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02.10.10 / Mehr als ein Streit um Inseln / Peking entwickelt imperialen Ehrgeiz − Chinas Anrainer suchen Unterstützung bei den USA

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-10 vom 02. Oktober 2010

Mehr als ein Streit um Inseln
Peking entwickelt imperialen Ehrgeiz − Chinas Anrainer suchen Unterstützung bei den USA

Zwei Jahre hatten sich China und Japan um ein Tauwetter in ihren belasteten Beziehungen bemüht. Das ist jetzt vorbei, denn Peking sucht offen die Konfrontation mit Tokio.

Vor zwei Wochen rammte ein chinesisches Fischereischiff beim Thunfischfang bei den umstrittenen Sentaku Felseninseln (chinesisch: Diaoyu) zwei Patrouillenboote der japanischen Küstenwache, die es aus jenen von China wie Japan beanspruchten Gewässern abdrängen wollten. Japan gab die 14 Seeleute der Mannschaft bald frei, behielt aber den rabiaten Kapitän, Zhang Qixiong, bis zum Wochenende noch in U-Haft.

China spielte diesen – auf asiatischen Meeren mit ihren vielen umstrittenen Seegrenzen nicht seltenen – Zwischenfall zur Staatsaffäre hoch. Der japanische Botschafter wurde fünfmal einbestellt. Spitzenkontakte wurden eingefroren. Der sonst milde Premier Wen Jiabao fand in New York beim UN-Millenium-Gipfel „keine Zeit“, Japans Ministerpräsidenten Naoto Kan zu treffen. 1000 japanische Studenten, die von ihm zur Expo nach Schanghai eingeladen worden waren, wurden kurzerhand wieder ausgeladen. Der Export Seltener Erden, für die China ein faktisches Abbaumonopol hat, wurde nach Japan unterbunden. Vier Japaner wurden in der Mandschurei wegen angeblichen Filmens eines Sperrgebietes verhört, und die chinesische Staatspresse darf zur Rache gegen Japan hetzen. Kurzum, China zieht wieder, wie schon 2005, als es zu tagelangen geduldeten anti-japanischen Krawallen kam, die üblichen Register des Missfallens. Japans Aufrufe zur Ruhe verhallen ungehört. Auch nach der Freilassung des Kapitäns besteht Peking weiter auf einer formellen Entschuldigung der Japaner.

Dabei hatte es vor zwei Jahren beim letzten Besuch von Präsident Hu Jintao in Tokio noch ausgesehen, als würden beide Streithähne sich unter Ausklammerung des Territorialkonflikts auf eine gemeinsame Förderung der Öl- und Gasvorkommen in der strittigen Zone einigen. Die chinesische Off-shore-Gesellschaft CNOOC begann prompt zu bohren und errichtete auch einen Förderturm. Doch Japan sah von dem geförderten Gas und der versprochenen Gewinnbeteiligung sehr wenig.

Für China sind die zwischen Okinawa und Taiwan gelegenen unbewohnten Felsen Teil des Chinesischen Festlandsockels und „heiliges Territorium“. Für Japan sind sie seit 1885 kontrolliertes Staatsgebiet, das 1971 von den USA zusammen mit dem 1945 in monatelangen Schlachten blutig eroberten Okinawa als US-Protektorat an Japan zurückgegeben wurde.

Noch bei der Tokio-Visite von Wen Jiabao im Mai hatten die Chinesen guten Willen signalisiert. Warum also der plötzliche Kurswechsel, der ebenso wie die aggressiven Territorialforderungen im Südchinesischen Meer die Asiaten in die Arme der Amerikaner als einziger Schutzmacht gegen das erstarkende China treibt?

