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02.10.10 / Abwehrkampf gegen Gespenster / SPD-Parteitag ohne inhaltliche Aussage – Sarrazin und der Höhenflug der Grünen als Hauptsorgen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-10 vom 02. Oktober 2010

Abwehrkampf gegen Gespenster
SPD-Parteitag ohne inhaltliche Aussage – Sarrazin und der Höhenflug der Grünen als Hauptsorgen

Wo steht die SPD ein Jahr nach ihrer historischen Niederlage bei der Bundestagswahl? Der Parteitag in Berlin belegt eine Konsolidierung an der Oberfläche: Tiefe innere Brüche sind nicht zu sehen, doch ein Programm, mit dem sich regieren ließe, noch viel weniger. Mit der Etablierung der „Linken“ hat sich die SPD abgefunden, gegen die immer stärkeren Grünen ist kein Konzept in Sicht.

Es ist keine zehn Jahre her, dass Umfregeergebnisse von 30 Prozent bei der SPD mit Sarkasmus und schwarzem Humor quittiert wurden. Heute gelten der SPD solche Zahlen ebenfalls als ungewöhnlich – nur mit umgekehrtem Vorzeichen. SPD-Chef Sigmar Gabriel sprach über die 30 Prozent beim Parteitag in Berlin mit Genugtuung als Zeichen der wiedergewonnenen Stärke.

Auch sonst bäckt die älteste deutsche Partei kleine Brötchen. Der Umstand, dass Gabriel im Amt des Parteivorsitzenden, das er erst seit November 2009 bekleidet, nicht schon wieder wankt, gilt in der SPD als wichtige gute Nachricht. Tatsächlich hat Gabriel momentan keine innerparteiliche Konkurrenz: Bundestagsfraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat zwar gute Umfragewerte in der Bevölkerung, aber als Vater der Agenda 2010 bis heute keinen leichten Stand in der eigenen Partei. Generalsekretärin Andrea Nahles ist bis jetzt noch nicht so recht in ihrer Funktion angekommen, mehrere Talkshow-Auftritte der vergangenen Monate hat sie vergeigt. Bundesminister stellt die Partei keine mehr, und die vier Parteivizes treten bundesweit wenig in Erscheinung.

Momentan plagen zwei Gespenster die SPD: Der Streit um Thilo Sarrazin und die immer stärker werdenden Grünen. Die SPD-Spitze weiß inzwischen genau, wie viel Rückhalt Sarrazin nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch innerhalb der SPD genießt. Die mehrfachen Windungen und Wendungen Gabriels im Umgang mit dem einst hoch angesehenen Finanzsenator von Berlin belegt überdeutlich die Unsicherheit im Umgang mit einem Mann, von dem jeder weiß, dass er einige große Wahrheiten ausgesprochen hat.

Der Parteitag folgte in diesem Punkt einer sorgfältigen Regie: Früh und prominent durfte Heinz Buschkowsky, der Bürgermeister des Berliner Problembezirks Neukölln, auftreten. Der jahrelang kritisch Beäugte gilt heute gleichsam als die personifizierte einwanderungspolitische Vernunft der SPD, weil er sich nie am „Multi-Kulti-Gesäusel“ beteiligt hat, sondern seit jeher offen und mit berlinerischer Direktheit die Integrationsprobleme benannt hat – sogar das Wort „Unterschicht“ kam ihm schon über die Lippen.

Da Buschkowsky geschickt genug war, sich an der Klassenkeile gegen Sarrazin zu beteiligen, ist er heute der Mann der Stunde in der SPD. Buschkowsky genoss diese Rolle sichtlich, auch wenn klar war, dass er im Grunde die Rolle des Pausenclowns zu spielen hatte. Gabriel hielt nämlich sonnenklar am Ausschlussantrag gegen Sarrazin fest, und auch Parteivize Klaus Wowereit durfte klarstellen, dass die Politik von Massenzuwanderung ohne richtige Integration weitergehen soll („Multikulti ist nicht gescheitert!“). Das Eingeständnis der Bundesregierung vor wenigen Tagen, zehn bis 15 Prozent der Zuwanderer (also je nach Bezugsgröße zwischen ein und drei Millionen Menschen) seien integrationsunwillig, spielte da schon keine Rolle mehr. Gabriels Hinweis vor wenigen Tagen, „Wer auf Dauer alle Intergrationsangebote ablehnt ... kann nicht in Deutschland bleiben“, war offenkundig nicht ernst gemeint.

Während Gabriel in Sachen Sarrazin eine ruhige, ja ernste Tonlage anschlug, um innerparteiliche Konflikte nicht anzuheizen, sprach er über die Grünen in locker-ironischem Ton. „Ich bin sicher, dass die Berlinerinnen und Berliner im kommenden Jahr wissen, dass man die Zukunft der Stadt nicht nur mit Bionade und Latte Macchiato allein gestalten kann“, griff er die Grünen an. Sogar „Freude und Gelassenheit“ empfahl er angesichts des Höhenfluges der Konkurrenz: Freude, weil nur starke Grüne eine rot-grüne Mehrheit ermöglichen würden, Gelassenheit, weil auch deren Bäume nicht in den Himmel wachsen würden.

Allerdings ist ein Ende des grünen Höhenfluges vorerst nicht absehbar. Der Aufstieg der Partei begann in den 80er Jahren in den Universitätsstädten, wo halbe Studentengenerationen mehr oder weniger „grün“ fühlten und wählten. Zwanzig Jahre später stehen diese Menschen als Lehrer und Juristen, Journalisten und Mediziner in meinungsbildender Stellung. Solange die Parteiführung größere Fehler vermeidet, kann der Aufstieg weitergehen.

Viel größere Sorgen als die Berliner Senatswahl im Herbst 2011 macht der SPD allerdings die Landtagswahl in Baden-Württemberg Ende März. In Berlin haben die Grünen „nur“ gleichgezogen, im Südwesten hingegen lagen sie zuletzt sechs Prozentpunkte vor der SPD.  Ein Modethema fördert dort das Geschäft der Ökopartei: Der Streit um „Stuttgart 21“ macht Schlagzeilen; die Grünen waren schon immer dagegen, die SPD hingegen ist vom Ja zum Jein halb gekippt, was nicht ganz überzeugend wirkt. Eine linke Mehrheit in Baden-Württemberg wäre für die SPD ein Traum. Doch ein Land von dieser Bedeutung als erstes unter grüner Führung? Ein Albtraum!

Früher wäre kein Bericht von einem SPD-Parteitag ohne ausführlichen Hinweise auf Programmdebatten und Beschlüsse ausgekommen. Das hat sich geändert. Was die SPD zum Steuerrecht, zur Rente mit 67 und zu Hartz IV beschlossen hat, ist indes nicht der Rede wert, weil überdeutlich signalisiert wurde, dass das Beschlossene nicht zur Verwirklichung bestimmt ist. Die Abkehr von der einst mühsam durchgesetzten „Rente mit 67“ fiel immerhin so deutlich aus, dass Franz Müntefering, vor Jahresfrist noch Parteichef, dem Treffen verärgert fernblieb. Der sozialdemokratischen Harmonie tat das keinen Abbruch.         Konrad Badenheuer


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