29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
02.10.10 / Weltkulturerbe einmal anders / Die Unesco schützt nicht nur materielle Werte − Seit 2003 wird auch »immatrielles Kulturerbe« geschützt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-10 vom 02. Oktober 2010

Weltkulturerbe einmal anders
Die Unesco schützt nicht nur materielle Werte − Seit 2003 wird auch »immatrielles Kulturerbe« geschützt

Als die Unesco, die Sonderorganisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur, 1972 die „Internationale Konvention zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt“ verabschiedete, übernahm sie keine geringere Aufgabe, als die Kultur- und Naturgüter von außergewöhnlicher universeller Bedeutung unter den Schutz der gesamten Völkergemeinschaft zu stellen. Fast alle Staaten dieser Erde haben das Übereinkommen unterzeichnet und sich damit verpflichtet, für die Erhaltung der eigenen und fremden Stätten weltweit einzutreten. Der Gedanke der Völkerverständigung spielt dabei also eine mindestens genauso wichtige Rolle wie die Pflege des Erbes der Menschheit.

Bis heute verzeichnet die beim Sitz der Organisation in Paris geführte Liste 911 Welterbestätten in 151 Ländern. Deutschland ist darunter mit 33 vertreten. Jüngstes Mitglied aus unserem Land in dem exklusiven „Club“, dem die Chinesische Mauer ebenso angehört wie die Pyramiden von Gizeh, die Serengeti, die Niagara-Fälle und der Grand Canyon, ist seit Anfang August das „Kulturdenkmal Oberharzer Wasserregal“.

Der ungewöhnliche Name steht für ein in dieser Ausdehnung weltweit einzigartiges Wassersammel- und Leitsystem des historischen Bergbaus. Zwischen 1536 und 1866 hatten die Oberharzer Bergleute für die Erzeugung von Wasserkraft mehr als 120 Teiche, 500 Kilometer Gräben, 18 Kilometer hölzerne Wasserleitungen und 30 Kilometer unterirdische Gräben geschaffen, von denen heute noch rund 65 Teiche, 70 Kilometer Gräben und 20 Kilometer Wasserläufe aktiv unterhalten werden.

Damit dürfte die Potsdam-Berliner Kulturlandschaft, ausdehnungsmäßig gesehen die größte unter den deutschen Welterbestätten, nach 20 Jahren Konkurrenz bekommen haben. Denn bereits seit 1990 gehören die Schlösser und Parks von Potsdam und Berlin offiziell zum Welterbe. Die Entstehung von Potsdams 500 Hektar großen Parks und seiner 150 Bauwerke erstreckte sich über knapp 200 Jahre (1730–1916). Zu den Ensembles auf Berliner Gebiet gehören das für Prinz Karl von Preußen von 1825 bis 1827 von Schinkel erbaute Schloss Glienicke, die Pfaueninsel mit Kavaliers- und Palmenhaus sowie die Parkanlage, geschaffen von Lenné. 1992 und 1999 wurde das Potsdam-Berliner Welterbegebiet um 14 Denkmalbereiche erweitert, darunter die Sacrower Heilandskirche, Schloss und Park Lindstedt, die Russische Kolonie Alexandrowka, der Pfingstberg mit dem Belvedere und die Sternwarte am Babelsberger Park.

Seit 1999 findet sich ein kaum minder ehrgeiziges Preußen-Projekt auf der Welterbeliste: die weltberühmte Berliner Museumsinsel. Die von 1830 bis 1930 entstandene „Tempelstadt der Künste“ mit ihren fünf Museen präsentiert 6000 Jahre Menschheitsgeschichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu 70 Prozent zerstört, die Sammlungen auf Mittel- und West-Deutschland verteilt, impliziert der Unesco-Titel auch die Restaurierung der Gebäude. Bis 2015 soll dies auch vollständig geschehen sein und Berlin kann dann mit dem Louvre in Paris und den Vatikanischen Museen in Rom problemlos mithalten.

Der Motor dieser großen kulturellen Anstrengung war – und ist hoffentlich – der Bildungsgedanke. Keimzelle des Ensembles ist das nach Plänen Schinkels von 1825 bis 1830 erbaute Alte Museum, mit dem König Friedrich Wilhelm III. seinen Beitrag zu den ersten öffentlichen Museen Europas leistete. Den ersten Gesamtbebauungsplan entwarf 1841 Schinkels Schüler Friedrich August Stüler. Nach seinen Plänen wurden 1859 das Neue Museum und 1876 die Alte Nationalgalerie fertiggestellt. 1904 erfolgte die Eröffnung des Kaiser-Friedrich-Museums, heute Bodemuseum, 1930 die des Pergamonmuseums.

Dass Berlin seine Architektur- Geschichte fortgeschrieben hat, beweisen die Gartenstadt Falkenberg, die Siedlung Schillerpark, die Großsiedlung Britz, die Wohnstadt Carl Legien, die Weiße Stadt und die Großsiedlung Siemensstadt. Seit Juli 2008 gehören diese sechs von dem Königsberger Architekten Bruno Taut maßgeblich entworfenen Wohnsiedlungen der Moderne ebenfalls zum Weltkulturerbe. Zwischen 1913 und 1931 entstanden, stehen sie für sozialen Wohnungsbau auf damals höchstem Niveau: rationell geschnittene, modern ausgestattete und bezahlbare Wohnungen in Häusern ohne Hinterhof, dafür mit Licht, Luft und Sonne.

Das materielle Welterbe ist inzwischen jedem ein Begriff. Wer aber weiß schon, dass die Unesco 2003 auch ein Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes verabschiedet hat, dem bisher 116 Länder beigetreten sind, darunter 16 EU-Staaten? Dessen Liste umfasst inzwischen aus allen Weltregionen 166 kulturelle Ausdrucksformen: Brauchtum, Sprachen, Musik, darstellende Künste oder Handwerk. Die tibetische Oper, das Drachenboot-Festival und die Kalligrafie aus China gehören ebenso dazu wie der Radif der iranischen Musik und die altjapanische Hofmusik Gagaku, die malische Manden Charta, die als älteste Verfassung der Welt gilt, die Traditionen und Praktiken der Kayas in Kenias Heiligem Wald Mijikendas, der argentinische und uruguayische Tango sowie die Pfeifsprache El Silbo von der spanischen Kanareninsel La Gomera.

Für Europäer weniger exotisch klingen da die Einträge aus dem abendländischen Kulturraum, welche etwa die katholische Minderheit der Suiti in Lettland oder die Heilig-Blut-Prozession im belgischen Brügge schützen sollen. Europas Land mit den meisten Kulturphänomenen dieser Art ist Kroatien. Auf der letzten Unesco-Konferenz von Abu Dhabi im Herbst 2009 hatte der Balkanstaat es geschafft, sieben seiner Kulturphänomene zu platzieren. Öfter darauf vertreten sind jetzt nur China, Japan und Korea. Damit ließ der Balkanstaat seine bekanntesten Karnevals-Gestalten, die Glockenläuter, genauso zum Kulturerbe aufsteigen wie den Frühlingsumzug von Gorjani, das Sankt-Blasius-Fest zu Ehren des Schutzpatrons von Dubrovnik, die Oster-Prozession der Insel Hvar, die Klöppelarbeiten von Lepoglava, Pag und Hvar, das Holzspielzeug aus der Zagorje sowie die von besonders kleinen Tonintervallen geprägte Zweistimmigkeit in der Instrumentalmusik und im Gesang von Istrien und dem kroatischen Küstenland. Deutschland ist beim immateriellen Kulturerbe bislang nicht vertreten.    Anne Sommer


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren