19.04.2024

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04.09.10 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-10 vom 04. September 2010

Wie niemand auf mich hören wollte, warum das Ausland uns nicht hilft, und wieso die    Diskutierende Klasse keinen Schimmer hatte / Brüllende Klasse
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Hättest Du geschwiegen, wärest Du ein Weiser geblieben!“ Tja, haste aber nicht. Was habe ich die politische Elite unseres Landes doch überschätzt vergangene Woche, als ich mich noch in der Gewissheit sonnte, dass sich schon kein Wichtiger zu Sarrazin äußern würde. Die Druckerschwärze war noch nicht trocken, da tobten sie los. Vom muslimischen Vereinsheini, dessen Namen wir noch nie gehört hatten, bis zur Bundeskanzlerin drückten alle den ranzigen Senf aus der prallvollen Tube ihrer Plattitüden.

„Zirkus Sarrazini“ nannte ein Witzbold diese Aufführung. Das Bild passt: Dompteur Sarrazin sagte „Hopp!“ und alle führten ihre Nummer auf. Na ja, nicht alle. Einige verpassten den Einsatz. Sowas passiert den erfahrensten Dressuraffen. Ein gnädiger Dompteur weiß das und gibt den Pennern der Manege eine zweite Chance. Also schob Sarrazin das Stichwort „Juden-Gen“ hinterher. Jetzt wurde selbst Guido Westerwelle wach und machte ein Geräusch. Den hatten wir schon vermisst, wo er doch nie abseits stehen mag, wenn es etwas Dummes zu sagen gibt.

Allerdings: Wer „Jude“ und „Gen“ in einen einzigen Satz packt, der betritt eindeutig die verbotene Zone. Noch dazu, wenn er sich auf eine wissenschaftliche Arbeit stützt, die er nicht ganz richtig verstanden hat, wie Sarrazin selbst einräumen musste. Alle hofften, dass er damit endgültig den Selbstzerstörungsknopf gedrückt hat und warteten begierig darauf, dass die böse Hexe mit einem lauten Knall zerplatzt.

Tut sie aber nicht – völlig unverständlich! Vor wenigen Jahren noch hätte das wunderbar geklappt. Puff, und der „Nazi“ wäre weg gewesen. Aus jener guten alten Zeit haben die Sarrazin-Feinde ihre überwältigende Sammlung von Empörungsfloskeln herübergerettet. Daher dieses anheimelnde Gefühl, wieder in den 90ern zu sein, wenn sie das Verbal-Gerümpel vor uns ausbreiten. Da umwehen uns sofort süße Erinnerungen an die längst vergangenen Tage, als das Verdikt „Brandstifter“ noch neu war und richtig in die Glieder ging. Heute klingt das wie von einer zerkratzten Vinylplatte. Statt heftiger Hitzewallungen entfährt uns da nur noch ein müdes „Ach ja ...“

Gleiches gilt für den einst so erfolgreichen Schlager „Unser Ansehen im Ausland ist gefährdet“, den sie jetzt wieder spielen. Keiner will dazu tanzen, nicht mal das Ausland. Eine führende Kopenhagener Zeitung ruft stattdessen frech „Ätsch“: Nur weil die Deutschen die Sarrazinschen Wahrheiten vor zehn Jahren nicht hören wollten, müssten sie jetzt diese Debatte ertragen. In Dänemark habe man das alles schon damals durchgesprochen und entsprechend reagiert. Und das übrige Ausland? Na ja, ob die Pariser wirklich die Nasen über Deutschland rümpfen oder doch eher wegen des Qualms, der aus den brennenden Autos ihrer Vorstädte steigt, ist nicht abschließend geklärt. Die Londoner konnten Sarrazins Thesen im Geschrei der islamistischen Hassprediger, die in England ihre Tiraden auf offener Straße verbreiten dürfen, mit Sicherheit gar nicht hören. Und die Holländer, die Geert Wilders’ Truppe zur Volksparteigröße hochgewählt haben?

Meine Güte, tut der Kanzlerin denn niemand den Gefallen, wegen Sarrazin an Deutschlands  Dialogbereitschaft zu zweifeln? Doch, sicher, dafür müsste Merkel aber wohl in Länder fahren, wo der Islam Staatsreligion ist und damit alle anderen als Glaubensrichtungen zweiter Klasse rangieren. Dort ist man bestimmt aufgebracht. Wir wissen nämlich, dass die Menschen in diesen Ländern sehr sensibel sind und leicht gekränkt, wenn man mit ihren religiösen Gefühlen nicht achtsam genug umgeht. So sitzt in Pakistan nach Informationen der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) ein christliches Ehepaar wegen Blasphemie im Gefängnis. Ihm wird vorgeworfen, den Koran ohne vorherige rituelle Waschung berührt zu haben. Ja, so sensibel sind die. Da kann man sich gut vorstellen, wie tief sie die ruppigen Auslassungen von Thilo Sarrazin verletzt haben müssen.

