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09.10.10 / Wie die »Allianz für Deutschland« geschmiedet wurde

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-10 vom 09. Oktober 2010

Gastkommentar
Wie die »Allianz für Deutschland« geschmiedet wurde
von Bundesminister a.D. Franz Josef Jung

Am vergangenen Sonntag konnten wir das 20. Jubiläum der Deutschen Einheit feiern. Ich selbst habe die Feiern mit der Jungen Union in Freiburg begangen, da ich der Auffassung bin, dass Aufgabe der Zeitzeugen sein muss, den Unrechtsstaat DDR, die damaligen Geschehnisse und den Weg zur Einheit, der bei weitem kein Automatismus war, gerade der jungen Generation näher zu bringen.

Noch heute erfüllt es mich mit Stolz, dass ich von Hessen aus, als Generalsekretär der CDU, meinen Teil zur Wiedervereinigung unseres Vaterlandes beitragen durfte. Meine Partei hat sich nie von dem Ziel der Wiedervereinigung verabschiedet. Ganz im Gegensatz zu anderen Parteien. Egon Bahr (SPD) beispielsweise kann man Anfang Oktober 1989 mit den Worten zitieren: Die CDU sollte damit aufhören „von der Einheit zu träumen oder zu schwätzen“. Willy Brandt sprach am 11. September 1988 gar von der Wiedervereinigung als „Lebenslüge“ der Bundesrepublik Deutschland.

Für die Politik in Hessen, für die hessische CDU, war die Teilung immer ein Thema, zumal Hessen mit 270 Kilometern innerdeutscher Grenze mit ihrem brutalen Grenzregime von der Teilung besonders betroffen war.

Den Weg zur Einheit unseres Vaterlandes mache ich persönlich an drei Kerndaten fest: Den 18. September 1989, den 9. November 1989 und den 18. März 1990. Ich muss daher gestehen, dass der Prozess der Wiedervereinigung für mich nicht – wie für viele andere – mit dem Fall der Mauer, sondern schon einige Wochen vorher beginnt. Warum am 18. September 1989? An diesem Tag war in der „FAZ“ ein Artikel über den von einer kleinen Gruppe von Reformern in der Ost-CDU verfassten „Brief aus Weimar“ zu finden. Für mich persönlich hatte dies eine geradezu elektrisierende Wirkung. Denn zum ersten Mal wurde von vier Mitgliedern der damaligen Blockpartei ein ernst zu nehmender Forderungskatalog zur innerparteilichen und gesellschaftlichen Reform erstellt. Oberkirchenrat Martin Kirchner aus Eisenach, der spätere Generalsekretär der CDU-Thüringen, dann Gottfried Müller, später Minister in der Regierung de Maizière und dann erster Präsident des frei gewählten Thüringer Landtages, Martina Huhn, Rechtsanwältin und Mitglied der Bundessynode aus dem sächsischen Hopfgarten und die heutige Ministerpräsidentin Thüringens, Christine Lieberknecht, hatten dieses Dokument unterzeichnet.

Der Brief war auf den 10. September datiert und wurde im Umfeld der Jahrestagung der evangelischen Bundessynode am 17. September in Eisenach verbreitet. Gerichtet war er an die Bezirks- und Kreisvorstände und die Mitglieder der Ost-CDU.

In 30 Punkten wurde nicht nur die Reformierung der Blockpartei CDU, sondern auch die der DDR-Gesellschaft insgesamt, gefordert: Reisefreiheit und Milderung des Grenzregimes, Meinungs- und Pressefreiheit sowie eine neue Medienpolitik, mehr Rechtsstaatlichkeit, mehr innerparteiliche Demokratie und mehr Mitbestimmung der Blockparteien, aber auch der Gesellschaft insgesamt. Weiter wurde eine Reform der innerparteilichen Strukturen in der Ost-CDU gefordert. Der Wille der Mitglieder solle den unbedingten Vorrang haben und das Prinzip des „demokratischen Zentralismus“ gehöre nicht zu den spezifischen Traditionen der CDU.

Für mich bedeutete dies zum einen eine Abkehr von der Propagandaformel vom „demokratischen Zentralismus“ der in allen sozialistischen Ländern straff geführten Kaderparteien und zum anderen, dass die Einforderung der „spezifischen Traditionen“ nur eine Rückbesinnung auf das christliche Menschenbild heißen konnte. Weiter forderten die vier Mitglieder eine Neufassung des DDR-Wahlgesetzes.

