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25.09.10 / Fall Sarrazin: Todesurteile unter Nacktschnecken

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-10 vom 25. September 2010

Gastbeitrag:
Fall Sarrazin: Todesurteile unter Nacktschnecken
von Claus-M. Wolfschlag

Das Buch „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin hat nicht nur eine Diskussion über die Zukunft der deutschen Kultur und des Sozialstaates ausgelöst, es wird bisweilen auch als Zeichen einer langsam einsetzenden geistigen „Wende“ gedeutet. Einige Beobachter zogen Parallelen zu Rudolf Bahros Buch „Die Alternative“ von 1977, das dem Untergang der DDR vorausging.

Sarrazin durchkreuzt dreierlei Absichten, die sich hinter dem „multikulturellen“ Experiment verbergen. Wirtschaftskreise und ihre liberalen Helfer wünschen sich Einwanderung, um sich ein Reservoir an billigen Arbeitskräften zu erhalten. Die strategisch denkende Linke erhofft sich dadurch eine Zuspitzung von Klassengegensätzen und ein neues aggressives Proletariat, das das „weiße“ Bürgertum zu entmachten imstande wäre. „Grüne“ wiederum setzen durch das Experimentieren mit „Vielfalt“- und „Diversity“-Konzepten darauf, einen transnationalen „neuen Menschen“ zu kreieren.

Die herrschenden Eliten und die ihnen verbundenen Chefredakteurszimmer wirkten anfänglich ungewöhnlich paralysiert, bis schließlich wieder die üblichen bundesdeutschen Versuche der sozialen Ausgrenzung zum Laufen kamen. Doch die Vorwürfe gegen Sarrazin wirkten seltsam stumpf. Political Correctness und „Kampf gegen Rechts“ scheinen ihren Zenit überschritten zu haben.

Im Gegenteil. Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz geißelte die „neuen Jakobiner“, sprach von der „Götterdämmerung der 68er“ und kritisierte die dem Volk entfremdete „Parallelgesellschaft“ der politischen Elite und der Medienlinken: „Nichts hat den Geist der Bundesrepublik Deutschland so nachhaltig geprägt wie die Generationenherrschaft der 68er … Seit Jahrzehnten haben die deutschen Linksintellektuellen keine politische Idee mehr gehabt. Und wenn man theoretisch nicht weiter weiß, wird man moralisch aggressiv.“ Volker Zastrow wandte sich in der „FAZ“ gegen den Claudia-Roth-Jargon: „Warum soll ,unerträglich‘ sein, dass einer die Welt so beschreibt? … Nicht hilfreich, nicht zu ertragen, so lauten soziale Todesurteile unter den Nacktschnecken, die auf der eigenen Schleimspur Karriere machen...“

Das vom SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel maßgeblich initiierte Parteiausschlussverfahren gegen Sarrazin könnte so zum Bumerang für die Sozialdemokraten werden. Schließlich wendet sich eine große Zahl der SPD-Mitglieder gegen einen Ausschluss. Indes kann die derzeitige Parteiführung kaum noch anders handeln, denn zu stark ist die Partei bereits in den Großstädten durchsetzt mit Einwanderern. Eine Sarrazin-Figur passt also zunehmend weniger in das Konzept einer „multikulturell“ agierenden SPD, die die alten deutschen Stammwähler möglichst lange verbal ruhig zu stellen versuchen wird.

Ähnliche Verwerfungen zwischen dem linken Funktionärskörper und der sozialen Basis könnten sich auch bei der Partei „Die Linke“ ergeben. Schließlich würden nach einer aktuellen Umfrage 29 Prozent ihrer Wähler einer fiktiven Partei rechts der Union ihre Stimme geben, weitaus mehr also als etwa im CDU-Wählerreservoir (17 Prozent). Oskar Lafontaine, der gelegentlich verbal die nationale Karte gespielt hat, ist sich dieser sozial-nationalen Grundstimmung in der linken Wählerschaft durchaus bewusst. Und so herrscht gerade bei der „Linken“ die berechtigte Angst, das in den letzten Jahren angesammelte Protestwählerpotential zu verlieren, wenn sich denn eine akzeptable Wahlalternative – möglichenfalls von rechts – formieren würde.

