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18.09.10 / Bad Wilsnack im hier und heute − 80 Prozent Atheisten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-10 vom 18. September 2010

Bad Wilsnack im hier und heute − 80 Prozent Atheisten

Wer heute nach „Bad Wilsnack“ kommt, spürt von dieser aufregenden Zeit fast nichts mehr. Das 3000-Einwohner-Städtchen macht einen renovierten und dennoch trostlosen Eindruck. Dank des Programms „Aufbau Ost“ erhielt der Ort neue Straßen, Bürgersteige und Laternen, aber viele Geschäfte und Häuser stehen leer. Vor einigen Jahren bekam das Städtchen den Zusatz „Bad“. Ein See ist zwar nirgends zu sehen, aber mit Hilfe neuer Sanatorien und Kliniken wollen die Wilsnacker einen neuen Aufschwung bewerkstelligen.

Die St.-Nikolai-Kirche wird jährlich von rund 20000 Menschen besucht. Beeindruckend ist hier der Hochaltar aus dem ersten Drittel des 15. Jahrhunderts. Er zeigt in den beiden oberen Teilen die Gottesmutter Maria mit den zwölf Aposteln und mit den 14 Nothelfern. Im Zentrum steht die Mondsichelmadonna. Aber auch die Statue des Namenspatrons der Kirche, des Heiligen Nikolaus von Myra, zeugt noch von der Pracht vergangener Zeiten.

Wie im Mittelalter zu Fuß kommen heute nur noch 600 bis 800 Pilger aus dem 130 Kilometer entfernten Berlin in das Städtchen in der Prignitz, berichtet Marieluise Schmitt vom „Förderverein Wunderblutkirche“. Der längst vergessene Pfad war in den letzten Jahren von Kirchenhistorikern wieder entdeckt worden; in vielen Dorfkirchen entlang der Strecke finden sich noch Eintragungen der Pilger von damals. Heute gilt der Weg, für den man fünf bis sieben Tage braucht, als „Selbstfindungstrip“.

Seit wenigen Monaten ist auch wieder ein evangelischer Pastor vor Ort. Gerade mit Studium und Vikariat fertig geworden, hat er hier seine erste Stelle angetreten. Um sich sozial zu engagieren, habe er das Theologiestudium begonnen, berichtet der junge Mann. Nur 20 Besucher kämen am Sonntag zum Gottesdienst, im Winter auch weniger. Der Gottesdienst findet in einer Seitenkapelle der Kirche statt – übrigens genau dort, wo früher die drei Blutwunder-Hostien aufbewahrt und verehrt wurden. Der hölzerne Tabernakel aus der Mitte des 15. Jahrhunderts ist noch erhalten. Gegenüber wird ein alter Ablassbrief in einer Vitrine aufbewahrt.

Der junge Pastor spricht mit deutlich hörbaren Vorbehalten und Ressentiments von dieser Zeit, wo die „Sakramentenfrömmigkeit“ die Menschen zu Tausenden in diese Kirche strömen ließ. Die reale Gegenwart Jesu Christi in den Gaben von Brot und Wein ist dem Protestanten des reformiert-unierten Bekenntnisses fremd. Das „Wallfahrertum“ sei ja hauptsächlich ein Geschäft gewesen, führt er aus. Vom „Teufels-Gespenst zu Welsnach“, wie einst Luther, redet der junge Pastor nicht mehr. Dafür gibt es neue Aufgaben wie zum Beispiel den traurigen Gottesdienstbesuch zu vergrößern. 80 Prozent der Wilsnacker sind heute ungetauft und atheistisch. Wie er sie erreichen will, darüber hat der Theologe bei unserem Besuch an diesem Ort mit der großen Tradition kein Wort verloren.     H.E.B.


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