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02.10.10 / Weg vom Öl – aber wohin? / Technisch ist vieles möglich, was fehlt, ist ein zukunftsweisendes energiepolitisches Gesamtkonzept

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-10 vom 02. Oktober 2010

Weg vom Öl – aber wohin?
Technisch ist vieles möglich, was fehlt, ist ein zukunftsweisendes energiepolitisches Gesamtkonzept

Kein anderer Rohstoff beherrscht die globalisierte Welt von heute ähnlich stark wie das Erdöl – eine gefährliche Abhängigkeit, wie die Katastrophe im Golf von Mexiko auf dramatische Weise zeigte. Bei der Suche nach Alternativen aber tun wir uns schwer.

„Bürgerdialog zur Nachhaltigkeit“ – mit diesem Projekt, zu dem Bundeskanzlerin Angela Merkel Anfang dieser Woche den Startschuss gab, will die Bundesregierung das Volk an der Gestaltung eines langfristigen, zukunftsfähigen energie- und umweltpolitischen Gesamtkonzepts teilhaben lassen. Der internetgestützte Dialog zwischen Wählern und Gewählten stellt zwar einen demokratischen Fortschritt dar, signalisiert zugleich aber eine erschreckende Rat- und Hilflosigkeit. 

Der Diskurs der politischen Klasse beschränkt sich weitgehend auf die Frage „Ausstieg aus der Atomenergie“ oder „Ausstieg aus dem Ausstieg“. Die viel wichtigere Frage, wie wir uns aus der Abhängigkeit vom Rohstoff Erdöl befreien können, ist aber längst wieder unbeantwortet zu den Akten gelegt worden. Die Betroffenheitsrituale nach der Deepwater-Horizon-Katastrophe zeitigten das erwartet kurzfristige Verfallsdatum.

Die Abhängigkeit vom Öl ist nahezu total. Was immer auf dieser Erde an Gütern und Menschen anders als mit Muskelkraft bewegt wird, verbraucht Benzin, Diesel oder Kerosin. Der Anteil der aus Petroleum produzierten Treibstoffe für Verkehr und Transport liegt weltweit bei 90 Prozent.

Alternative Kfz-Antriebe sind technisch längst möglich. Elektroautos gab es schon vor einem Jahrhundert, Hybridfahrzeuge sind keine neuzeitliche Erfindung pfiffiger japanischer Tüftler, sondern waren schon vor 40 Jahren bei Daimler und BMW serienreif entwickelt. Erdgastanks spielen – ebenfalls seit Jahrzehnten – immerhin eine bescheidene Außenseiterrolle, Brennstoffzellen sind seit einigen Jahren in der Erprobung.

Sie alle verbindet: Gegenüber Benzin und Diesel sind sie nach wie vor nicht konkurrenzfähig. Für keinen dieser alternativen Antriebe gibt es eine flächendeckende Infrastruktur. Vor allem aber sind die Erdölprodukte selbst bei Barrelpreisen um 100 Dollar immer noch konkurrenzlos billig.

Das kann sich allerdings bald ändern. Die Deepwater-Horizon-Explosion und ihre Folgen zeigten: Die relativ leicht und gefahrlos zugänglichen Ölquellen versiegen. Es ist zwar weltweit immer noch genug Erdöl vorhanden. Alle Prognosen über das allsbaldige Versiegen haben sich als falsch erwiesen. Aber es wird immer aufwändiger, teurer und gefährlicher, neue Quellen zu erschließen und auszubeuten. Die Unglücksplattform Deepwater Horizon hatte, bevor sie bei 1500 Meter Wassertiefe explodierte, bereits in 3000 Meter Tiefe gebohrt. Nun, nach dem verhängnisvollen Unglück, gestehen die bislang so optimistischen „Experten“ der Öl-Multis ein, dass Bohrungen in solchen Tiefen absolut unkalkulierbare Risiken bergen. Also wird das Öl, das vielleicht einmal aus solchen Quellen gefördert werden kann, erheblich teurer als heute sein. In durchaus seriösen Schätzungen werden bereits Barrel-Preise deutlich oberhalb 200 Dollar genannt.

Dann aber können die heute noch unwirtschaftlichen Alternativen konkurrenzfähig werden. Das gilt nicht nur für Transport und Verkehr, sondern für alle Bereiche, die heute noch vom Erdöl dominiert werden. So werden derzeit noch über 30 Prozent aller Heizungen in Deutschland mit Öl befeuert. Und die chemische Industrie benötigt für über 90 Prozent ihrer gesamten Produktion das „schwarze Gold“ als Rohstoffbasis. Negativbeispiel in jeglicher Hinsicht ist der Flugverkehr: Jeder Gedanke, Verkehrsflugzeuge anders als mit Kerosin in die Luft erheben zu können, ist reine Utopie. Und welche Wachstumsraten (auch beim Ölverbrauch) hier zu erwarten sind, signalisiert der neue Riesen-Airbus A380 auf eindrucksvolle Weise.

In allen anderen Bereichen sind Alternativen technisch möglich. Oft stützten sie sich auf längst bekannte und erprobte Verfahren, woran deutsche Forscher und Techniker großen Anteil haben.

Ein solches Beispiel ist die Verflüssigung oder Vergasung von Kohle. Amerikaner und Chinesen sind derzeit dabei, sich diese Technologie in großindustriellem Maßstab zunutze zu machen. Dabei greifen sie auf ein 97 Jahre altes Patent aus Deutschland zurück. 1913 hatte der aus Breslau stammende Friedrich Bergius an der Technischen Hochschule Hannover ein Verfahren zur Hydrierung von Kohle entdeckt. Er konnte dies aber nicht umsetzen und verkaufte sein Patent 1925 an die BASF. 1931 erhielt er den Chemie-Nobelpreis; das Preisgeld wurde allerdings unverzüglich vom Gerichtsvollzieher gepfändet. Franz Fischer und Hans Tropsch vom Kaiser-Wilhelm-Institut für Kohleforschung in Mülheim an der Ruhr waren da geschickter und erfolgreicher. Für die IG Farben, in der die BASF inzwischen aufgegangen war, verfeinerten sie das Bergius-Verfahren bis zur großtechnischen Anwendung durch die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg.

Danach geriet das Verfahren in Vergessenheit, bis 1973 die erste Ölkrise kam. Plötzlich war Kohle als alternativer Brenn- und Rohstoff wieder gefragt. Zu dieser Zeit hatte Prof. Rudolf Schulten an der Kernforschungsanlage Jülich gerade ein neuartiges kombiniertes Verfahren konzipiert. Der von ihm konstruierte Hochtemperatur-Reaktor (THTR) sollte über einen Helium-Kreislauf Prozesswärme liefern, um in einer Versuchsanlage namens Eva Kohle in Brennstoff für Motoren oder Heizungen umzuwandeln.

Das anfangs auch international vielbeachtete Projekt scheiterte daran, dass die Ölkrise bald vorüber und der Anreiz zu Alternativen damit hinfällig war. In naher Zukunft kann sich das freilich wieder ändern.

In Deutschland wird derweilen über die sogenannten regenerativen Energieträger wie Wind, Sonne oder Biomasse spekuliert, die aber nach heutigem Kenntnisstand allenfalls Teilbereiche abdecken können. Und Kernkraft gilt hierzulande nach wie vor als „umstritten“, im Gegensatz zum Rest der Welt. So bestätigte die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) erst vor wenigen Tagen auf ihrer Generalversammlung in Wien, dass in über 60 Staaten nukleare Neubauprogramme laufen. Hans-Jürgen Mahlitz


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