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18.09.10 / Tod einer Rebellin / DDR-Bürgerrechtlerin Bohley lehnte die Flucht in den Westen ab

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-10 vom 18. September 2010

Tod einer Rebellin
DDR-Bürgerrechtlerin Bohley lehnte die Flucht in den Westen ab

Seit 1989 galt sie als herausragende Repräsentantin des dramatischen Umbruchs jener Tage, manchmal gar pathetisch verehrt als „Mutter der friedlichen Revolution“ oder „Symbolfigur politischer Untergrundtätigkeit“. Eine französische Zeitung titelte gar „Bärbel la rebelle“.

Eigentlich folgte die vor wenigen Tagen verstorbene Bärbel Bohley nur ihrer inneren Stimme, völlig undogmatisch: „Ich habe immer gemacht, was ich für richtig halte. Wissen Sie, ich habe mich zwei-, dreimal in meinem Leben richtig geschämt für etwas, was ich nicht getan habe. Kleinigkeiten. Aber dieses innere Rotwerden wollte ich mir ersparen.“ Die eigene Stilisierung lag ihr nicht, auch war sie stets offen, die eigenen Positionen zu revidieren.

Wie vielen anderen Bürgerrechtlern in der DDR war nicht die staatliche Vereinigung, sondern die Erringung von Demokratie ihr Hauptbestreben. Bärbel Bohley hatte lange an den Sozialismus mit menschlichem Antlitz geglaubt, sogar mit Mauer. Zerstört wurde die Illusion 1968 durch die Niederschlagung des Prager Frühlings. Mit 23 Jahren gab sie ihre sichere Stelle als Industriekauffrau auf, um in Berlin Malerei zu studieren. So schaffte sie sich eine künstlerische Nische fernab des Staates. Ihren Sohn schickte sie in einen kirchlichen Kindergarten und verbot ihm den Umgang mit den „Pionieren“.

In dieser Zeit rief die erklärte Pazifistin verschiedene Initiativen ins Leben, darunter die „Frauen für den Frieden“. Spätestens als ihr Anfang der 80er als Malerin die staatlichen Aufträge versagt wurden, und sie in ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg auf dem Existenzminimum leben musste, wurde sie sich ihrer Rolle als Dissidentin bewusst. Dabei nahm sie die dauernde Bespitzelung der Stasi sogar mit Humor: „Es war vieles lustig in Absurdistan.“

Die Möglichkeit, in den Westen zu fliehen, lehnte sie ab, bis sie 1988 zur Ausreise gezwungen wurde. Doch es dauerte nicht lange, bis sie nach der Grenzöffnung zurückkehrte. An der Umbruchstimmung musste sie teilhaben.

Nach der Revolution, an der sie als Mitbegründerin des „Neuen Forums“ maßgeblich beteiligt war, wurde es zunehmend stiller um sie. Prominent wurde ihr Rechtsstreit mit Gregor Gysi, ihrem Anwalt zu DDR-Zeiten. Nach Einsicht ihrer Stasi-Akten bezichtigte sie ihn, Spitzel gewesen zu sein, wogegen er erfolgreich klagte. Bärbel Bohley starb im Alter von 65 Jahren im Kreis ihrer Familie an Lungenkrebs.            Carlo Clemens


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