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11.09.10 / Vertreter dringend gesucht / Krise im Direktvertrieb – A

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-10 vom 11. September 2010

Vertreter dringend gesucht
Krise im Direktvertrieb – Avon, Tupperware und Vorwerk gehen die Verkäufer aus

Firmen, die ihre Produkte an der Haustür verkaufen, erweisen sich als erstaunlich krisenfest. Statt sinkender Nachfrage nach Frischhaltedosen oder Parfums quält Direktvertriebler wie Avon und Tupperware ein ganz anderes Problem: Sie finden nicht genug selbstständige Vertreter.

Mario Wiederhold rückt noch einmal seine gelbe Krawatte zurecht. Korrektes Aussehen ist wichtig, sagt er. Voller Elan zieht er den riesigen Vorführkoffer auf einer Sackkarre hinter sich her, während er aufs erste Haus zusteuert. Wiederhold ist Staubsaugervertreter in Recklinghausen. „Mein Türöffner ist das Teppichreinigungspulver ,Kobosan‘. Jeder hat irgendwo einen Flecken im Teppich, und da setze ich an“, erklärt Wiederhold die Strategie.

Vorwerk hat seit 1930 über 30 Millionen Staubsauger verkauft – ausschließlich an der Haustür. Überhaupt war der Wuppertaler Konzern eines der ersten Unternehmen in Deutschland, die auf den Direktvertrieb setzten. Und Vorwerk-Sprecher Michael Weber ist sicher: „Im Einzelhandel wären wir nicht so groß geworden.“

Dabei hat sich die Firma seinerzeit nur für den Direktvertrieb entschieden, weil sich der Handstaubsauger, den Chefingenieur Engelbert Gorissen 1929 konstruierte, als Ladenhüter erwies. Das kleine Gerät fiel neben den damals üblicherweise großen Staubsaugern im Geschäft nicht auf. Der Enkel von Firmengründer Carl Vorwerk brachte dann aus den USA die Idee mit, es mit dem Verkauf an der Haustür zu versuchen. „Der Direktvertrieb, eine der ältesten Handelsformen überhaupt“, sagt Daniel Marschke, der Pressesprecher vom Bundesverband Direktvertrieb Deutschland (BDD). Besonders geeignet sei der Vertriebsweg aber vor allem für erklärungsbedürftige und beratungsintensive Produkte. „Es gibt kaum ein besseres Verkaufsargument als den Selbsttest zu Hause“, meint Vorwerk-Sprecher Michael Weber.

Die deutschen Verbraucher scheinen die Hausbesuche zu schätzen. Denn trotz des mitunter schlechten Drücker-Images kaufen die Bundesbürger laut einer Prog-nos-Studie jährlich für rund acht Milliarden Euro an der eigenen Haustür ein. Gefragt sind neben Kosmetik vor allem Haushaltsgeräte, Reinigungsmittel und Schmuck, aber auch Verträge für Strom-, Gas- oder Telefonanschlüsse. Rund 200 Unternehmen tummeln sich mittlerweile auf dem Markt.

„Und jedes Jahr kommen etliche Unternehmen hinzu“, berichtet Marschke. Die jeweiligen Firmen schicken ihre Vertreter durchs Land oder lassen sie Verkaufs-shows veranstalten.

Vorwerk gehört zu den ganz großen Namen im Direktvertrieb. Auf fast 2,5 Milliarden Euro summiert sich der weltweite Umsatz des über 125 Jahre alten Unternehmens im Jahr 2008. Knapp 300 Millionen davon erwirtschaften die Vertreter in Deutschland – mit der Küchenmaschine „Thermomix“, dem Staubsauger „Kobold“ und der Kosmetikmarke „Jafra“. Sein Potenzial hat Vorwerk damit nach eigener Einschätzung noch lange nicht ausgereizt. Um die Verkaufszahlen hierzulande kräftig zu steigern, haben die Wuppertaler aber nicht genügend Personal auf der Straße. „Uns fehlen vor allem Verkaufsberater für den Bereich ,Kobold‘“, beklagt Weber.

Das Vertreter-Problem plagt nicht nur Vorwerk. Laut Marschke fehlen allein bei den 38 Mitgliedern in seinem Verband über 50000 Mitarbeiter für den Direktvertrieb. Dabei deckt der Verband eine große Bandbreite von Unternehmen ab: neben Vorwerk gehören etwa die Firmen AMC, Avon, Tupperware, LichtBlick und Yello Strom sowie die Deutsche Telekom dazu. Viele von ihnen plagt der Mangel an Verkaufstalenten, was nach Ansicht von Marschke unter anderem an der stark steigenden Zahl geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse liegt. Derzeit arbeiten laut Deutscher Rentenversicherung fast sieben Millionen Minijobber im Land. Sie dürfen zwar nur maximal 400 Euro im Monat verdienen, sind dafür aber anders als Selbstständige gesetzlich abgesichert. „Hier wird ein Beschäftigungspotenzial gebunden, das nicht nur dem Direktvertrieb fehlt“, meint Marschke. Die Crux liegt aber nicht nur im Sozialsystem. „Etliche Bewerber schrecken davor zurück, sich selbstständig zu machen und damit auf tarifliche Leistungen und Absicherungen zu verzichten“, weiß Marschke, „Das aber ist im Direktvertrieb nötig, denn die Firmen arbeiten überwiegend mit freien Handelsvertretern zusammen, die provisionsabhängig bezahlt werden. Nicht jeder kommt damit klar. Entsprechend hoch sind Fluktuation und Abbrecherquote unter denjenigen, die den Schritt doch gewagt haben.“

Die desolate Lage im Direktvertrieb erfordert Neuorganisationen. „Die Struktur der Haushalte hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert, daher ist es viel schwieriger geworden, die Verbraucher zu Hause anzutreffen“, sagt Weber. Hinzu kommt die wachsende Konkurrenz durch Teleshopping-Sender und das Internet. „Die Verbraucher informieren sich nicht mehr nur im Internet, sie kaufen dort auch zunehmend ein“, erklärt Christoph Schwarzl, Handelsexperte der Managementberatung Accenture. Er rät den Firmen deshalb, das Internet stärker in die eigenen Verkaufsaktivitäten einzubeziehen. Tatsächlich sind Vorwerk-Ersatzteile mittlerweile online erhältlich. „Kobold“ oder „Thermomix“ soll es aber auch künftig nur vom Vertreter geben.  Corinna Weinert


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