Die radikale Linke, sogenannte „Antifaschisten“ oder „Autonome“, können bei den Auswirkungen der Sarrazin-Debatte außen vor gelassen werden. In diesem, maßgeblich vom studentischen Lumpenproletariat der Gesellschaftswissenschaften getragenen, Milieu herrscht seit vielen Jahren geistiger Stillstand. Meist beschränkt er sich mittlerweile in einem pathologischen Hass auf die deutsche Nation. Die Sarrazin-Debatte ist ihnen nur ein weiterer Grund für die üblichen Sitzblockaden, Schrei- und Gewaltaufmärsche, die der Einschüchterung Andersdenkender dienen sollen.

Die Qualität der Situation ist neu, und der Unterschied zu bisherigen Kampagnen gegen Abweichler vom politisch-korrekten und „multikulturellen“ Weg der bundesdeutschen Politik liegt in vier Punkten: 1. Thilo Sarrazin ist keine Randfigur. Er war Finanzsenator von Berlin und Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank. Das unterscheidet ihn von  in den Medien wenig präsenten Wissenschaftlern (Robert Hepp, Ernst Nolte), politischen Hinterbänklern (Martin Hohmann) oder medialen Nebenfiguren (Eva Hermann). Sarrazin ist also ein Dissident aus dem Zentrum des Machtapparats. Viele Veränderungen entstehen nicht von außen, sondern anfänglich im Inneren.

2. Sarrazin kommt von der politischen Linken und hat sich auch keinesfalls als Renegat präsentiert. Das macht eine der sonst üblichen linken Kampagnen schwieriger, die vorzugsweise Vertreter des politischen Konservatismus „rechtsradikaler“ Tendenzen bezichtigt. Eine „Rechtsradikalismus“-Debatte würde auf die Sozialdemokratie zurückfallen.

3. Sarrazin vermied Attacken an der stärksten Bastion der Etablierten – dem fast religiös verteidigten Geschichtsbild zur NS-Vergangenheit. Der „Juden-Gen“-Ausrutscher reichte nicht für eine größere Kampagne. Das ist der größte Unterschied zu den erfolgreichen Kampagnen gegen Ernst Nolte (1986), Steffen Heitmann (1993), Martin Hohmann und Reinhard Günzel (2003), bis hin zu Eva Herman (2007). Sarrazin hingegen blieb in der Gegenwart. Die von ihn angesprochenen Probleme betreffen faktisch alle Teile des Volkes, in Zukunft vor allem die jungen Menschen.

4. Sarrazin ist intellektuell derart fundiert, dass er standhaft blieb und nicht in die „sozialistische Selbstkritik“ verfiel. Das unterscheidet ihn etwa von einem Günther Oettinger.

Die Rezeption des Sarrazin-Buches hat zudem erst angefangen, da die bislang 400000 Käufer mitten im Lesen stecken. Die Eliten können nur versuchen, Zeit zu schinden, aber die Probleme kehren verstärkt wieder. Und da der herrschende Parteienblock keine Antwort mehr hat und sich so eindeutig in Richtung eines demographischen Umbaus der deutschen Gesellschaft festgelegt hat, wissen dessen Führungskräfte auch, dass ein Scheitern ihres Weges dazu führen könnte, dass sie unmittelbar zur Verantwortung dafür gezogen werden. Die Verunsicherung der Funktionseliten heißt allerdings nicht, dass nun eine „Wende“ unmittelbar bevorstehe, die sich einer nachhaltigeren Bevölkerungspolitik annähme. Möglich ist auch, dass zuerst die Repressionsschraube weiter angezogen wird, etwa via zunehmender Kontrolle über das bislang freie Medium Internet oder verschärfte Strafjustiz.

Das Thema aber bleibt virulent. Die Diskussion darüber kann durch allerlei Ablenkung vielleicht eine Weile aus den Medien gehalten werden, wird bei nächster Gelegenheit aber umso heftiger wieder an die Oberfläche treten. Insofern hat Doris Neujahr durchaus treffend in der „Jungen Freiheit“ gefragt: „Thilo Sarrazin hat das Seine getan. Wer macht weiter?“

 

Claus-M. Wolfschlag (* 1966) studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Politikwissenschaft. Er arbeitet als Journalist sowie publizistisch als Kultur- und Geisteswissenschaftler. Einer seiner Schwerpunkte ist die Entwicklung der politischen Linken in der Bundesrepublik.


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