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11.09.10 / 20 Jahre Einheit: Trotz Widerständen Erfolgsgeschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-10 vom 11. September 2010

Gastkommentar:
20 Jahre Einheit: Trotz Widerständen Erfolgsgeschichte
von Vera Lengsfeld

Kaum einer hat an sie geglaubt, viele haben sie nicht gewollt. Die deutsche Wiedervereinigung ist eine der glücklichsten, wenn nicht der   glücklichste Moment in der deutschen Geschichte. Als am 9. November 1989 die Berliner Mauer fiel, waren Politiker und andere Experten überrascht. Sie hatten entscheidende Entwicklungsprozesse der vorangegangenen Jahre übersehen und die Dynamik der Ereignisse nach dem Jahreswechsel 1989 völlig unterschätzt.

Unbemerkt von der westlichen Öffentlichkeit hatte sich in fast allen sozialistischen Ländern in den 80er Jahren eine Opposition gegen das kommunistische Regime herausgebildet, die im Laufe des Jahrzehnts immer aktiver und effektiver wurde. In der DDR versammelte sich diese Opposition in den Räumen der Evangelischen Kirche, die einen Freiraum bot, weil hier die Staatssicherheit weder Verhaftungen vornehmen, Versammlungen auflösen, Veranstaltungen verbieten, noch Ausstellungen abbauen durfte. Am Ende der 80er Jahre gab es mehr als 3000 aktive Bürgerrechtler, organisiert in über 300 Gruppen im ganzen Land. Es gab noch mehr Menschen, die einfach nicht mehr in der DDR leben wollten. So kamen zwei Prozesse zusammen, die den Lauf der Ereignisse des Jahres 1989 bestimmten und beschleunigten: die Ausreisewilligen, die erst in westdeutschen Botschaften in der DDR und in anderen sozialistischen Ländern Zuflucht suchten, um ihre Ausreise zu erzwingen. Im Sommer schwoll dieser Strom auf Zehntausende Menschen an, die alles stehen- und liegen ließen, um über Ungarn oder die Tschechoslowakei in den Westen zu flüchten. Sie entzogen damit dem Regime jede Legitimation. Gleichzeitig organisierten die Oppositionellen, die das Land nicht verlassen, sondern verändern wollten, immer Aufsehen erregendere Aktionen. Als im Herbst  nach der ersten „Montagsdemonstration“, die Anfang September von der Leipziger Nikolaikirche ausging, in mehr als 30 Städten und Gemeinden Folgedemonstrationen stattfanden, war es mit der DDR bald vorbei.

Was bis heute der Öffentlichkeit kaum noch bewusst ist, ist, dass zwischen dem 28. Dezember 1989, dem Tag der Wiederaufnahme der Montagsdemonstrationen nach der Weihnachtspause, und dem 30. Januar, an dem der Runde Tisch vorgezogene Volkskammerwahlen am 18. März beschloss, dreimal mehr Menschen auf den Straßen waren, als zwischen dem 9. September, dem Tag der ersten Montagsdemonstration, und dem Mauerfall. In manchen Städten waren bis zu drei Viertel der erwachsenen Bevölkerung auf der Straße. Diese Menschen forderten die schnelle Vereinigung ohne Wenn und Aber.

Kein Politiker war an diesem Prozess beteiligt. Kanzler Kohl hat das als Erster erkannt. Er sagte auf dem „Kleinen Parteitag“ der CDU in West-Berlin im Dezember 1989: „Nicht wir oder andere in West und Ost bestimmen heute Inhalt, Richtung und Tempo dieser Prozesse. Die Entwicklung in der DDR wird von den Menschen dort gestaltet ...“ Diese Menschen setzten gegen alle Widerstände und Bedenken die schnelle Vereinigung durch, indem sie auch nach der Volkskammerwahl weiter demonstrierten, um die Abgeordneten daran zu erinnern, dass sie nur für eine Aufgabe gewählt worden waren: die Vereinigung ohne Verzögerung zu vollziehen.

Die Bundesrepublik war, seit die DDR existierte, das Traumland für die Mehrheit ihrer Bürger. Das ist zwei Politikern zu verdanken. Konrad Adenauer, der für eine stabile Westbindung des jungen Staates sorgte und Ludwig Erhard, dessen konsequente Förderung der Marktwirtschaft das Wirtschaftswunder hervorbrachte, von dem das vereinte Deutschland auch heute noch zehrt. Diese Trias – Demokratie, Freiheit, Wohlstand – machte die Bundesrepublik zum Favoriten für alle Deutschen.