Diese Thesen begeisterten mich derart, dass ich – immer im engen Kontakt mit Bundeskanzler Helmut Kohl – den Versuch startete, mit den Reformern der Ost-CDU in Kontakt zu treten. Auf Betreiben der Reformkräfte trat am 2. November 1989 Gerald Götting, der Vorsitzende der Ost-CDU, zurück. Erst dann gelang es mir, im Auftrag des hessischen CDU-Landesverbandes, ein Treffen für den 9. November 1989 in Ost-Berlin mit den Reformkräften der Ost-CDU zu vereinbaren.

Für das Gespräch selbst stellte sich die Frage, wo man nach 40 Jahren der Teilung anknüpfen soll. Ich war der Überzeugung, dass es auf jeden Fall die christlichen und freiheitlich-demokratischen Grundwerte unserer Partei sein konnten. Zudem wollten wir den Reformern Hilfe anbieten, zugleich aber niemanden bevormunden. Thematisiert wurden auch die kulturellen Gemeinsamkeiten zwischen Hessen und Thüringen. Etwas enttäuscht war ich am Ende des Treffens darüber, dass de Maizière zu diesem Zeitpunkt noch keinen klaren Trennungsstrich zum Sozialismus zog und für ihn die Deutsche Einheit „nicht die Frage der Stunde“ sei. Diese Position war aber bereits auf dem großen Programmparteitag „Erneuerung und Zukunft“ der Ost-CDU am 15./16. Dezember in Berlin obsolet, denn es wurden die Ziele der Einheit der deutschen Nation und der Sozialen Marktwirtschaft in die offizielle Parteiprogrammatik aufgenommen. Innerhalb von knapp drei Monaten wurde also aus der Blockpartei CDU ein Partner für die Christdemokraten Westdeutschlands. Den 9. November 1989 verbinde ich daher mit zwei denkwürdigen Ereignissen, natürlich erstens der Mauerfall, zum zweiten war das Treffen in Ost-Berlin, aber auch der Beginn der Annäherung zwischen CDU-West und CDU-Ost.

Das dritte von mir genannte Kerndatum ist der 18. März 1990, an dem die ersten und gleichzeitig letzten freien Wahlen in der DDR stattfanden. Sieger der Wahl war die „Allianz für Deutschland“. Die Idee zu diesem Wahlbündnis entstand am 19. Januar 1990 im Bonner Kanzleramt. Auch hier sollten Hessen und Thüringen voranschreiten. Die „Allianz für Deutschland“ war ein Wahlbündnis aus CDU, der Deutschen Sozialen Union und dem Demokratischen Aufbruch. Als einendes Element mussten die Partner eine Programmatik vertreten, die die Ziele der Einheit, der Freiheit, der Sozialen Marktwirtschaft und die Ablehnung jeder Art von Sozialismus umfasste. Hier jetzt alle Gespräche und Beratungen zu nennen, die letztlich zur Gründung der Allianz für Deutschland in Thüringen geführt haben, würde den Rahmen sprengen. Unsere frühen Kontakte waren dabei jedenfalls eine große Hilfe und ich konnte am 1. Februar 1990 in Erfurt mit Uwe Ehrich (CDU), Horst Schulz (DA) und Paul Latussek (DSU) eine Vereinbarung unterzeichnen, die das Gründungsdokument der „Allianz für Deutschland“ in Thüringen darstellte. Vier Tage später, am 5. Februar, wurde die landesweite „Allianz für Deutschland“ in Berlin gegründet. Sie erreichte am 18. März mehr als 48 Prozent der Stimmen. Die SPD verlor mit 22 Prozent eindeutig. Das beste Wahlergebnis in allen Ländern der „Noch-DDR“ erzielte die „Allianz für Deutschland“ in Thüringen: Sie errang rund 60 Prozent der Stimmen. Dieses eindeutige Votum für die Allianz und damit die CDU ebnete den Weg für den konkreten Einigungsprozess, der letztlich in die Deutsche Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 mündete.

Dr. Franz Josef Jung war von 1987 bis  1991 Generalsekretär der hessischen CDU. In seinem Buch „Die letzten Tage der Teilung − Wie die deutsche Einheit gelang“ (Herder) schildert er seine Erlebnisse in den Monaten der „Wende“ und seinen Beitrag zur Wiedervereinigung.


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