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02.10.10 / Noch heute eine geachtete Tradition / Auch wenn Städter das Erntefest kaum noch feiern, wird es auf dem Land noch begangen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-10 vom 02. Oktober 2010

Noch heute eine geachtete Tradition
Auch wenn Städter das Erntefest kaum noch feiern, wird es auf dem Land noch begangen

Seit Jahrtausenden feiern Menschen am Ende der Erntezeit ein Fest. Unsere Vorfahren in Mittel- und Nordeuropa kamen am 23. September, der Tagundnachtgleiche, zusammen, um mit einem Dankopfer die erfolgreiche Ernte zu feiern. Ähnliche Riten gab es im Judentum, aber auch bei den Griechen, Römern und Ägyptern.

Da der Mensch stets den Unbilden des Wetters ausgesetzt war, hatte er das Bedürfnis, Gott (oder den Göttern) zu danken für den notwendigen Vorrat an Nahrung, der zum Überleben im Winter notwendig war.

Das scheint heute anders zu sein. Wer in den Städten lebt, bekommt von dem Wachsen und Gedeihen auf den Feldern kaum noch etwas mit. Wofür also danken? In diesem Jahr haben wahrscheinlich viele die Nachricht des Bauernverbandes überlesen, dass wegen des heißen Juli und des nassen August die Ernte um 16 Prozent niedriger ausfiel. Noch Ende August waren im Norden Deutschlands viele Kornfelder nicht abgeerntet, weil die Feuchtigkeit dies nicht zuließ. Doch in den Supermärkten merkt der Kunde von diesen Schwankungen kaum etwas. Die Preise erhöhen sich allenfalls geringfügig, sonst scheint alles gesichert.

Dabei gab es in unserem Land durchaus andere Zeiten. Die Generation, die den Zweiten Weltkrieg miterleben musste, berichtet von schlimmen Hungerszeiten nach dem Krieg. Und Dankbarkeit hängt seltsamer Weise oft mit der erfahrenen Not zusammen. Wer einmal – und sei es nur auf einer Wanderung – richtig hungern musste, wessen Lippen zusammenklebten vor Durst, weiß um die Köstlichkeit von kaltem Wasser und einem einfachen Stück Brot.

Not lehrt nicht nur beten, Not lehrt auch danken. Dazu gibt es eine schöne Geschichte aus Nordamerika. Die Amerikaner feiern ihr „Thanks-Giving“ am vierten Donnerstag im November. Ähnlich wie bei uns der Heiligabend ist dieses Dank-Fest das große Familienfest in den USA und Kanada. Viele nehmen sich den darauffolgenden Freitag frei und fahren für dieses lange Wochenende oft sehr weite Strecken, um zu Hause mit der ganzen Familie, einschließlich Großeltern, Tanten, Onkeln, Vettern, erwachsenen Kindern und Freunden in großer Runde zu feiern.

Seinen Ursprung hat dieses Thanksgiving-Fest in der Zeit der Pilgerväter im Jahr 1621. Die aus Europa ausgewanderten – und aus religiösen Gründen vertriebenen – Familien strandeten bei Plymouth Rock in Massachusetts. Nach einem harten Winter, wo etwa die Hälfte der Neuankömmlinge an Hunger starb, zeigten ihnen die einheimischen Wampanoag-Indianer, was und wie man in dem neuen Land anbauen kann. Sie brachten den Neuankömmlingen bei, wie man Mais und Kartoffeln anbaut und Truthähne hält. Im Herbst 1622 feierten daher die Neuankömmlinge zusammen mit den Indianern ein dreitägiges Erntedankfest, weil sie ohne deren Hilfe den folgenden Winter wohl kaum überlebt hätten. Damit begann die Tradition des amerikanischen Erntedankfestes.

Bei diesem Fest gibt es bis heute die traditionellen amerikanischen Lebensmittel, die jede amerikanische Familie zu Thanksgiving auf den Tisch bringt, nämlich gebratenen und gefüllten Truthahn (roasted turkey) mit einer reichhaltigen Auswahl an Beilagen und Nachspeisen wie Moosbeeren-Soße (cranberry-sauce), Süßkartoffeln (sweet potatoes), Apfel- und Kürbiskuchen (pumpkin pie) sowie verschiedenen Gemüsen wie Squash, grüne Erbsen und Mais.

Doch zurück nach Deutschland. Wenn die Felder abgeerntet sind und sich Ende September der Herbst ankündigt, dann wird auch in Deutschland gefeiert. Vor Einzug des Christentums opferte man hierzulande Göttern wie „Freya“ oder „Wotan“ für eine gute Ernte; seit einem königlichen Erlass in Sachsen im Jahr 813 ehrt die Bevölkerung Gott, den Vater und Schöpfer. Terminlich liegt dieses Fest immer rund um den 29. September, dem Fest des Erzengels Michael, der die Stelle Wotans einnahm. Auch der preußische König bestätigte für die evangelischen Gemeinden in seinem Erlass von 1773 diese Regelung.

Auch wenn sich die Zeiten in vielem geändert haben und heute nicht mehr wie früher 80 Prozent der Menschen auf dem Lande leben, gehört das Erntedankfest weiterhin zu den großen Jahres-Festen. Man feiert vielleicht nicht mehr so ausgelassen wie früher, wenn eine Erntekrone zum Haus des Gutsherrn gebracht wurde und alle Knechte und Mägde bei „Erntebier“, einem Festessen und Tanz zusammen waren. Aber in vielen ländlichen Gegenden hat dieses Fest eine gute Tradition. Große Ernteumzüge, etwa in den Hamburger Marsch- und Vierlanden, lassen sich dann auch viele Großstädter nicht entgehen. Die prachtvollen Fachwerkkirchen sind bis auf den letzten Platz gefüllt und der Pastor muss ein Lied singen lassen, will er keinen Ärger bekommen: „Alle gute Gabe kommt her von Gott, dem Herrn, drum dankt ihm, dankt …“     Hinrich E. Bues


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