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11.09.10 / Aufbruch aus dem »düsteren Tal« / Vor 1100 Jahren gründete Wilhelm von Aquitanien die Abtei von Cluny – Ausgangs- und Mittelpunkt der cluniazensischen Reform

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-10 vom 11. September 2010

Aufbruch aus dem »düsteren Tal«
Vor 1100 Jahren gründete Wilhelm von Aquitanien die Abtei von Cluny – Ausgangs- und Mittelpunkt der cluniazensischen Reform

Kein Kloster der Christenheit hat mehr Geschichte angestoßen als Cluny in Burgund. Graf Wilhelm von Aquitanien hatte im Spätsommer 910 dem Mönch Berno befohlen, sich zwölf Kollegen zusammenzusuchen und mit ihnen in einem „düsteren Tal“, das heißt in den bewaldeten Hügeln, die sich als „Monts de Maconnais“ an der burgundischen Saone entlangziehen, auf einer Waldlichtung ein Kloster zu gründen.

Die Schenkungsurkunde, die der Graf am 11. September 910 ausstellen ließ, stand unter dem Motto „Der Reichtum eines Mannes ist der Freikauf seiner Seele“, was in dem Sinne gemeint ist, dass der Reiche verpflichtet sei, sein Geld und Gut zu gottwohlgefälligen Werken einzusetzen.

Aber die scheinbar übliche Klosterstiftung erweist sich bei näherer Lektüre der Urkunde als zukunftsträchtige Neuerung: Cluny soll vollständig autonom sein, den Feudalherren der Umgebung werden die damals üblichen Eingriffsrechte verwehrt. Die Schenkung geht an die Apostel Petrus und Paulus, also an deren Sachwalter auf Erden, den Papst in Rom.

Letzterer war damit angehalten, das Kloster als sein neues Eigentum zu schützen, als wäre es sein Kirchenstaat in und um Rom. Die Schenkung ging nämlich gerade nicht an den zuständigen Diöze-sanbischof. Zwar hatte der Papst im fernen Rom damals gar nicht die Macht, die Neugründung vor Belästigungen zu schützen. Aber die Urkunde legte die rechtliche Grundlage dafür, dass der Papst durch Begünstigung von Klöstern eine Gegenposition zur Macht der lokalen Bischöfe erhielt.

Das wiederum war wesentlich für das langfristige Ziel Roms, das erst etwa fünf Generationen nach der Gründung von Cluny auf die Tagesordnung des Abendlandes kam: die Konzentration der gesamten geistlichen Gewalt in Rom. Die historische Bedeutung Clunys liegt darin, dass seine Klosterkultur diesem Versuch entscheidend vorgearbeitet hat. Zu diesem Ergebnis mussten die Errungenschaften mönchischer Frömmigkeit, durch die Cluny berühmt wurde, in die Sphäre der großen Politik übertragen werden.

Ausgangspunkt der Entwick-lung war der schlichte Hinweis in der Schenkungsurkunde für Cluny, dass seine Mönche sich strikt der Klosterregel unterwerfen sollten, die um 540 vom Heiligen Benedikt von Nursia aufgestellt worden war für seine Gründung Monte Cassino. Das von Chaos erschütterte Abendland um 910 bedurfte einer spirituellen Quelle, und zu der sollte das Mönchtum von Cluny werden. 

Die mönchische Hochschätzung der Askese gebar die Forderung nach dem Zölibat der Priester. Die asketische Reinheit der Mönche war auf den Klerus zu übertragen, damit er echte Autorität gewann. Moralische Forderungen an den Klerus, also auch an die Bischöfe, waren dem Papsttum aber auch willkommen, um durch Aus-übung von Kontrolle die Zentralisierung in Rom zu fördern.

Die Idee des Zölibats bedurfte der Gewissheit, dass das religiöse Leben würdiger ist als das weltliche. Die Kirche stand allerorten unter der Fuchtel der Feudalherren und des mächtigsten unter ihnen, des Kaisers. Kraft ihrer überlegenen Würde gebührte ihr aber die Freiheit von den weltlichen Gewalten – das war der wichtigste Punkt, an dem das, was als Autonomie der Mönche in Cluny begonnen hatte, zum weltanschaulichen Kampf auf Leben und Tod mit dem Kaisertum führen musste.

Die weltlichen Herren überhäuften Cluny mit Schenkungen, damit die Mönche in ununterbrochenem Gebet für ihr Seelenheil und das der Verstorbenen beteten. Denn die Christenheit sollte eine Gemeinschaft der Heiligen sein. Und damit die Benediktiner von Cluny, die eigentlich der Ordensregel „Bete und arbeite“ folgen sollten, genügend Zeit für das Gebet der Heiligung hatten, verschaffte man ihnen durch die Schenkungen so reiche Erträge, dass sie selbst nicht mehr arbeiten mussten. Das machte Cluny zusammen mit seinen Tochter-Klöstern, deren Gründungen von ihm ausgegangen waren, zu einem der reichsten Grundbesitzer des Abendlandes. Aufgrund einer Folge von kompetenten Äbten konnte neben der klösterlichen Reform auch die Übertragung der Grundidee der Freiheit der Kirche in den politischen Raum gelangen.

Dass diese Freiheit auch offensiv verstanden und in einen Anspruch der Kirche auf Oberherrschaft über das Kaisertum umgemünzt werden konnte, das lernte Kaiser Heinrich IV. im sogenannten „Investiturstreit“ gegen Papst Gregor VII. Gregor war Mönch in Cluny. Dort traf ihn der reformgeneigte Papst Leo IX. und holte ihn nach Rom. Gregor wurde als Papst ein fanatischer Verfechter der Überordnung des Papsttums über das Kaisertum. Abt Hugo von Cluny sprach bei ihm zugunsten des gebannten Heinrich IV, indem er dessen im Winter 1077 bei Canossa gezeigte Reue als echt bezeichnete. Cluny selbst blieb mönchisch-bescheiden, indem es auf Vermittlung zwischen den beiden Gewalten setzte.

Aber die Kaiser hatten, in historischer Dimension betrachtet, das Nachsehen, 1258 dann auch die Mönche als sie sich vom Schutze des Papstes weg dedes Königs von Frankreich, Ludwigs IX., unterstellten, der tröstlicherweise aber den Beinamen „der Heilige“ trug.   Bernd Rill


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