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18.09.10 / Unfrei trotz Freiheit / Berühmt durch SBZ-Haft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-10 vom 18. September 2010

Unfrei trotz Freiheit
Berühmt durch SBZ-Haft

„Fast 50 Jahre hing mir die Gefangenschaft wie eine Kette mit einer Eisenkugel am Bein. Auch wenn diese Kette dann plötzlich gesprengt ist, kann man nicht gleich unbeschwert in die Welt springen“, so erklärt Erika Riemann, warum sie nach dem Erfolg ihrer Autobiographie „Die Schleife an Stalins Bart“ weiter Lesungen hält und publiziert. Ging es in ihrem mit über 70 Jahren geschriebenen Erstlingswerk um ihre grausame Haft in Folge eines Mädchenstreichs, der ihr, gerade einmal 14 Jahre alt, 1945 insgesamt acht Jahre Haft in sowjetischen Lagern einbrachte, steht nun die Zeit danach im Zentrum der Betrachtung.

Die Autorin ist frei und doch wieder nicht: „Der Mauerfall war nun schon mehr als zehn Jahre her, aber manchmal schien es, als könnten viele erst jetzt darüber sprechen“, schreibt die in Thüringen Geborene und spiegelt ihren Lesern etwas von ihren Erlebnissen mit dem Berühmtsein zurück. In ihrem Heimatort Mühlhausen sieht so mancher sie jetzt als einflussreiche Frau: „Ich hätte doch jetzt so einen guten Draht zum Bürgermeister, werde ich auf der Straße angesprochen. Ob ich mich denn nicht einmal um dieses oder jenes kümmern könne? Ich höre mir alles an, aber innerlich muss ich schmunzeln. So sind die Menschen. Statt sich selbst zu kümmern, suchen sie lieber nach einem Pferd, das sie zieht.“ Im Eingespanntsein als solch ein „Pferd“ will sie nicht verharren: „Reisen kreuz und quer durch Deutschland, die Fernsehauftritte, Gespräche mit Journalisten. Und dann falle ich manchmal in ein Loch und denke: Ich kann nicht mehr. Und will auch nicht mehr!“ Allzu lebenssatt fällt dieses Fortsetzungswerk dennoch nicht aus. Riemann überrascht ihre Leser immer wieder mit geistreichen Analysen, historischen Einblicken und dem Verständnis zwischen den Generationen, das ihr erstes Werk dank der Erzählung eigener traumatischer Erlebnisse fördert, indem es das Schweigen durchbricht. Im Kapitel „Ein verhängnisvoller Irrtum“ setzt sie sich anlässlich einer russischen Veranstaltung zum Kriegsende 1945 nicht nur mit den Feinheiten der russischen Sprache auseinander, sie zeigt trotz des Erlittenen keine Ressentiments: „Vom Leben unterkriegen lasse ich mich nicht, damals nicht und heute erst recht nicht. Die liebevolle Anteilnahme der russischen Studenten an meinem Schicksal gibt mir Kraft.“ Weil sie als Schülerin ein Stalin-Porträt mit Schleife verzierte, wurde sie später ins Konzentrationslager Sachsenhausen abtransportiert, das die Sowjets weiter nutzten. Scheinhinrichtungen, seelische Folter, die Härten jahrelanger Lagerhaft haben sie nicht gebrochen, wie Riemann auch in ihrem aktuellen Buch beweist.

Persönliches aus der Familie, aber immer wieder zur deutschen Teilung prägen das aktuelle Buch, beispielsweise die Sorgen Riemanns, als die Tochter sich nach einem Ungarnurlaub in einen Erfurter verguckt und regelmäßig in die DDR fährt. „Stalins Bart ist ab“ ist jedoch mehr: Riemann gewährt Einblick in Schicksale von Menschen, die ihr im Rahmen ihrer Vorträge von traumatischen Erlebnissen in DDR und sowjetischer Besatzung erzählten. Das Buch ist somit eine empfehlenswerte Lektüre für ein DDR-Bild jenseits aller Ostalgie.      Sverre Gutschmidt

Erika Riemann: „Stalins Bart ist ab – Von Bautzen zum Bundesverdienstkreuz“, Hoffmann & Campe, Hamburg 2010, geb., 255 Seiten, 20 Euro


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