Tatsächlich verschärft sich derzeit in Peking der Machtkampf um die 2012 anstehende Nachfolge von Präsident Hu Jintao. Dabei haben die von der Armee und der Marineführung gestützten Hardliner aktuell die Nase vorn. Deswegen wollen die eher moderaten Reformer um Premier Wen nicht ausgerechnet beim Erbfeind Japan als „Weicheier“ dastehen. Ohnehin tritt China bei Grenzkonflikten sehr aggressiv auf. So trat Russland unter Präsident Wladimir Putin im Jahr 2004 die noch 1969 blutig umkämpften Ussuri-Inseln an das damals eng befreundete China ab. Kirgisien gab 2001 von China beanspruchte Bergketten ebenfalls „freiwillig“ ab. Doch beansprucht China von Indien weiter die ganze Grenzprovinz Arunachal Pradesch, eine von einer Million Tibetern und burmesischen Stammesangehörigen bewohnte Berg- und Urwaldlandschaft südlich des Himalaya, die es „Südtibet“ nennt, und im Südchinesischen Meer eine Seegrenze, die bis zum Äquator einschließlich der indonesischen Nantunas reicht und mit den Ansprüchen aller anderen Küstenanrainer: Vietnam, den Philippinen, Brunei, Indonesien und Malaysien kollidiert. China baut derzeit auf seiner Südinsel Hainan einen U-Bootstützpunkt massiv aus, der seine Ansprüche im Südchinesischen Meer auch militärisch mit seiner neu aufgerüsteten Hochseeflotte durchsetzbar machen würde. Gegenüber Indien baut es Seestützpunkte beim Erzfeind Pakistan und in Burma auf und umwirbt eifrig Sri Lanka, das ebenfalls beim Westen wegen seiner Menschenrechtsverletzungen in Ungnade gefallen ist.

US-Außenministerin Hillary Clinton versicherte Naoto Kan, die USA würden jede Gewaltanwendung gegen die Sentaku-Inseln als Beistandsfall für das gemeinsame Verteidigungsbündnis werten. Den beunruhigten asiatischen Ländern bot sie die Vermittlerrolle der USA im rohstoffreichen Südchinesischen Meer an und schlug eine multilaterale Konferenz zur Lösung der Probleme vor. Das ist das letzte, was die mächtigen Chinesen wollen. Sie schüchtern die kleinen Länder Südostasiens lieber in Einzelverhandlungen ein. Eine Vermittlerrolle der an der Freiheit der Meere und Seewege orientierten USA mit ihrer mächtigen Siebten Flotte im Pazifik lehnen sie rundweg als parteiisch ab. Ohnehin, so die neue Doktrin, sei das Südchinesische Meer ein ähnliches Kernland Chinas wie Tibet oder Taiwan. Das heißt, es ist nicht verhandelbar. Historisch kann China für seine Ansprüche freilich nur ein paar diffuse Seekarten und die Gräber gestrandeter Fischer auf unbesiedelten Eilanden vorweisen.

Mit Südkorea veranstaltet die US-Marine in Bälde Seemanöver in einem Teil des Gelben Meeres, das China als seine militärische Sperrzone ansieht. Die Machtdemonstration gilt in erster Linie dem chinesischen Satrapen Nordkorea, das im Frühjahr ungestraft eine südkoreanische Korvette versenkte, doch auch der chinesischen Schutzmacht des Schurkenstaats. Selbst Russland, bislang der getreueste Verbündete und Waffenlieferant Chinas, fühlt sich in seinem sich entvölkernden Sibirien von der chinesischen Immigration bedroht und geht mit einem pro-westlicheren Kurs zunehmend auf Distanz.

Der große Reformer Deng Xiaoping hatte seine Parteigenossen stets ermahnt, bis zum Jahr 2020 zu warten, wenn China mächtig genug geworden sei, um seine Territorialprobleme ohne Furcht vor einer feindlichen Einkreisungskoalition zu lösen. Imperiale Ungeduld seien Deutschland 1914 und Japan 1941 zum Verhängnis geworden, als die etablierten Weltmächte beschlossen hatten, den unerwünschten Herausforderern den Garaus zu machen. Es scheint, als würden die Nachfolger des chinesischen Bismarck seine Lektionen gerade verlernen. Albrecht Rothacher


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