrenholt (SPD) bezeichnet die derzeitige Energiepolitik als „Morgenthau-Pläne“: Die Strompreise würden explodieren und die Industrie aus dem Land jagen.

Die Kanzlerin ficht das alles nicht an. Als der Aufruf kam, klimakanzlerte sie gerade durch Deutschland und träumte von ihrer energiepolitischen „Revolution“. Revolution kann viel bedeuten. Etwa, dass eine ideologische Avantgarde alle „rückständigen“ Elemente und Denkweisen radikal beiseite schiebt und der einzig gültigen Wahrheit zum Durchbruch verhilft. Das Ergebnis waren für gewöhnlich bettelarme Länder. Vahrenholts Morgenthau-Vision ist also gar nicht so abwegig.


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