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18.09.10 / Chance für Heilig-Geist-Viertel / »Marx-Engels-Forum«: Die öde Leerfläche im Herzen Berlins soll weichen – aber wem?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-10 vom 18. September 2010

Chance für Heilig-Geist-Viertel
»Marx-Engels-Forum«: Die öde Leerfläche im Herzen Berlins soll weichen – aber wem?

Das Denkmal für Karl Marx und Fried­rich Engels, Relikt der DDR mitten in Berlin, ist für den Bau der U-Bahn umgezogen – Rückkehr offen. Damit fällt der Startschuss für eine Wiederbelebung der realsozialistisch weitgehend zur Grünbrache verkommenen Fläche zwischen Fernsehturm und Ostufer der Spree.

Bis 2017 sollen die unterirdischen Arbeiten dauern. Befürworter einer geschichtsbewussten Belebung des Quartiers hoffen für die Zeit danach auf ein rechtzeitiges Einlenken des rot-roten Senats.

Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD) mag das „Marx-Engels-Forum“ nicht. Er will es zu einem belebten und bebauten Quartier umgestalten: „Das alles war mal bebaut und sah viel schöner aus“, sagt er – tatsächlich füllten Heilig-Geist-Viertel und Marienviertel das Areal. Die zuständige Senatsbaudirektorin Regula Lüscher aber sagt Nein.

Es geht dabei um Berlins Mitte, die Fläche nahe dem laut Bundestagsbeschluss wieder aufzubauenden Schloss. Die Schweizer Architektin und Stadtplanerin Lüscher ist Nachfolgerin von Hans Stimmann, der sich stets für historisch gewachsene Stadtstrukturen und die Orientierung an ortsüblichen Bautypen einsetzte. Lüscher etablierte sich als weiblicher Gegenentwurf: Für Tempelhofs denkmalgeschützten Flughafen setzte sie den Teilabriss durch. Protest weckte sie auch mit der Weigerung, dem Wiederaufbau des Stadtschlosses eine Info-Box vor Ort zuzugestehen. Bei der Staatsoper räumten ihre Pläne der Akustik Vorrang über jede Angleichung an den noch zu DDR-Zeiten aufwendig dem geschichtsträchtigen Original nachempfundenen Saal ein.

Im Fall Marx-Engels-Forum konnte sie der Vision des Kulturstaatssekretärs indes kein Konzept entgegensetzen. Der Senat hat bei der Innenstadtgestaltung offenbar zu lange auf Zeit gespielt. Das Wegtragen von Marx und Engels plus    Rückkehr kostet rund 600000 Euro – nur Forträumen käme billiger. Noch unter Stimmann beschloss der Senat 1999 das „Planwerk Innenstadt“. Dieses städtebauliche Leitbild gilt bis heute. Es ist allerdings ein unscharfes Bild, eine Einigung über die Art der innerstädtischen Neubebauung besteht nicht. Der noch stärker am Vorkriegsstadtplan orientierte erste Entwurf des „Planwerks“ von 1998 wurde auf diese Weise verwässert.

Mit dem aktuellen Bau der U-Bahnlinie 5 könnte sich jetzt das Gleichgewicht wieder zugunsten der Befürworter einer Rekonstruktion verschieben. Schon beim Stadtschloss wirkten Tiefbauarbeiten jüngst beschleunigend zugunsten der Wiederherstellungspläne als Humboldt-Forum. Grund dafür sind die Kosten. Bis 2017 sollen die Arbeiten am Marx-Engels-Forum beendet sein. Die Aussicht, auch diese Arbeiten könnten am Ende teurer werden, wenn beim Unterirdischen nicht gleich das spätere Oberirdische, das Gesicht der Stadt, mitberücksichtigt wird, schrecken den Senat inzwischen mehr ab, als jede unerwünscht historisierende Architektur.

Weiteren Zwischennutzungen des Schlossareals erteilt der Senat daher inzwischen eine Absage: „Das kommt für uns nicht in Frage“, sagt Mathias Gille, Sprecher von Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) – ein Zeichen des Umdenkens. Der Senats-Schwerpunkt Touristik verträgt sich zudem schlecht mit dem politischen Generalverdacht gegen Wiederherstellungen. Die Leere auf dem Platz vor dem Roten Rathaus, auf dem sich im Winter große Krähenschwärme sammeln, hat wenig Anziehendes für Besucher.

Das noch zu DDR-Zeiten historisierend plattenbausanierte Nikolai-Viertel könnte ohnehin eine ausweitende Aufwertung vertragen. Selbst in den besonders modernen Hochhaus-Ideen für den nahen Alexanderplatz werden Häuser in überlieferter Traufhöhe um den Fernsehturm als Kontrast zu den Hochbauten nebenan befürwortet.

Seit den 90ern bestimmen drei Pläne die Debatte. Der Architekt Stephan Braunfels möchte einen Boulevard mit zwei Baumreihen von der Spree bis zum Fernsehturm als „Neue Linden“ realisieren. Der Plan aus der Feder des inzwischen verstorbenen Architekten Josef P. Kleihues will das Marx-Engels-Forum an den Straßen bebauen. Innen soll ein „Hofgarten“ bleiben, Arkaden die Straßenfronten auflockern. Der dritte Entwurf stammt vom Architekten Bernd Albers und sieht als einziger eine vom historischen Grundriss abgeleitete Bebauung vor.

Längst wird der Platz, den kürzlich noch Marx und Engels beanspruchten, archäologisch ausgewertet. Dabei könnte manche Überraschung der Rekonstruktion in die Hände spielen. Hier war immer das Zentrum, hier schlug das Herz der Stadt. In den 60er Jahren standen noch Häuser im Marienviertel, so das neugotische Probst-Grüber-Haus.

Die DDR beseitigte im folgenden Jahrzehnt die nach dem Krieg wiederhergestellten Bauten und setzte quasi die nationalsozialistischen Pläne einer großen Ost-West-Achse als Schneise durch die Altstadt um – in noch radikalerer Form. Der Bau des Fernsehturms gehörte dazu. Gerade dank der hohen Erdaufschüttungen dort liegen nicht nur die alten Keller, sondern teils noch die Erdgeschosse der abgeräumten Häuser unter dem heutigen Gelände. So ist noch etwas alte Substanz vorhanden, die sich nutzen ließe. „Sakko und Jacketti“, wie der Berliner Mutterwitz das Marx-Engels-Denkmal taufte, sind jedenfalls kein Hindernis mehr – ihr neuer Sockel ist nur 80 Meter entfernt vom alten gegossen und bereits bezogen worden.      Sverre Gutschmidt


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