Es nimmt daher kaum Wunder, dass Ayman Mazyek vom Zentralrat der Muslime in Deutschland händeringend nach einer möglichst mächtigen Verdammung suchte und sie auch fand: Sarrazin sei ein „Nazi in Nadelstreifen“. Donnerwetter, der Mann weiß mit Worten umzugehen! Betrachten Sie nur die feine Alliteration: „Nazi–Nadel“. Ja, es fügt sich alles zueinander, die Originalität der Attacken harmonisiert perfekt mit ihrer Substanz.

Selbstredend „grenzt Sarrazin ganze Gruppen aus der Gesellschaft aus“ und schürt „weit verbreitete Vorurteile“. Wie verbreitet die sind, können Sie an jeder Ecke beobachten, an der über die Kontroverse gestritten wird. Das heißt – gestritten? Streitet denn einer? Auf verstörende Weise scheint sich das Volk ziemlich einig mit Sarrazin. Und die „Vorurteile“ lesen sich eher wie Zeugenaussagen von Leuten, die nur wiedergeben, was sie seit Jahren in ihrer Umgebung wahrnehmen.

Womit wir bei dem Rätsel wären, wie die „diskutierende Klasse“, die politische zumal, so rettungslos den Kontakt verlieren konnte zur (tatsächlichen) öffentlichen Meinung. Nichts von dem aufgestauten Unmut ist durchgedrungen zu den Gefilden von Angelas Wunderland, wo der immerwährende Integrationsgipfel tagt an einem riesigen Tisch, unter den man selbst die gewaltigsten Probleme fallen lassen kann.

Nach 20 Jahren deutscher Einheit fühlt man sich an Erich Ho­neckers Tage erinnert. Der war bis zum Schluss felsenfest davon überzeugt, dass die „wärktäätchen Massen“ unerschütterlich hinter ihm stehen im Kampf gegen kleine Nester unverbesserlicher Klassenfeinde. Wenn er durch sein Reich kutschierte, hübschten fleißige Hände die grauen Ortschaften auf, die er passierte, damit der Genosse Generalsekretär einen schönen falschen Eindruck bekomme vom Fortgang des Sozialismus. Häuserfronten wurden frisch gestrichen, Zäune repariert. Und wenn er einen Betrieb besuchte, verlasen ausgesuchte Arbeiter vorgefertigte Oden an den Sieg der guten Sache.

So einen Blödsinn würden unsere Regierenden doch sofort entlarven, den gestanzten Stuss der Schönredner als solchen erkennen, redeten wir uns bislang hochfahrend ein. Schließlich leben wir in einer „offenen Gesellschaft“, in der alles frei gesagt werden kann.

Denkste! Zwischen die „Diskutierende Klasse“ oben und das Volk unten hat sich kaum bemerkt eine dritte Schicht geschoben, die argwöhnisch darüber wacht, dass von unten nichts nach oben durchdringt. Es ist die „Brüllende Klasse“, die stets vor Ort ist, um unbotmäßige Meinungsäußerungen mit Krach und Gewalt zu unterbinden.  

Bei Thilo Sarrazins Buchvorstellung war die Brüllende Klasse natürlich zur Stelle. Ein einsamer Mann hielt ein Pappschild hoch, darauf stand „Danke Thilo!“ und die Adresse des akzentuiert islamkritischen Internetforums „pi-news.net“. Etwa 150 Brüllende schritten sofort zur Tat und brüllten und drohten so lange und so heftig, bis der Danksager von der Polizei außer Sichtweite gedrängt wurde: „Nazis raus! Nazis raus!“

Solche Bilder kommen dann ins Fernsehen, womit die Medien die Rolle von Honeckers Pinselschwingern übernehmen. Die Politiker sehen dort: Das Verhältnis von Thilo-Freunden und Thilo-Feinden ist in etwa eins zu 150, also befinden wir uns doch in herzlicher Eintracht mit der „engagierten Öffentlichkeit“ (so nennt sich die Brüllende Klasse in der Eigenwerbung).

Einer der Brüller entrüstete sich übrigens mit den Worten: „Wozu mache ich eigentlich Sozialarbeit?“ Ein interessanter Seufzer, der uns enthüllt, warum von den zahllosen Sozialarbeitern kaum etwas zu hören war über die wahre Lage in den multikulturellen Brennpunkten, wo sie tätig sind: Die haben sogar ihre eigene, ganz persönliche Wahrnehmung brutal niedergebrüllt: „Nazis raus! ... aus meinem Kopf.“


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