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18.09.10 / Einst das »Santiago Nordeuropas« / Die Zerstörung dreier Hostien stieß den Wallfahrtort Wilsnack in die Bedeutungslosigkeit − Einst 100000 Pilger pro Jahr

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-10 vom 18. September 2010

Einst das »Santiago Nordeuropas«
Die Zerstörung dreier Hostien stieß den Wallfahrtort Wilsnack in die Bedeutungslosigkeit − Einst 100000 Pilger pro Jahr

Wie ein gestrandeter backsteinerner Tanker ragt die St.-Nikolai-Kirche von Bad Wilsnack über das Havelberger Land im nördlichen Brandenburg. Der Wanderer oder Autofahrer, der in dieses Städtchen kommt, über dem zuweilen mehr Störche kreisen als Menschen in ihm leben, wundert sich: Wie hat sich diese riesige Kirche in den kleinen Ort verirrt?

Sie stammt aus dem Mittelalter, als „Welsnach“ noch einer der fünf bedeutendsten Wallfahrtsorte in Europa war. Vor 500 Jahren war Welsnach als Wallfahrtsort in aller Munde, so wie heute Rom oder Santiago de Compostela. In den Sommermonaten strömten bis zu 100000 Pilger in das kleine Städtchen in den Niederungen der Elbe. Als „Santiago Nordeuropas“ galt der Ort, denn aus dem gesamten nordeuropäischen Raum – von den britischen Inseln und Flandern über Skandinavien und das Baltikum bis nach Polen und Tschechien – kamen die Pilger. Sie wollten wieder näher zu Gott finden, die Vergebung ihrer Sünden und möglichst auch den Ablass, was im katholischen Verständnis noch darüber hinaus geht.

Anders als in Rom oder Santiago, wo die Gräber christlicher Märtyrer oder Apostel verehrt werden, waren in Wilsnack drei blutende Hostien das Ziel der Pilger. Durch ein aufsehenerregendes Wunder waren sie entstanden. Am 16. August des Jahres 1383 setzte der Ritter Heinrich von Bülow Welsnach und einige Nachbardörfer in Brand, als die Bevölkerung zu einem Kirchenfest im benachbarten Havelberg weilte. Auch die St.-Nikolai-Kirche wurde ein Opfer dieses hinterhältigen Anschlages. Als man die rauchenden Trümmer der Kirche untersuchte, fand man drei Hostien im Tabernakel vor, auf denen sich frische Blutstropfen befanden. Der zuständige Havelberger Bischof Dietrich von Man untersucht die drei Hostien und bestätigte das „Blutwunder“. Nur wenige Tage nach dem furchtbaren Brand feierte der Bischof vor der zerstörten Kirche die Heilige Messe. Schon ein Jahr später erhielt Welsnach den ersten Ablassbrief von Papst Urban VI. und einzelne Pilger kamen in den Ort. Der Wiederaufbau der Kirche wurde begonnen. Ab 1396 kamen die ersten in Havelberg gegossenen Pilgerzeichen auf den Markt.

Das Wunder um die blutenden Hostien in der zerstörten Kirche sprach sich herum. Die ersten Pilger wussten von Wundern zu berichten, die sie auf dem Weg nach Welsnach oder auf dem Rückweg erlebt hatten. Der Ritter Dietrich von Wengstenberg wurde von Blindheit geheilt und die Müllersfrau Margarethe aus Sprengenberg wieder zum Leben erweckt, um nur die zwei berühmtesten Geschichten zu erwähnen. Die Kunde vom „heiligem Blut“ in Welsnach verbreitete sich mehr und mehr; die Schar der Reisenden schwoll in kurzer Zeit zu einem mächtigen Strom an. Gast-häuser schossen wie Pilze aus dem Boden. Ein florierender Wallfahrtsbetrieb entstand, der die ganze Gegend wohlhabend werden ließ.

Doch der Wallfahrtsort Welsnach hatte schon im 15. Jahrhundert prominente Gegner. Im Jahr 1403 machte der später als Ketzer verbrannte Magister Johannes Hus Front gegen das Blutwunder. Auch der Magdeburger Domherr Heinrich Tocke wirkte in den Jahren 1426 bis 1453 als unerbittlicher Feind des „Wunderblutes“, so die Polemik der Kritiker, die unterstellten, hier handele es sich um eine magische Praxis und nicht um die Anbetung des Dreieinigen Gottes. Die heutige Bezeichnung „Wunderblutkirche“ oder „Wunderblutkapelle“ behält übrigens diese Polemik bei, korrekt wäre der Name Blutwunderkirche oder Blutwunderkapelle. Die prominenteste Gegnerstimme stammt jedoch von Martin Luther, der in seiner Schrift von 1520 „An den christlichen Adel Deutscher Nation“ gegen die „wilden Kapellen und Feldkirchen“ wetterte und vom „Teufels-Gespenst in Welsnach“ sprach.

Doch die Gegner des Wallfahrtsortes konnten sich über 170 Jahre lang nicht durchsetzen. Auch nach dem Beginn der Reformation im Jahr 1517 wehrte sich die katholische Bevölkerung gegen die protestantischen Ideen und Umsturzversuche. Denn die Bevölkerung im Havelberger Land war gläubig und überzeugt katholisch, zudem herrschte Wohlstand dank der Wallfahrer.

Erst als der evangelische Pastor Joachim Ellefeld 1552 nach Welsnach versetzt wurde, geschah etwas, was der Wallfahrt ein abruptes Ende setzte. In der Nacht des 24. Mai 1552 ging Ellefeld zusammen mit seinem Kaplan, dem Küster und Lehrer des Ortes in die St.-Nikolai-Kirche, nahm ein Kohlefeuer mit, zerbrach die Monstranz aus Bergkristall, in der die drei verehrten Hostien aufbewahrt wurden und warf sie ins mitgebrachte Feuer.

Die Bevölkerung hörte von diesem Frevel und unglaublichen Sakrileg und reagierte bestürzt. Ellefeld wurde verhaftet und auf der nahe gelegenen Plattenburg inhaftiert und schließlich des Landes verwiesen. Immerhin konnte der Protestantismus als „Erfolg“ verbuchen, dass schlagartig die Wallfahrten aufhörten. So blieben die Gasthäuser leer und mussten schließen, die Gegend verarmte. Damit schien sich – kurz nach Luthers Tod im Jahr 1546 – die Reformation auch hier durchgesetzt zu haben. Die letzte Bastion des katholischen Glaubens war damit gefallen, zumal in den Jahren zuvor schon fast alle Mönche und Nonnen aus den Klöstern Brandenburgs vertrieben worden waren. Allein 17 Zisterzienserklöster hatten hier existiert. Drei Jahre später wurde die Bevölkerung evangelisch, weil die Landesherrscher im Augsburger Religionsfrieden von 1555 das Recht erhielten, über die Konfession ihrer Untertanen allein zu bestimmen. Hinrich E. Bues

Eine der bedeutendsten Wallfahrtsorte im Mittelalter - die Blutwunderkirche in Bad Wilsnack Von Hinrich E. Bues, 8.7.2010


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