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18.09.10 / Erinnerungskultur in Deutschland / Die Deutsche Forschungsgemeinschaft untersucht die Vertriebenendenkmäler 

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-10 vom 18. September 2010

Erinnerungskultur in Deutschland
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft untersucht die Vertriebenendenkmäler 

Noch bis Ende Juli 2011 läuft am Institut für Geschichte der Carl v. Ossietzky-Universität in Oldenburg das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit 145000 Euro geförderte Projekt „Vertriebenendenkmäler in der bundesdeutschen Erinnerungskultur“.

Nach Angaben des Bundes der Vertriebenen (BdV) gibt es in Deutschland heute über 1400 Vertriebenendenkmäler. Aufgabe des Historiker Dr. Stephan Scholz ist es, nun die Bedeutung dieser Orte in der kollektiven Erinnerung zu beurteilen und die Formen und die Entwicklungen des öffentlichen Gedenkens zu dokumentieren.

Eine erste quantitative Auswertung der vom BdV dokumentierten Denkmäler ergibt, dass die reine Zahl der Vertriebenendenkmäler in den Jahrzehnten seit Kriegsende zugenommen hat. Eine erste Hochphase von Denkmalerrichtungen lag, so der BdV in den 1950er Jahren, die in den nachfolgenden Jahrzehnten schwächer wurde, bevor in den 1980er Jahren ein neuer Denkmalsboom einsetzte, der in den 1990er Jahren wieder etwas nachließ. Ob und inwiefern sich Vertriebenendenkmäler in dieser Zeit formal und inhaltlich verändert haben, wird sich im Laufe des Forschungsprojekts zeigen. Es sollen aber nicht nur Aussagen über die zahlenmäßige Konjunktur, sondern auch über das Wechselverhältnis von Denkmalerrichtungen und der politischen sowie sozialen Entwicklung möglich werden. Erst eine genauere Untersuchung kann zeigen, ob und wie die zunehmende Integration der Vertriebenen oder die neue Ostpolitik Willy Brandts mit einer faktischen Anerkennung der Oder-Neiße-Linie oder schließlich die deutsche Wiedervereinigung mit der offiziellen Anerkennung des Gebietsverlustes 1989 Auswirkungen auf das öffentliche Gedenken an Flucht und Vertreibung im Denkmal hatten.

Vertriebenendenkmäler dienen in der Regel mehreren Zwecken, die im Einzelfall aber meistens miteinander verschränkt und nur selten genau zu unterscheiden sind. Die Funktion des Totengedenkens vermischt sich in der Regel mit weiteren Funktionen: der Erinnerung an die Vertreibung als Verlusterfahrung, der Erinnerung an die alte Heimat im Osten, der Erinnerung an die historische und auch weiterhin beanspruchte Zugehörigkeit der verlorenen Territorien zu Deutschland, der Erinnerung an die Bedeutung des verlorenen Ostens für die historische und nationale Identität der Deutschen und schließlich der Mahnung, all diese Formen der Erinnerung aufrechtzuerhalten. Welche Funktion ein Vertriebenendenkmal tatsächlich erfüllt, hängt zum einen von der gewählten Form, Symbolik und Inschrift ab: Typische Formen wie Wegweiser oder Hochkreuze, figurale Darstellungen von Flüchtlingstrecks oder von Frauen mit Kindern, Erd- und Natursymbolik oder ewige Flammen verweisen auf unterschiedliche Erinnerungszwecke. Die praktizierte Form der Erinnerung hängt aber noch stärker von der konkreten Nutzung ab, das heißt von den Reden und Ritualen, die an einem Denkmal gehalten und vollzogen werden und die die Erinnerung immer wieder neu aktualisieren und konstruieren.

Die Vermischung der Erinnerungszwecke der Vertriebenendenkmäler ist auch ein Resultat der Heterogenität der Adressaten dieser Denkmäler. Handelt es sich doch in der Regel dabei sowohl um den Kreis der durch Flucht und Vertreibung Betroffenen als auch um die Aufnahmegesellschaft und schließlich die Deutschen als Nation insgesamt. Infolgedessen haben Vertriebenendenkmäler häufig gleichzeitig so unterschiedliche und zum Teil gegensätzliche Ziele wie Bewältigung des persönlichen Schicksals, Erleichterung der Beheimatung und Förderung der Integration; Aufrechterhaltung des Rückkehrwunsches, des Bewusstseins von der Zugehörigkeit der verlorenen Ostgebiete und Mahnung zu einer Revision der Grenzen; Anerkennung der Vertreibung als historisches und menschrechtliches Unrecht sowie des Opferstatus der Vertriebenen.

„Letzteres, die Anerkennung und Würdigung der Vertriebenen als Opfer eines nicht zu legitimierenden Unrechts, scheint immer mehr an Gewicht gewonnen zu haben, je mehr das Motiv der territorialen Revision nach faktischer und offizieller Anerkennung der Grenzen abgenommen hat“, heißt es in der Projektbeschreibung. „Die Form der Erinnerung orientiert sich also auch hier stark an Gegenwartsinteressen. Der Status der Vertriebenen als Opfer war schon immer ein auch durch Denkmäler thematisierter Punkt. Dabei ging es nicht allein um die Vertriebenen, sondern auch um die Erinnerung der Deutschen als Täter oder Opfer insgesamt.“ Vertriebenendenkmäler seien somit immer auch ein geschichtspolitisches Mittel gewesen, mit dem sowohl kollektive Geschichtsbilder als auch Selbstbilder gleichzeitig mitbestimmt und zum Ausdruck gebracht würden.

Die Analyse einer größeren Zahl von Vertriebenendenkmälern, ihrer Form, ihrer konkreten Entstehungs-, Errichtungs- und Nutzungsgeschichten soll daher nicht nur eine Rekonstruktion der bundesdeutschen Erinnerung an die Vertreibung, sondern auch an den Zweiten Weltkrieg und die Rolle der Deutschen darin insgesamt ermöglichen.

Dazu soll eine repräsentative Zahl von Vertriebenendenkmälern untersucht werden. Die Geschichte der bundesdeutschen Erinnerung an Flucht und Vertreibung insgesamt ist derzeit noch ein Forschungsdesiderat, das in den letzten Jahren zunehmend erkannt und bearbeitet wird. Das Projekt soll über das Medium der Vertriebenendenkmäler auch dazu einen essentiellen Beitrag leisten.             CvOU/PAZ


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