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25.09.10 / Zahlmeister mit Scheuklappen / »taz«-Autorin beklagt »Selbstbetrug der Mittelschicht«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-10 vom 25. September 2010

Zahlmeister mit Scheuklappen
»taz«-Autorin beklagt »Selbstbetrug der Mittelschicht«

„Die Reichen rechnen sich arm, während die Armen reich gerechnet werden. Damit verkehrt sich die Wahrnehmung, was eigentlich Ausplünderung ist.“ Derart pointiert beschreibt die Wirtschaftskorrespondentin der „taz“, Ulrike Herrmann, in ihrem neuen Buch engagiert eine jahrzehntelange Fehlentwick-lung in unserer Gesellschaft. „Hurra, wir dürfen zahlen – Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ heißt der provokante Titel. Herrmanns Buch hat Pamphletcharakter, fußt aber auf Fakten und wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Sie hält die Selbstwahrnehmung des Mittelstands für fatal, ist Ersterer doch bekanntlich Zahlmeister der Nation – aber eben ein Zahlmeister mit Scheuklappen. Diese Scheuklappen in Form des Selbstbetrugs, „zu denen da oben zu gehören“, obwohl man „für die da unten“ zahlt, während „die da oben“ in Ruhe gelassen werden, möchte sie wegreißen. Bereits ein Blick in das Inhaltsverzeichnis ist dazu angetan, Unmut zu erzeugen: „Den Vermögenden gehört fast alles in Deutschland – Die Eliten bleiben unter sich – Die Reichen rechnen sich arm – Die Mittelschicht schrumpft – Die Wut über die Manager – Die Armen sind alle Betrüger: über ,Florida-Rolf‘ und ,Karibik-Klaus‘ – Firmenerben entrichten keine Erbschaftssteuer mehr – Wie die Mittelschicht für die Armen zahlt“.

Die linke Autorin prangert die Duldsamkeit der hart arbeitenden Mittelständler an, die sich von Slogans wie „mehr Netto vom Brutto“ beeindrucken ließen. Klaglos sähen diese zu, dass die sogenannten Eliten weniger Steuern zahlen und wählten immer wieder Politiker, deren wirtschaftspolitische Entscheidungen diese Tendenz weiter verfestigen. Zwar wird kräftig über die Managergehälter geschimpft, doch über den Verbleib der satten Firmengewinne wird kaum nachgedacht. Indessen schrumpft der Mittelstand, verfügen die Empfänger mittlerer Einkommen, bedingt durch direkte und indirekte Besteuerung sowie ein sinkendes Lohnniveau, über ein immer geringeres Ausgabenpotential. Ein Übel seien auch die Sozialversicherungen, so die Autorin, wobei sie die gesetzliche Krankenversicherung ins Visier nimmt (Stichwort „Beitragsbemessungsgrenze“): „Das deutsche System ist nicht progressiv, sondern regressiv, und damit recht einzigartig auf dieser Welt.“

Sie fordert, der Mittelstand müsse sich zuerst einmal vom Glauben an Chancengleichheit verabschieden. Die Eliten bilden eine geschlossene Gesellschaft, „Kinder aus gutem Hause“ heiraten mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Partner aus ärmlichen Verhältnissen. Fazit: „Aschenputtel ist heute mehr denn je ein Märchen.“ Weiter heißt es: Verblüffend sei der Umstand, dass sich bei uns die meisten nach wie vor beinahe wohlhabend fühlen, himmelweit entfernt jedenfalls von der Bedürftigkeit, sprich: den Suppenküchen.

Was aber empfiehlt sie – eine Abkehr vom Kapitalismus? Weit gefehlt. Sie erinnert an die positive Wirkung des New Deal in den USA seit 1933 unter dem demokratischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt. Damals lag der Spitzensteuersatz bei 91 Prozent, während die Besteuerung der Unternehmen von 14 auf 45 Prozent anstieg. Am Ende gehörten fast alle der Mittelschicht an; dies betraf allerdings überwiegend die weiße Bevölkerung. Erst Ronald Reagan begann wieder mit der systematischen Entlastung der Spitzenverdiener. Bei dem Rückgriff auf die Geschichte stellt sich jedoch die Frage: Welchen Effekt hätte eine Umverteilung heute angesichts der globalisierten Strukturen?

Hermanns Fazit: Es täte allen, auch der Wirtschaft gut, „wenn ein starker Staat Krisen ausgleicht und dafür sorgt, dass möglichst alle Schichten am gesamtgesellschaftlichen Wohlstand teilhaben.“    

Dagmar Jestrzemski

Ulrike Herrmann: „Hurra wir dürfen zahlen – Der Selbstbetrug der Mittelschicht“, Westend Verlag, München 2010, geb., 224 Seiten, 16,95 Euro


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