Nicht zuletzt hat der Bürgerrechtsbewegung der DDR die Nähe zur Bundesrepublik sehr genutzt. Politiker, wie die unvergessene Grüne Petra Kelly, die ihre Immunität als Bundestagsabgeordnete nutzte, um Literatur und Vervielfältigungsgerät in die DDR zu schmuggeln, sorgten auch für einen gewissen Schutz der Opposition, indem sie die freie Presse alarmierten, wenn ein Bürgerrechtler verhaftet wurde. Es gab regen geistigen Austausch über die Grenze hinweg. Beliebtes Mitbringsel war das Grundgesetz, das von den Oppositionellen in der DDR viel intensiver gelesen wurde als von manchem Westdeutschen.

Wie kommt es, dass seit 20 Jahren in den Mainsteam-Medien die Negativ-Berichterstattung über die Vereinigung vorherrscht und auch heute jedem viel Platz eingeräumt wird, der wie Ministerpräsident Matthias Platzeck kürzlich im „Spiegel“ mit Argumenten, die aus der Propagandawerkstatt der umbenannten SED stammen, die angeblichen „Defizite“ des Einigungsprozesses beklagt?

Neben den ehemaligen Machthabern der DDR gab es einen erheblichen Teil der westdeutschen Linken, die Gegner der Vereinigung waren, weil sie die DDR immer als das „bessere“ Deutschland ansahen. Sie mussten diesen Staat nie ertragen.

Nachdem es nicht gelungen war, die Vereinigung zu verhindern, konzentrierte man sich erfolgreich darauf, den Verei­nigungsprozess zu torpedieren. Eine Schlüsselrolle dabei spielte die Erfindung der „inneren Einheit“, die offenbar so etwas wie die sozialistische Menschengemeinschaft in der DDR herstellen soll. Es wurden pausenlos die Unterschiede herausgestellt, kaum über die eigentlich unübersehbaren Erfolge berichtet.

Der größte Erfolg war die weltgeschichtlich wohl einmalige Solidarleistung, die von den Menschen der alten Bundesländer erbracht wurde. Dank der Milliarden, später Billionen, aus dem Westen erlebten die DDR-Bürger einen ungeheuren Wohlstandszuwachs.

Am Tag vor der Währungsunion betrug das Durchschnittsgehalt des DDR-Industriearbeiters etwa neun Prozent des Durchschnittslohnes seines Westkollegen. Mit der Währungsunion und dem Beschluss, Löhne und Gehälter 1:1 umzustellen, schnellte das Lohnniveau auf etwa 37 Prozent des westlichen hinauf. Im Jahr 1 der Vereinigung stieg es durch die Tarifverhandlungen auf über 60 Prozent, ohne dass es einen Produktivitätszuwachs in den neuen Ländern gegeben hätte. Im Gegenteil: der Wohlstand stieg, obwohl die DDR-Wirtschaft flächendeckend zusammenbrach.

Schon Mitte der 90er Jahre verfügte ein Sozialhilfeempfänger in den neuen Ländern über mehr Einkommen, als ein DDR-Durchschnittsverdiener je hatte. Außerdem waren für ihn Dinge selbstverständlich, die vielen DDR-Bürgern nur schwer erreichbar waren. Eine fern geheizte Wohnung, Telefon, Haushaltsgeräte wie vollautomatische Waschmaschinen, jede Menge in der DDR unbekanntes Obst. Seitdem ist das Lebensniveau der unteren Einkommensschichten kontinuierlich gestiegen. Das Lohnniveau der Beschäftigten sowieso.

Wer mit offenen Augen durch die neuen Länder fährt, sieht die versprochenen blühenden Landschaften. Die Infrastruktur ist bereits moderner und in einem besseren Zustand als in vielen Teilen der alten Länder. Inzwischen haben die Westdeutschen die neuen Länder als Urlaubsgebiete entdeckt. Die immer wieder in den Medien beschworenen Unterschiede zwischen Ossis und Wessis sind im Alltag nicht zu spüren. Die jungen Leute können gar das Gerede darüber nicht mehr ertragen.

Aber die Gegner der Vereinigung wollen nicht aufgeben. Für die Partei der ehemaligen Machthaber der DDR ist die künstliche Aufrechterhaltung der Ost-West-Unterschiede Geschäftsgrundlage ihrer Politik.

Man muss ihnen immer wieder die Fakten entgegenhalten. Eines Tages wird die Realität über die Propaganda siegen.

Ihr Engagement in der DDR-Opposition brachte der 1952 in Thüringen geborenen Autorin 1983 Berufsverbot ein. Doch das schreckte die Bürgerrechtlerin nicht, bis sie 1988 verhaftet und in den Westen abgeschoben wurde. Schon am 9. November kehrte sie zurück in die DDR, engagierte sich politisch, wurde 1990 in die Volkskammer gewählt und saß von 1990 bis 2005 im Bundestag, zunächst für Bündnis 90, ab 1996 für die CDU. Seitdem arbeitet sie als freischaffende Autorin in Berlin.


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