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09.10.10 / Warnschuss für Platzeck / Bürgermeisterwahl in Potsdam: Linke-Kanditat Scharfenberg scheitert an Stasi-Vergangenheit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-10 vom 09. Oktober 2010

Warnschuss für Platzeck
Bürgermeisterwahl in Potsdam: Linke-Kanditat Scharfenberg scheitert an Stasi-Vergangenheit

Bei der Stichwahl ums Oberbürgermeisteramt von Potsdam ist Linkspartei-Kandidat Hans-Jürgen Scharfenberg (56) an seiner Stasi-Vergangenheit gescheitert. Er holte 39,2 Prozent der Stimmen. Sieger ist Amtsinhaber Jann Jakobs (SPD).

Selbst in linken Hochburgen der Landeshauptstadt gewann die SPD. Dort lag die ohnehin geringe Wahlbeteiligung (42,1 Prozent) teils nur knapp über 20 Prozent. Ein zweifelhafter Erfolg für SPD-Amtsinhaber Jann Jakobs (56), der mit 60,8 Prozent „hoch erfreut“ siegte – Katzenjammer und „Neuanfang“-Rufe hingegen bei der Linkspartei.

Potsdams Prominenz ist reich an Streitthemen: Bauprojekte und das gerichtliche Ringen des skandalumwitterten Ex-Innenministers Rainer Speer (SPD) um seinen Ruf machen privaten Hader wie den von Modezar Wolfgang Joop und Tochter Jette um ihren Familienstammsitz fast zur Nebensache. Ausgerechnet am Tag der Deutschen Einheit hatten gut 127000 Potsdamer die Wahl zwischen zwei „roten“ Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters. Sowohl Amtsinhaber Jann Jakobs (SPD) als auch Dauerrivale Jürgen Scharfenberg („Die Linke“) verfehlten im ersten Wahlgang im September die Mehrheit.

Es ist kein Zufall, dass von sieben Bewerbern nur die beiden blieben: Sie debattieren vor allem soziale Fragen, „soziale Ballance“ (Jakobs) und „Ausgleichsmechanismen“ (Scharfenberg). Nur konnte Scharfenberg kaum hinzugewinnen. Nach Schließung der Wahllokale gegen 18 Uhr lag Jakobs vorn. Es ist das Ende der Ära Scharfenberg, sogar sein Wahl-Stratege spricht vom nötigen „Umbruch“ in der Partei.

Der seit acht Jahren amtierende Friese Jakobs ist Sozialpädagoge, kam 1993 als Nachfolger von Matthias Platzeck (SPD) an die Havel und wohnt im wohlhabenden Norden der preußischen Residenzstadt. Sein Sieg galt keineswegs als sicher. So versuchte er, sich mit populitischer Reichenbeschimpfung zu profilieren. Um den öffentlichen Zugang zu den beliebten Potsdamer Seen durchzusetzen, drohte er den vermögenden Anwohnern mit Enteignung: „Es geht nicht mehr darum, ob diese Wege öffentlich werden“, klärte Jakobs die Potsdamer auf, und meinte damit: Nur das Wie und Wann sei noch offen – eine unverhohlene Drohung an die Besitzer von Seegrundstücken.

Auch im aktuellen Streit um den Wiederaufbau der wilhelminischen Matrosenstation Kongsnæs ringt der Sozialdemokrat mit dieser Klientel, der die touristische Nutzung des Objekts zu viel Lärm in ihre ruhige Gegend bringt. Jakobs will das Projekt. Wohlhabende Neu-Potsdamer wie die Joops oder die Villenbesitzer um die alte Matrosenstation sind strikt dagegen. Doch sie bilden nur einen dünnen Firnis über sonst postsozialistischen Diskursen. „Die Reichen dürfen sich alles erlauben, die anderen dürfen höchstens zugucken“, nahm Jakobs das von ihm als „Klischee von Potsdam“ bezeichnete Gefühl auf. Ein mittelständisches Bürgertum, das sich an solchen Klischees stören könnte, ist kaum vertreten.

Überraschend holte der gebürtige Friese aber auch im reichen Norden jetzt einen klaren Vorsprung. Die klassenkämpferisch von Scharfenberg beschworene Trennlinie reicher Norden, armer Süden funktioniert nicht schablonenhaft, denn auch Mäzene und Manager wollen ihren Platz im linken Mainstream.

Linkskontrahent Scharfenberg drang mit seinen Forderungen wie mehr Geld für die Schulspeisung kaum durch. Wenig überzeugend mühte sich der DDR-Diplomstaatswissenschaftler auch, in Sachen Wissenschaft und Investitionen zu punkten. Stattdessen gab es Montagsdemonstrationen gegen einen möglichen Stasi-Bürgermeister Scharfenberg.

1978 begann er als Inoffizieller Mitarbeiter für die Staatssicherheit zu arbeiten. Bis 1985 bespitzelte Scharfenberg Kollegen. Rückblickend sagt er, seine „Identifikation mit der DDR“ sei verantwortlich dafür: „Es war ein folgerichtiger Schritt“ und doch „ein Fehler“ – „es ist so, dass ich nach meinem Selbstverständnis niemandem geschadet habe“. Zudem sei alles längst bekannt und nun eigens von der Presse aufgebauscht.

Bei der Wahl 2002 fehlten Scharfenberg zum Sieg über Jakobs nur 122 Stimmen. Stasi? – damals kaum ein Thema. Das hat sich geändert. Doch der Linkssozialist pflegt weiter DDR-Nostalgie am Stammtisch. Gerüchte um Jakobs Amtsmüdigkeit, dessen Verwaltungsfehler und der Ärger mit der vom Bürgermeister allzu lange trotz ihren Geschäftspraktiken akzeptierten Treberhilfe (PAZ berichtete) senkten die Wahlbeteiligung, gefährdeten aber nicht Jakobs’ Sieg. Selbst der Vorwurf, einen Pressereferenten für seine     Imagepflege auf Kosten der Stadt eingestellt zu haben, schadete ihm nicht.

Mit Bildung und Erziehung konnte Scharfenberg hingegen wenig gegen den Bonus des Amtsinhabers, der zugleich als der weniger Belastete auftrat, wettmachen. Potsdam weist dank zahlreicher Firmenansiedlungen nur eine vergleichsweise niedrige und weiter sinkende Arbeitslosenquote von 8,5 Prozent (Mai) auf. Scharfenbergs Ruf, er könne das Potenzial der Stadt besser ausschöpfen, lockte daher kaum, selbst wenn viele Projekte nicht dem Amtsinhaber zuzuschreiben sind, sondern der Berlin-Elite, die sich Potsdam zum Wohnort kürt. Das Scheitern des belasteten Linke-Kandidaten wird in Potsdam als Warnung an die SPD-Landespolitik um Matthias Platzeck gewertet, die Sprengkraft der Stasi-Belastungen im rot-roten Landesbündnis nicht zu unterschätzen. Sverre Gutschmidt


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